»Die Zeiten ändern sich«, sagte der Wirt hart. »Ihr seht ja, wie beliebt meine Herberge seitdem geworden ist. Und ich muss sagen, dass mir die neue Gesellschaft lieber ist als die Eure.«
»Ihr könnt uns doch nicht einfach die Tür weisen«, sagte Suitbertus verzweifelt. »Wo sollen wir denn nächtigen? Der Wald ist voller Räuber.«
Einer der Männer an dem langen Tisch lachte laut auf. »Ihr habt doch Gottes Beistand«, rief er. »Was kann euch da schon passieren?« Das Mädchen fiel in sein Gelächter ein. Ihr Blick begegnete dem von Martin. Er konnte ihm nicht lange standhalten.
Hilarius sagte: »Selbst in einer Bärenhöhle wäre ich lieber als in eurer Gesellschaft. Kommt, Brüder, wir gehen.«
Gerade als sich der Pater umwandte, sprang der Mann auf, der soeben noch voller Spott gegen die Geistlichen gewesen war. »Nichts für ungut, ehrwürdiger Vater«, sagte er und blinzelte Hilarius aus blassblauen Augen zu. »Ich hab’s nicht so gemeint. Bin immer gut ausgekommen mit Mutter Kirche. Ich biet euch mein eigenes Zimmer an, droben im ersten Stock. Es ist ein wenig eng, aber es stehen drei Betten darin, also gerade genug für euch. Meine Gefährten werden sich freuen, mit mir hier unten zu übernachten. Nicht wahr, Männer?« Vom Tisch kam ein nicht gerade sehr begeistertes Brummen. »Also ist es abgemacht. Wirt, zeig ihnen ihr Zimmer und wirf unsre eigenen Sachen hinaus. Es sind ja wenig genug.«
Hilarius schien von dieser Entwicklung sehr überrascht zu sein. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle er das Angebot ablehnen, doch schließlich nickte er, und ohne ein Wort des Dankes ging er hinter dem Wirt zur Stiege. Suitbertus und Martin folgten ihm sofort.
»Essen gibt’s um neun«, murmelte der Wirt, als er das verdreckte Gepäck der drei Männer aus dem Zimmer schaffte. Er machte keine Anstalten, frische Bettwäsche zu holen, sondern schlurfte ohne einen weiteren Gruß aus dem Zimmer und warf die Tür hinter sich zu.
»Das Ganze gefällt mir nicht«, sagte Suitbertus leise. »Diese Spießgesellen da unten machen keinen guten Eindruck – von dem Mädchen einmal abgesehen.«
Dafür fing er sich einen tadelnden Blick von Hilarius ein.
Nachdem sie sich etwas auf den harten, strohgepolsterten Betten ausgeruht hatten, die einen leisen, stechenden Geruch verbreiteten, befahl Hilarius Suitbertus, er möge eine Kanne Wein von unten holen und etwas zu essen, wenn er oder Martin es wolle. Suitbertus sprang sofort auf, als habe er auf diesen Wunsch bereits die ganze Zeit gewartet, und rannte aus dem Zimmer.
Martin wünschte sich plötzlich, sie hätten das Angebot des lockeren Gesellen nicht angenommen. Der alte Pater Johannes hatte ihm während langer Winterabende manchmal hinter vorgehaltener Hand etwas von berüchtigten Herbergen erzählt, in denen die ahnungslosen Reisenden zuerst ausgeraubt und dann ermordet wurden; selbst die Diener Gottes seien vor einem solchen Schicksal nicht gefeit. Martin beruhigte sich aber mit dem Gedanken, dass während ihrer Übernachtung auf der Hinreise schließlich auch nichts Gefährliches geschehen war.
Suitbertus war schnell zurück. In der einen Hand jonglierte er mit einem riesigen, beinahe randvollen irdenen Weinkrug; in der anderen hielt er eine Wurst und ein Stück Braten sowie ein Messer. Er schenkte zuerst Hilarius ein, der wieder einmal das Essen verschmähte – er hatte nur am Mittag vor der Abreise etwas Brot zu sich genommen –, dafür aber den Trunk in einem einzigen Zug hinunterkippte und sich dann auf seinem Bett zurücklehnte. Der Mann musste wirklich heilig sein, wenn er so sehr auf menschliche Bedürfnisse verzichten konnte, dachte Martin. Suitbertus hockte sich auf das Bett seines Mitbruders und teilte mit ihm alles, was er von unten herbeigeholt hatte. Dabei flüsterte er ihm zu:
»Ich habe eine Verabredung für uns beide getroffen. Du hast doch bestimmt das schöne Mädchen gesehen, nicht wahr?«
Martin nickte.
»Sie wird uns zu Willen sein, heute Nacht. Wir müssen nur noch etwa eine Stunde warten, bis der Alte eingeschlafen ist«, er nickte in Hilarius’ Richtung; der Pater hatte sich inzwischen zur Wand gedreht, als ob er Schutz von ihr erwarte, und seine Atemzüge wurden immer regelmäßiger, »und dann sollen wir zum letzten Zimmer rechts am Ende des Ganges kommen – hinter der Biegung.«
Martin schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Das will ich auch nicht.«
»Du bist ein Dummkopf, Bruder Martin«, stöhnte Suitbertus. »Da bekommst du einmal die Gelegenheit, das richtige Leben kennenzulernen, und was machst du? Du kneifst. Na meinetwegen. Ich jedenfalls werde mir den Spaß nicht verderben lassen. Leg dich hin und träum etwas Schönes.«
Er kletterte in sein eigenes Bett, das unter dem kleinen, mit einer Holzplatte vernagelten Fenster stand, und nach wenigen Minuten tat er so, als schlafe er tief und fest. Er grunzte wie eine ganze Schweineherde. Aber Pater Hilarius stand ihm kaum nach.
Martin kratzte sich an der Tonsur. Er war hin und her gerissen. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, so wollte er gern einmal die verbotenen Freuden der körperlichen Liebe genießen, aber er nahm seine Berufung als Mönch und damit ebenfalls die drei Gebote der Armut, des Gehorsams und leider auch der Keuschheit ernst. Er wusste, dass viele seiner Brüder es mit alldem nicht so genau nahmen, aber er brachte es nicht über sich, so nachlässig wie sie zu sein. Er wollte dereinst in das Himmlische Jerusalem einziehen und Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Über diesem Gedanken schlief er ein – trotz des Lärms, den seine Mitbrüder veranstalteten.
Als er erwachte, schien es mitten in der Nacht zu sein. Durch die Ritzen des Fensterverschlages drang nicht der geringste Lichtschein in die enge Kammer.
Etwas hatte sich bewegt. Er spürte den Luftzug, und etwas berührte ihn an der Wange. Dann war es vorüber.
Martin setzte sich benommen auf. Noch immer drang das laute Atmen des Paters zu ihm – aber dort, wo Suitbertus liegen sollte, war alles still. Zu still.
Dann fiel es ihm wieder ein. Er hörte, wie die Tür geöffnet wurde und nackte Füße verstohlen auf den Bohlen umhertappten. Ganz kurz sah er im Türrahmen den tiefschwarzen Umriss von Suitbertus. Er war unterwegs zu seinem Liebchen. Der Gedanke daran verursachte Martin ein Prickeln in der Leistengegend. Ein Teil von ihm wollte Suitbertus nachschleichen, ein anderer Teil hielt ihn zurück.
Da hörte er, wie Hilarius etwas murmelte. Martin zuckte zusammen. Zuerst glaubte er, der Mönch sei ebenfalls aufgewacht, doch dann erkannte er, dass er im Schlaf sprach.
»Apokalypse!«, rief der Pater plötzlich, und dann: »Geh weg, Satan, du wirst mich nicht holen! In meinem Kloster werde ich in Sicherheit sein. Soll doch die Welt um mich herum untergehen!« Die Stimme des Paters wurde immer aufgeregter. »Nein! Nein!«, rief er plötzlich. Martin bekam eine Gänsehaut. Der Pater schrie, winselte, röchelte. Martin hielt es nicht mehr aus. Er sprang auf und rannte aus dem Zimmer.
Als er auf dem Gang stand, war wieder alles still; kein Laut drang mehr aus der Kammer, in der Hilarius seinen eingebildeten Kampf ausfocht. Doch dafür hörte Martin andere Geräusche. Von unten quoll noch immer gedämpft das Gemurmel und Rufen der Gäste im Schankraum herauf, und hinten, am Ende des Ganges, hörte er leises, keckes Kichern. Suitbertus und dieses Mädchen! Bevor Martin bemerkte, was er tat, schlich er bereits um die Biegung des Flures und auf das Zimmer zu, in dem sich sein Mitbruder vergnügte. Der matte, gelbe Schimmer eines Kienspans drang durch die Ritzen der Tür und das Schlüsselloch auf den Flur hinaus. Martin pirschte sich an die Tür, ging in die Hocke und spähte durch das Schlüsselloch.
Suitbertus und das wirklich wunderschöne Mädchen standen in der Mitte des Zimmers, in dem sich zwei Betten rechts und links an den Wänden befanden. Suitbertus half dem Mädchen gerade, ihr Hemd auszuziehen. Was darunter hervorkam, raubte dem armen Martin beinahe den Atem. Er sah die prallen, großen Brüste, deren Zitzen frech in die Luft stachen. Suitbertus umfasste diese Liebeshügel und drückte heiße Küsse auf die Brustwarzen. Das Mädchen wand sich wolllüstig unter seinen Liebkosungen. Dann riss er sich von ihr los und zog ihr den Rock herunter. Wie eine Prinzessin stieg sie aus dem am Boden liegenden Kleidungsstück und griff dann unter Suitbertus’ Kutte. Sie schien zu reiben. Suitbertus stöhnte hemmungslos. Er riss sich die Kutte vom Leib und warf sie achtlos zu Boden. Martin sah, dass er eine starke Erektion hatte. Schamhaft stellte er fest, dass sie aber nicht so groß war wie seine eigene, die er bisweilen mit gewaltigem Entsetzen auf der Latrine oder nach dem Schlaf bemerken musste. War es nicht der ehrwürdige Kirchenvater Origines gewesen, der sich das Gemächt abgeschnitten hatte, damit er ohne Störungen Gott dienen konnte? Ein weiser Mann!
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