1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 „Das sind ja grausame Zustände“, bemerkt Karola schockiert.
„Ja, richtig. Aber solange es Menschen gibt, die bereit sind dafür zu bezahlen, solange wird es auch Menschen geben, die das für ihre Zwecke ausnutzen.“
„Da haben Sie leider Recht“, stimmt der Konzernchef der jungen Frau zu. „Angebot und Nachfrage. Diese Leute interessiert nicht das Leid der Menschen, sondern nur der Profit.“
„Bedauerlicherweise kann ich Ihnen nicht widersprechen. Mit unserer mobilen Klinik können wir den Frauen wenigstens helfen, die ihnen zugefügten Verletzungen und einiges an Krankheiten zu überstehen.“
„Haben Sie keine Angst, dass Sie dort ebenfalls überfallen werden?“ Peter bewundert den Mut dieser Frau.
„Nein, ganz im Gegenteil. Eigentlich achten die meisten Zuhälter darauf, dass uns nichts geschieht. Sie wissen, dass ihnen von uns keine Gefahr droht, deshalb nehmen sie unsere Anwesenheit billigend in Kauf. Immerhin können viele der Mädchen durch unsere Hilfe besser arbeiten.“
„Ja, ich verstehe.“
„Kommen Sie, ich zeige Ihnen erst einmal unsere Einrichtungen. Anschließend steht Ihnen unser Ärzteteam und die Krankenhausleitung zur Verfügung.“
Malee führt die Gäste durch das Haus. Immer wieder bleibt sie stehen, weist auf Besonderheiten hin oder lässt ihre Begleiter in die Räumlichkeiten schauen. Offen zeigt sie die Mängel auf, die sie hoffen mit Hilfe der deutschen Unterstützung beheben zu können. Die Krankenzimmer sind einfach, ohne großen Komfort, doch die ehemalige Ärztin kann sich von der fürsorglichen, korrekten Unterbringung der Patienten und der zuvorkommenden Behandlung durch das Pflegepersonal überzeugen.
Die blutjunge Pflegerin, die gerade einem Patienten die Kissen zurechtrückt, um ihm zu einer besseren Liegeposition zu verhelfen, schaut, die Besucher anlächelnd, kurz auf.
Verblüfft starrt Dorothea dem Mädchen ins Gesicht. „Also, auch wenn für uns Europäer ihre Landsleute alle eine gewisse Ähnlichkeit aufzeigen, würde ich doch behaupten, diese junge Frau gleicht Ihnen wie ein Spiegelbild“, wendet sie sich neugierig an ihre Führerin. „Habe ich Recht?“
Malee lacht fröhlich auf, stellt sich neben die Pflegerin und legt ihr einen Arm um die Schultern, sodass auch Peter und Karola die frappierende Ähnlichkeit erkennen.
„Darf ich Ihnen meine Schwester Tuptim vorstellen? Sie ist gerade erst fünfzehn geworden. Aber sie weiß schon genau, was sie einmal werden will.“ Malee lächelt ihre drei Jahre jüngere Schwester auffordernd an.
Tuptim verbeugt sich leicht vor den Gästen. „Ich möchte Ärztin werden. Deshalb mache ich hier eine Ausbildung. Ich weiß, ich muss noch viel lernen, aber für das Ziel lohnt es sich bestimmt.“
„Das kann ich nur gutheißen. Wissen Sie auch schon, in welche Fachrichtung Sie gehen wollen?“
„Ja. Ich möchte Chirurgin werden. Mir ist bewusst, dass das ein sehr hohes Ziel ist, aber ich bin eine gute Schülerin. Außerdem haben wir hier viel zu wenig Ärzte.“
„Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Glück dabei. Vielleicht unterhalten wir uns in den nächsten Tagen noch einmal darüber. Möglicherweise kann ich Ihnen ein wenig helfen.“
Erstaunt reißt Tuptim die Augen auf. „Sie wollen mir helfen? Wieso?“
„Weil es mir auch sehr schwergefallen ist, mich durchzukämpfen, bis ich endlich Chirurgin war.“
Hocherfreut verabschiedet sich die strahlende Auszubildende von den Besuchern.
Anschließend begleitet Malee die drei Gäste zu dem Büro, in dem sich einige der Ärzte, sowie ein Ausschuss der hiesigen Krankenhausleitung zusammengefunden haben. Nachdem die Pflegerin alle miteinander bekannt gemacht hat, wendet sie sich zum Gehen. „Auf mich können Sie jetzt getrost verzichten. Wir sehen uns dann morgen wieder.“
„Malee, einen Augenblick bitte“, hält Karola die junge Frau zurück. „Ich würde Sie gern begleiten, wenn ich darf. Es interessiert mich wirklich zu sehen, welche Arbeit Sie machen und wie Sie vorgehen.“
„Sie wollen mich begleiten?“ Überrascht schaut die Thailänderin die Unternehmers-Gattin an.
„Ja, wenn ich darf.“
„Wir sind aber bestimmt acht bis zehn Stunden unterwegs. Außerdem könnte die Reise für Sie unter Umständen gefährlich werden. Sind Sie sicher, dass Sie das machen wollen?“
„Ja, bin ich.“
„Dann müsst ihr mich auch mitnehmen“, mischt sich Peter ein. „Ohne mich gehst du da nicht hin“, bekräftigt er an seine Frau gewandt.
„Dafür sollten wir Ihnen besser Bekleidung der Krankenpfleger organisieren. So werden Sie weniger auffallen.“ Malee ist sich nicht sicher, ob das Vorhaben des Ehepaars so gut ist, doch sie versteht den Wunsch der Frau. Ihr ist es von Anfang an genauso gegangen. An dem Krankentransporter treffen sie auf den Fahrer und die behandelnde Ärztin.
Die vierzigjährige humorvolle Sarinya Panyarachun gefällt dem Ehepaar auf Anhieb. Die erfahrene Ärztin freut sich über das Interesse und die Gesellschaft der beiden Gäste. „Wir werden lange unterwegs sein. Unsere Reise führt uns von hier aus nach Nong Khai. Das liegt in gerader Linie zur Grenze nach Laos. Von dort aus fahren wir Richtung Norden bis Pak Chom. In dem dortigen Hospital füllen wir unsere Vorräte wieder auf. Anschließend fahren wir die gleiche Route zurück. Während der Fahrt halten wir an verschiedenen Orten an und besuchen die Frauen in den einschlägigen Lokalen. Malee und ich werden dort geduldet. Die Besitzer selbst führen uns zu den Mädchen. Sie wissen, welche ihrer Arbeiterinnen einer Behandlung bedürfen, aber auch die anderen schauen wir uns an. Die einfache Fahrtzeit beträgt gute drei Stunden. Durch unsere Aufenthalte, selbst ohne größere Zwischenfälle, brauchen wir noch einmal zwei Stunden, wahrscheinlich sogar länger. Vor dem Abend sind wir nicht zurück. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie sich nicht zu viel von dieser Reise versprechen. Gerade fremden Männern gegenüber sind diese Frauen und Mädchen sehr verängstigt. Auch unser Fahrer hält sich bedeckt. Doch ich freue mich immer über Begleitung.“
Kurz darauf sitzen sie in dem Transporter auf dem Weg zur laotischen Grenze.
Gabriel Kanthak ist seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen. Mit dem gemieteten schwarzen Nissan X-Trail mit 130 kW Leistung macht er sich auf den Weg nach Phu Thok, wo er sich in dreieinhalb Stunden mit seinen Männern treffen will. Der 40-Tonner vom Typ MAN mit 324 kW hat einen Aufbau mit Ausleger für den umgebauten Container, der dem gut betuchten Antiquitätenhändler dazu dient, seine Waren unentdeckt und ohne Beschädigungen in sein Zwischenlager nach Bangkok zu befördern. Dass der 40-Fuß-Container einen eingearbeiteten doppelten Boden hat, kann man nicht erkennen, auch der schmale Zugang, der sich hinter der doppelten Trennwand im Rücken des Containers befindet, ist mit bloßem Auge nicht auszumachen. Dies ist die Grundlage für den Transport der illegal organisierten Mädchen und Frauen, die ihm zu seinem einträglichen Geschäft verhelfen.
Das Antiquitätengeschäft, das Gabriel in Essen betreibt, dient ihm als offizielle Einnahmequelle für die Gelder, mit denen er seinen gehobenen Lebensstandard bestreitet. Tatsächlich sind seine Fachkenntnisse auf diesem Gebiet ausgeprägt und weitreichend. Er hat keine Probleme, die in Thailand gekauften Möbel und Gebrauchsgegenstände, sowie Kunst und Schmuck in seinen Geschäften zu veräußern. Beim Zoll ist er immer gern gesehen, da alle Papiere in Ordnung sind. Gabriel meldet sämtliche Waren im Vorfeld an und begleicht seine Zollgebühren jedes Mal anstandslos. Mittlerweile wird er nur noch oberflächlich kontrolliert, was unter anderem an dem hohen ‚Trinkgeld‘ liegt, das in die Hände der Zöllner fließt. Dass hinter den doppelten Wänden junge Frauen durch die verabreichten Drogen tief schlafen, bemerkt keiner der Kontrolleure, die sich gar nicht erst die Mühe machen, groß danach zu suchen. Immerhin ist dieser Mann in höchsten Kreisen sehr angesehen.
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