Belu verschränkte die Arme vor der Brust, deutete mit dem Zeigefinger auf ein Glas, das am Nachttisch stand.
»Kannst du mir das Wasser reichen?«
»Das will ich meinen.« Klaus schenkte ein, reichte Belu das Glas und erzählte weiter. »Neulich hat sie gesimst, sie lädt uns zum Petting ein.«
»Kaum bin ich mal ein paar Tage nicht da, scheint es ja wirklich drunter und drüber zu gehen.«
»Entschuldige Belu, wirklich. Sie hat raspelkurze Haare. Mir ist sie zu burschikos.«
»Also überhaupt nicht dein Typ. Was ist nun mit dem Petting?«
»Natürlich nichts. Sie meinte Meeting, verstehst du. Meetings, die beruft sie laufend ein. Es wäre die Autokorrektur gewesen, die das Wort so verhunzt hat.«
»Hat sie sich so entschuldigt?« Belu schmunzelte.
»Nö, ist einfach drüber hinweggegangen, wie wenn es das Normalste auf der Welt wäre, dass die Autokorrektur Wörter verhunzt.« Klaus tippte auf das Glas seines Smartphones.
»Wer's glaubt! Kein Mord, kein Totschlag?« Belu spielte mit ihren Haaren, zwirbelte sie zu einem Zopf.
»Nein, aber ...«
»Was ist los, Klaus?«
»Die neue Oberstaatsanwältin. Sie ist … nun, wie soll ich sagen … speziell.«
»Ich kann mir schon vorstellen, was du mit speziell meinst. Sie will aufräumen. Und da du sie mir als burschikos geschildert hast, Kollege Klaus, duldet sie wohl keinen Widerspruch. Auf deine blöden Sprüche geht sie nicht ein. Habe ich recht, oder habe ich recht?«
»Wie immer, Chefin. Ich weiß nicht, was ich von der Dame halten soll. Sie trägt eine große Herrenarmbanduhr.«
»Danach solltest du sie nicht beurteilen. Sie ist sicher tüchtig.«
»Das mag ja sein. Sie hat mir doch tatsächlich einen dreißig Jahre alten Fall auf den Schreibtisch geknallt. Richtig hingeknallt.«
»Eine Frau, die weiß, was sie will.« Belus Mund verzog sich leicht. »Ich werde die Dame sicher bald kennenlernen. Sie hat dir also einen Cold Case gegeben. Will alte Fälle aufarbeiten und natürlich auch gelöst wissen. Da hast du was vor dir. Erzähle!«
Zimmer Oberstaatsanwaltschaft
Oberstaatsanwältin Paula Trejo warf erneut einen Blick auf die Zeitung des Vortags. Resigniert ließ sie das Blatt sinken.
Hatte dieser verdammte Journalist nichts Besseres zu tun, als einen alten Fall wieder aufzuwärmen? Sie knabberte an der Innenseite ihrer linken Wange. Ihr Einstieg in Nürnberg sollte also mit einem Cold Case beginnen.
Sie rieb sich die Augen. Zu spät fiel ihr ein, dass sie sich morgens die Wimpern getuscht hatte. »Mist!«, rief sie und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. Sie zog eine Schublade auf, holte den Handspiegel hervor und beseitigte die schwarzen Schlieren, die sich unter ihren Augen gebildet hatten.
»Fliegenbeine«, stellte sie fest. »Und müde siehst du aus, Paula, ein Date hattest du auch schon monatelang nicht mehr. Scheiße – das ist schon kein Mist mehr.« Sie hielt sich gerade noch zurück, um erneut mit der Hand auf den Schreibtisch zu schlagen. Sie schüttelte sich und richtete den Kragen ihrer Bluse. Ziemlich schmucklos, dachte sie, als sie sich in ihrem Büro umsah. Bin ich ja auch. Schmucklos, aufs Wesentliche konzentriert. Schreibtisch, Stuhl, kleine Besucherecke, Bücherregal. Ob ich wohl rüschiger wäre, wenn ich drei Mädchen hätte? Sie betrachtete ihre Mokassins. Das waren Schuhe nach ihrem Geschmack, weich, flach, die sich ihrem Fuß anpassten. Damit konnte man schnell rennen.
Wie wohl die Kollegen sein werden? Paula rollte mit dem Stuhl zurück und legte das rechte Bein über das linke. Sie rieb einen kleinen Fleck vom Saum der Hose. Morgen würde sie wohl ins Krankenhaus fahren müssen, um der Kollegin Bertaluise Nürnberger ihre Aufwartung zu machen. Sagte man das so? Aufwartung? Paula schmunzelte. Ob das auch so ein verrücktes Huhn war wie dieser Hofmockel? Sprüche hatte der drauf. Das würde noch ein hartes Stück Arbeit werden, den zur Raison zu bringen. Sein Ruf war ihm vorausgeeilt.
Hoffentlich habe ich keinen Fehler gemacht, als ich mich nach Nürnberg versetzen ließ. Eine Rheinländerin nach Franggn. Paula übte ein paarmal, das K wie ein G klingen zu lassen, gab es dann aber auf.
Kollege Hofmockel wirkte nicht recht begeistert, als er erfuhr, dass er diesen Cold Case bearbeiten sollte.
Sie stand auf, richtete sich erneut die Bluse, die aus dem Hosenbund gerutscht war, und griff zum Telefonhörer. Nach dem zweiten Läuten wurde bereits abgenommen.
»Hallo Sohnemann! Ich mache mich auf den Weg. Komme heute mal pünktlich nach Hause. Kannst du schon Kartoffeln aufsetzen?«
»Machst du Auflauf, Mama?«
»Ja, genau so, wie ihr ihn mögt. Bis gleich.«
Sie musste nur die Stimme einer ihrer drei Buben hören und schon besserte sich ihre Laune.
Ein letzter Blick zu der Zeitung, die auf dem Schreibtisch lag. »Ein dreißig Jahre alter Fall«, dachte sie. »Da hatte der Journalist recht: Mord verjährt nicht. Noch nach Jahrzehnten konnten Täter mittels neuer Methoden überführt werden. Wie gut, dass sich die DNA-Analysen so weiterentwickelt haben.«
»Wenn ich ehrlich bin«, sprach sie laut zu sich selbst, »dann hat dieser provokante Zeitungsartikel den Ausschlag gegeben.«
Sie setzte sich, strich über den Zeitungsartikel. »Und wenn wir jetzt noch genügend Geld zur Verfügung bekommen, können wir auch effektiv arbeiten«, resümierte Paula Trejo. Sie nahm einen Aktenordner und stellte ihn in eine größere Schublade. Sie wollte pünktlich Feierabend machen. Das war sie ihren Söhnen schuldig. Das Telefon läutete, sie ignorierte es, schloss mit Nachdruck die Tür, sperrte ab. Auf dem Weg zum Parkplatz ließ sie noch einige Gedanken zu. Mal sehen, was dieser Hofmockel taugt und draufhat. Und wenn es genehmigt wird, dann kann die Aufklärung dieses ungelösten Mordfalles auch vorangetrieben werden. Das werden arbeitsintensive Ermittlungen werden.
Krankenhaus
»Sie nimmt nicht ab«, sagte Klaus zu Belu gewandt. »Jetzt habe ich es zigmal läuten lassen.
»Vielleicht ist sie schon gegangen?«
»Sag mal, es ist erst achtzehn Uhr. Da macht man nicht schon Feierabend.« Klaus tat entrüstet. »Die Oberstaatsanwältin wird doch wohl nicht geregelte Arbeitszeiten einführen?«
Belu richtete sich in ihrem Bett auf, drückte den Knopf der Servosteuerung. Langsam kam das Rückenteil höher. Aufatmend ließ sie sich zurückgleiten.
»Jetzt erzähl schon von diesem alten Fall.«
»Weißt du was, Chefin, wenn du hier wieder rauskommst, lade ich dich auf einen Tequila ein. Ich habe ein neues Lokal entdeckt. Die Wirtin heißt Esmeralda und kommt aus Großhabersdorf.«
»Klausi! Was ist mit dem Fall?«
»So genau habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht reingesehen.«
»Du lenkst ab. Willst du es mir nicht erzählen?«
»Also gut, du gibst ja doch keine Ruhe. Oberstaatsanwältin Trejo hat mir einen dreißig Jahre alten Fall auf den Schreibtisch geknallt.«
»Sagtest du schon.«
»Mitte der 80er hat man eine Frau tot aufgefunden. Sie war mit einer Strumpfhose an Händen und Füßen gefesselt. Ihre Identität konnte geklärt werden. Eine biedere Hausfrau, verheiratet, eine Tochter. Der Ehemann Postbeamter, kein Motiv, er selbst hatte ein Alibi.«
»Warum hat diese Oberstaatsanwältin ausgerechnet diesen Fall wieder ans Tageslicht gezogen?«
Klaus nahm eine Zeitung aus seiner Jackentasche, zeigte wortlos auf einen Artikel, den er angemarkert hatte.
»Ach Belu, vielleicht war der Fall auch turnusmäßig dran.«
»Ich glaube eher, dass dieser Artikel etwas damit zu tun hat. So einen Angriff kann man nicht auf sich sitzen lassen.«
Belu klopfte mit dem Zeigefinger auf den Bericht.
»Da hast du was vor dir, lieber Kollege.«
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