Die Verfechter des »konstruktivistischen« Ansatzes scheinen sich nun tatsächlich ganz an jenen postmodernen Regie-Egomanen zu orientieren, denen es gelingt, den Autor aus ihrem Werkverständnis zu verdrängen. An sich wäre gegen das Bild von der kulturellen Inszenierung des Geschlechterspiels nämlich überhaupt nichts einzuwenden, ja es trifft die Realität sogar haargenau – nur darf dabei eben nicht vergessen werden, dass aller Inszenierung, wenn das Wort seinen Sinn behalten soll, auch ein Textmaterial zugrunde liegt, das schon da gewesen sein muss, bevor die Fantasie des Regisseurs ihre Arbeit aufnehmen kann. Die Rede von der kulturellen Inszenierung der Geschlechtlichkeit verweist somit, richtig verstanden, von sich aus auf die Frage nach den natürlichen Grundlagen.
In dem gerade geschilderten ideologischen Umfeld ist es freilich nicht möglich, diese Frage auch nur zu stellen. Sie wird – günstigstenfalls – für hoffnungslos obsolet erklärt oder ihre Proponenten als »biologistisch« abgestempelt. »Biologie« ist eben ein Reizthema; wenn es anklingt, dann schlagen die Emotionen hoch, die Diskussion wird unsachlich bis hin zur moralischen Diffamierung und dem Vorwurf, die Sache der Frauen zu verraten. Konfrontiert man die Opponenten mit gut fundierten Daten, die eigentlich zu einer Revision ihrer Überzeugung führen müssten, so ist der Verdacht auf falsche »erkenntnisleitende Interessen« schnell bei der Hand.
Es sieht so aus, als sei die Diskussion zwischen Umwelttheoretikern und Biologen durch den unbeherrschbaren Zwang vergiftet, die Gegenseite zu verteufeln. Genauer betrachtet ist die Dynamik aber doch asymmetrisch. Es gibt unter Sozialwissenschaftlern einen antibiologischen Affekt, zu dem auf der Gegenseite eigentlich keine vergleichbare Voreingenommenheit erkennbar ist. Natürlich gibt es Ausnahmen; nur sind sie in der Minderzahl. Zu ihnen gehört der Soziologe Walter Hollstein, der einmal in einem Referat ausdrücklich auf die angesprochene Schieflage hingewiesen hat und sie auch in seinem Buch »Geschlechterdemokratie« thematisiert. Wird »der Biologie die Negation gesellschaftlicher Bedingungen vorgeworfen […], dokumentiert dies nicht eine angenommene Fehlleistung naturwissenschaftlichen Denkens, sondern vielmehr die Ignoranz bestimmter Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen« (Hollstein, 2004, S. 263).
Wenn also bei Diskussionen zwischen Sozialwissenschaftlern und Biologen den Letzteren explizit oder – häufiger – implizit unterstellt wird, sie erhöben einen Alleinerklärungsanspruch, dann ist der Verdacht nicht ganz abwegig, dies sei die Projektion der eigenen Intoleranz. Jedenfalls hängt die Haltung mit tiefgreifenden Missverständnissen und daraus resultierenden Befürchtungen zusammen, mit denen wir uns nun genauer auseinandersetzen wollen.
Solche Missverständnisse beruhen auf Fehlinformation oder auf dem Unwillen, sich überhaupt in einem Gebiet kundig zu machen. Was ist so schlimm an der biologischen Argumentation? Aus den Antworten von Studentinnen auf die Frage nach der Veranlagung haben sich im Lauf der Jahre folgende sechs in unserem Zusammenhang äußerst aufschlussreiche Thesen zu diesem Problem herauskristallisiert. Wir wollen an dieser Stelle die Frage des »dritten Geschlechts« und wie Personen, die sich dazu bekennen, mit der Frage der Veranlagung umgehen, noch zurückstellen.
1. Veranlagung bedeutet Festgelegtsein, denn an der Natur kann man nichts ändern.
2. Die anlagebedingten Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind so gering, dass sie nicht weiter relevant sind.
3. Geschlechtsunterschiede sind ein Produkt der Sozialisation, nicht der Veranlagung. Daher führt nur eine Gleichbehandlung der Geschlechter zur Verringerung der Geschlechtsunterschiede.
4. Natur und Freiheit sind Gegensätze.
5. Wenn man Geschlechtsrollen als naturgegeben akzeptiert und in der Biologie begründet, erhebt man sie damit auch zur gesellschaftlichen Norm; Abweichungen wären dann als »naturwidrig« verpönt.
6. Natürliche Geschlechtsunterschiede zugeben heißt, Männern Eigenschaften zubilligen, die den Frauen fehlen. Daraus ließe sich das Recht ableiten, Frauen als »minderwertig« zu diskriminieren.
3.2 »Veranlagte Verhaltensweisen sind nicht veränderbar«
Wir wollen diesen sechs Thesen genauer auf den Grund gehen. Dabei erweist sich die erste als besonders zentral und hartnäckig; sie wird uns eine Weile beschäftigen.
Es geht dabei um die sogenannte Anlage-Umwelt-Kontroverse, die Frage also, wie der genetische Code und äußere Einflüsse miteinander bei der Gestaltung des Organismus und seiner Verhaltensprogramme interagieren. Zuweilen kann man lesen, dieses Thema sei inzwischen ausdiskutiert; das stimmt aber nicht: Die Gemüter erhitzen sich nach wie vor daran. Dabei wird man nun eben regelmäßig mit dem erstgenannten Argument konfrontiert, demzufolge Anlagen sich unabhängig von Umwelteinflüssen entfalten und erbbedingte Verhaltensweisen folglich nicht veränderbar sein sollen.
Eine Aussage von Jeanne Block (Block, 1983) kennzeichnet diese Überzeugung recht treffend. In einem Review-Artikel zur geschlechtsdifferenzierenden Sozialisation diskutiert sie im einleitenden Abschnitt auch die Möglichkeit biologischer Einflüsse und kommt sinngemäß zu folgendem, etwas resignativ klingendem Schluss: Wo die Biologie eine Differenzierung von Verhaltensbereitschaften vorsehe, dort könne man ohnehin nichts mehr ändern. Sozialisation habe nur dort eine Chance, wo sie an einem biologisch neutralen Ausgangsmaterial ansetze. Bevor man daher die Wirkung biologischer Faktoren überhaupt nur erwäge, müsse man ganz sicher gehen, dass man den Einfluss der Sozialisation gänzlich ausgelotet habe.
Nun argumentiert Block noch vergleichsweise differenziert. Andere gehen mit der Biologie weniger behutsam um. Einfachste Grundkenntnisse in dem ungeliebten Fach sind nicht eben verbreitet; und wo Wissen fehlt, stellen sich leicht Zerrbilder ein, die sich dann unschwer ins Lächerliche ziehen lassen.
Repräsentativ hierfür sind beispielsweise die Ausführungen der Soziologin Carol Hagemann-White (Hagemann-White, 1984). In ihrem Buch über geschlechtsdifferenzierende Sozialisation widmet sie der Biologie immerhin ein ganzes Kapitel. Darin finden sich insbesondere zwei Thesen, die auch anderswo, wenn auch vielleicht nicht in so zugespitzter Form, vertreten werden (Hagemann-White, 1984, S. 30, kursiv von der Autorin).
Verhaltensunterschiede müssen, um sich als »biologisch« zu qualifizieren, regelmäßig, deutlich und zuverlässig bei allen Kulturen auftreten.
Das ist ungefähr so sinnvoll, wie wenn man behaupten würde, die Farbenpracht einer empfindlichen Zierpflanze sei nur dann genetisch angelegt, wenn jeder Tölpel sie in seinem Blumentopf verlässlich zum Blühen bringen kann. Bei einem richtigen Verständnis biologischer Wirkweise kann der Gedanke gar nicht aufkommen, anlagebedingte Dispositionen würden starr ein ganz bestimmtes Verhalten determinieren. Es versteht sich vielmehr von selbst, dass sie sich je nach Maßgabe kultureller Einflüsse in verschiedener Form manifestieren können.
In Kulturen mit Ackerbau legen die Menschen größten Wert darauf, Eigentum zu mehren und zu wahren. Bei Jägern und Sammlern, die alles, was ihnen gehört, auf dem Leib mit sich tragen müssen, stellt Besitz dagegen einen niedrigen Wert dar. Heißt das nun, dass das Verlangen nach persönlichem Eigentum nicht zur natürlichen Grundausstattung des Menschen gehört? Werden Jäger und Sammler später doch noch sesshaft, ist es mit der Genügsamkeit jedenfalls bald vorbei. Allenfalls können sich Übergangsrituale bilden, die die Spannung für eine Weile kanalisieren. So wird etwa bei manchen nordamerikanischen Indianern von besonders reich gewordenen Stammesangehörigen erwartet, dass sie anlässlich eines Festes ihren gesamten Besitz wieder verschenken. Der Brauch ist nicht weit verbreitet, er scheint kulturgeschichtlich nicht sehr stabil zu sein. Das Beispiel zeigt aber, wie mannigfaltig die Formen sind, in denen die Kultur das Kräftespiel menschlicher Grundmotive »inszenieren« kann, ohne dass dies im Geringsten die natürliche Angelegtheit dieser Motive widerlegt.
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