Beispiele:
• |
Benutzungsregeln einer Fachbereichsbibliothek; |
• |
Düngeverbote in einem Wasserschutzgebiet[113]. |
354
Eine von einer staatlichen oder kommunalen Institution unterhaltene Bibliothek ist rechtlich gesehen typischerweise eine Anstalt(s.o. Rn 145 ff). Früher verstand man die Beziehung des Benutzers zur Anstalt als besonderes Gewaltverhältnis, dessen Inhalt durch Verwaltungsvorschriften geregelt werden durfte. Die Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses hat die herrschende Meinung aufgegeben (s.o. Rn 259 f). Die Lücke, die die Abschaffung des besonderen Gewaltverhältnisses in Bezug auf die Benutzungsregeln öffentlich-rechtlicher Anstalten hinterließ, füllt die benutzungsregelnde Allgemeinverfügung.
355
Soweit nicht entsprechend der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG[114] eine Regelung durch Rechtssatz zu treffen ist – das ist anzunehmen, wenn die Regelung wesentlich für die Verwirklichung von Grundrechten ist –, ist die Ausgestaltung des Benutzungsverhältnissesdurch Allgemeinverfügung möglich. Dieses Mittel gestattet jedenfalls den Erlass „interner Ordnungsvorschriften“[115].
Beispiel:
Einen festen Arbeitsplatz in der Bibliothek des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin erhalten Studenten, denen ein dort lehrender Professor bescheinigt, dass sie seine Doktoranden sind.
356
Lösung Fall 9 ( Rn 346):
Der Wassersparaufruf könnte als Allgemeinverfügung und damit als VA oder als Rechtsnorm anzusehen sein. § 35 S. 2 unterscheidet drei Arten von Allgemeinverfügungen: die adressatenbezogene, die sachbezogene und die gemischt sach- und personenbezogene, benutzungsregelnde Allgemeinverfügung. Der Wassersparaufruf ist eine Allgemeinverfügung iSd dritten Variante von § 35 S. 2. Denn er regelt die Benutzung einer öffentlich-rechtlichen Anstalt (dazu auch Rn 1092). Die Trinkwasserversorgung der Gemeinde Marienburg ist eine öffentliche Einrichtung in Form einer Anstalt. Benutzungsregelungen solcher Anstalten genügen dem Begriff der Allgemeinverfügung.
3. Die Rechtsnatur von Verkehrszeichen
357
Rechtsprechung und Literatur hat jahrzehntelang die Lösung des Problems beschäftigt, welche Rechtsnatur Verkehrszeichen besitzen: entweder VA oder Rechtsverordnung[116]. Der Streit betraf nicht die Handzeichen der Polizisten oder Verkehrsregelungen durch Ampeln. Bei den Handzeichen der Polizisten – zB der Aufforderung, zwecks Durchführung der Verkehrskontrolle am Straßenrand zu halten – handelt es sich unzweideutig um Einzelfallregelungen: es sind bestimmte Verkehrsteilnehmer von der Aufforderung betroffen. Das Gleiche gilt für die sich einer Ampel nähernden Verkehrsteilnehmer: in der konkreten Situation sind sie bestimmbar.
358
Ob von einer Bestimmbarkeit der Verkehrsteilnehmer auch bei Verkehrszeichen in Form der Verkehrsschilder, §§ 41, 43 StVO, gesprochen werden darf, ist hingegen fraglich: Es ist sachlich nur schwer vorstellbar, die Anzahl der Autofahrer zu bestimmen, die sich einem Verkehrszeichen nähern, welches dauerhaft zB die Fahrgeschwindigkeit regelt. Da zugleich eine unbestimmte Anzahl von Fällen erfasst wird (den jeweiligen Verkehrssituationen), handelt es sich der Sache nach eigentlich um abstrakt-generelle Regelungen und damit um Rechtsverordnungen.
359
Die Einordnung als Rechtsverordnungwürde jedoch zu großen Schwierigkeiten führen: Rechtsverordnungen ergehen in einem förmlichen Rechtssetzungsverfahren, woran es bei der Aufstellung von Verkehrsschildern in jedem Fall fehlt: Ihren Inhalt und ihren Aufstellungsort legt die Straßenverkehrsbehörde fest, ihre Aufstellung erfolgt durch den Träger der Straßenbaulast. Sind Verkehrszeichen sachlich eine Rechtsverordnung, so sind sie rechtswidrig als Folge eines Verfahrensfehlers: Es fehlt an der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt. Rechtswidrige Normen sind aber in der Regel nichtig und somit unbeachtlich. Damit würde nahezu die gesamte Verkehrsregelung in der Bundesrepublik hinfällig.
360
Im Hinblick auf diese höchst problematischen Konsequenzen hat die Rechtsprechungbereits vor Erlass des VwVfG Verkehrszeichen als Allgemeinverfügungenund damit als VAe qualifiziert[117]. Dies hat zur Folge, dass die vereinfachten Bekanntmachungsanforderungen für VAe eingreifen (s.u. Rn 436 ff)[118] und dass Verkehrszeichen auch bei Rechtswidrigkeit grundsätzlich wirksam sind (s.u. Rn 542). Bekräftigt wird die Einordnung der Verkehrszeichen als VA durch die Entstehungsgeschichte des VwVfG[119]. Trotz der dargelegten dogmatischen Bedenken sollte daher aus pragmatischen Gründen der Rechtsprechung, die sich bis in jüngere Zeit bestätigt hat[120], gefolgt werden. Allerdings ist die zeitlich vorgeschaltete Anordnung der Anbringung eines Verkehrszeichens mangels Regelung kein VA[121].
Ausbildungsliteratur zu I.-III.:
Beaucamp, Verwaltungsrechtliche Fragen rund um das Verkehrszeichen, JA 2008, 612; Fehling, Der Verwaltungsakt – Begriff und Bedeutung, JA 1997, 482; Jakel, Der Verwaltungsakt im Sinne des § 42 I VwGO, JuS 2016, 410; Kahl, Der Verwaltungsakt – Begriff und Bedeutung, JURA 2001, 505; Kingler/Krebs, Die Zusicherung, JuS 2010, 1059; Marquardsen/Gerlach, Die Corona-Pandemie in der verwaltungsrechtlichen Prüfung, JA 2020, 721 (Teil I) und 801 (Teil II); Schaks/Friedrich, Verwaltungsaktbezogener Rechtsschutz: Die Zulässigkeitsprüfung, JuS 2018, 860; dies., Verwaltungsaktbezogener Rechtsschutz, Die Begründetheitsprüfung, JuS 2018, 954; Schoch, Die Allgemeinverfügung, JURA 2012, 26; Voßkuhle/Kaufhold, Der Verwaltungsakt, JuS 2011, 34; Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht: Rechtsschein eines Verwaltungsakts, JuS 2017, 805; Weidemann/Barthel, Rechtsschutz gegen Verkehrszeichen, JA 2014, 115.
IV. Die Arten von Verwaltungsakten
361
Die unter Rn 284 ffgegebenen Beispiele im Zusammenhang der Begriffsmerkmale des VA demonstrieren die Vielfalt der Regelungsmöglichkeiten des VA. Er ist ein nahezu universell einsetzbares Handlungsinstrument der Verwaltung. Dieses Handlungsinstrumentlässt sich weiter ausdifferenzieren[122]. Die Zuordnung der VAe zu verschiedenen Kategorien ist nicht lediglich ein theoretisches Glasperlenspiel, sondern besitzt unmittelbare praktische Bedeutung: In Abhängigkeit von der getroffenen Regelung muss der Adressat entscheiden, ob er sie hinnehmen oder gegen sie Rechtsschutz ergreifen will. Ist die Regelung eine den Adressaten ausschließlich begünstigende, entfällt im Normalfall eine Rechtsschutzmöglichkeit mangels „Beschwer“. – Die folgenden Einteilungsmerkmale sind allgemein anerkannt. Sie setzen teilweise die Merkmale fort, die oben in Rn 19 ffzum Zwecke der Beschreibung der Verwaltung eingeführt wurden. Es handelt sich um Merkmale, die in der Regel die mit einem VA verbundenen unterschiedlichen Wirkungen identifizieren[123].
1. Unterscheidung nach der Rechtswirkung für den Adressaten
362
Zunächst ist zu unterscheiden zwischen begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten. Diese Unterscheidung setzt an der Rechtswirkung des VA für den betroffenen Adressaten an. Sie ist Folge des Umstands, dass es eine Leistungs- und eine Eingriffsverwaltung gibt. Es gibt deshalb auch begünstigendes und belastendes Verwaltungsrecht und damit es umsetzende VAe mit diesen differenten Wirkungen.
a) Begünstigende Verwaltungsakte
363
Der begünstigende VA ist in § 48 Abs. 1 S. 2 legaldefiniert: ein VA, „der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigthat“. Ein „Recht“ iSd Legaldefinition ist die Begründung oder Bestätigung einer „Rechtsposition“, die für den Inhaber mit Ansprüchen verbunden ist. Ein begünstigender VA wird oftmals, wenn auch nicht notwendig, als „Genehmigung“ bezeichnet[124].
Читать дальше