„Chill“, flüstert er sich selber zu. „Chill verdammt noch mal.“
Gegen Mitternacht liegt er auf dem Sofa, als sein Handy vibriert.
Ich fahre heute Abend. Falls du mit willst. Kann gegen halb vier bei dir sein.
Auf einer Party mit seinem Kumpel Erik vor zwei Wochen hat es angefangen. Ehrlich gesagt wollte Ludvig im Bishops bleiben. Aber Erik fand das nicht gut, da seine Ex auf der Party auftauchen sollte. Nein, nicht Ex. „Beziehungspause“, wie Erik recht aggressiv mitteilte und einen Großteil seines Biers verschüttete.
„Wir haben deutlich gesagt, und das denke ich mir nicht aus, wir haben Pause gesagt“, sagte er. Er machte eine Geste zu Samir und Ludvig. „Glaubt ihr mir nicht, oder was?“
Ludvig glaubte ihm kein Stück, sagte aber: „Klar glauben wir dir“, und Samir nickte.
„Ich finde also, dass wir hingehen sollten“, fuhr Erik fort.
Ludvig seufzte kaum hörbar, aber offenbar nicht leise genug.
„Was? Verdammt noch mal, Ludvig, du bist so verdammt lahm. Was sollen wir denn machen, hier sitzen, Bier trinken und uns über Game of Thrones unterhalten?“
„Ja und, warum nicht?“
„Warum nicht? Weil ihr mich zu Tode langweilt! Wir können doch vielleicht mal was anderes machen?“
„Ich gehe auf die Party“, sagte Samir. Erik schlug mit den Armen aus und schrie: „Victory!“, sodass die Gruppe hinter ihnen sich umdrehte. Dann zeigte er mit der ganzen Hand auf Ludvig.
„Die Party ist bei Kalle, kennst du Kalle? Er kennt jedenfalls alle heißen Bräute, die auf die TH gehen.“
Ludvig lachte. „Alle?“
„Alle! Ich schwör dir. Es ist krank, aber wahr. Ich weiß, dass du die eine geil findest, wie heißt sie noch? Linnea?“
„Aber Linnea findet mich zu hundert Prozent ungeil“, sagte Ludvig und wischte sich mit den Händen über den Kopf. Sein Kurzhaarschnitt war noch recht neu, und wenn er nicht wusste, wohin mit den Händen, fuhr er sich über die raspelkurzen Haare.
„Stimmt gar nicht!“, rief Erik. „Vielleicht zu siebzig oder achtzig Prozent, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Er hob das inzwischen halbleere Bierglas. „Wenn es nicht Linnea ist, dann gibt es dort mindestens noch zwanzig andere Frauen, das verspreche ich dir.“ Er hielt noch immer sein Bierglas in die Luft. Ludvig hob seins hoch und stieß mit ihm an.
Es stellte sich heraus, dass Kalle zwar nicht alle Frauen an der TH kannte, aber doch fast alle. Die Party fand in seiner Dreizimmerwohnung statt, die aus allen Nähen platzte. Erik sah so überdreht aus, als würde er sich gleich einkacken. Sie hatten kurz bei ihm angehalten, um Wodka und Gras zu holen, und Ludvig fühlte sich gut. Linnea war nicht da, aber eigentlich war sie ohnehin zu jung für ihn. Außerdem stand da Fatima in der weltengsten Jeans und redete mit ein paar Typen, die aussahen, als würden sie Wirtschaft studieren.
Er ging zu ihr und legte ihr die Hand auf den unteren Rücken. Als sie sich umdrehte, sagte er lächelnd: „Hallo Fatima“. Er sah süß aus, wenn er lächelte, das wusste er. Sie umarmte ihn. Ihre langen Haare rochen gut. Er begrüßte die anderen, blieb aber dicht bei ihr stehen. Ihr schien es egal zu sein und sie sah ihn an, wenn sie lachte. Sie sprachen über die letzte Staffel von Hochzeit auf den ersten Blick und es war überhaupt nicht interessant, aber Fatima fand es lustig, dass er keine Folge gesehen hatte und erzählte alle Intrigen für ihn nach. Ludvig lächelte und sah sich verstohlen in der Wohnung um. Fatima redete weiter, aber Ludvig hörte nicht mehr zu.
Hinten im Zimmer stand ein dunkelhaariger Typ an die Wand gelehnt. Er sah Ludvig mit eisblauen Augen an. Kurzzeitig hielt er den Augenkontakt und lächelte. Ein schiefes, flüchtiges Lächeln, dann sah er fort. Ludvigs Magen zog sich zusammen, als wäre er geschlagen worden. Erst redete er sich ein, dass es Unbehagen war, aber es war tatsächlich eine Anziehung. Der Typ war zweifellos der hübscheste, den Ludvig je gesehen hatte. Vielleicht nicht objektiv – er sah scharfkantig und fast böse aus, wie ein Wolf. Er sah aus, als hätte er sich irgendwann mal die Nase gebrochen.
Er war jetzt nicht unglaublich schockiert, er hatte … bereits mehr herumprobiert als der Durchschnittstyp, könnte man sagen. Aber die Gedanken, die ihm jetzt kamen, ließen ihn erröten. Er hätte alles dafür gegeben, diesem Typen jetzt einen zu blasen. Das Bedürfnis brannte in seinem Inneren. Er wollte den schweren Schwanz in seine Hand nehmen und dass der Typ in sein Gesicht kam.
„Ludvig?“ Fatima. Sie hatte ihm anscheinend eine Frage gestellt.
Er sah sie an.
„Was?“
„Wen kennst du noch mal in Årsta?“
Ludvig sah wieder zu dem Typen, aber er war nicht mehr da. Erik saß knutschend mit einem Mädchen auf dem Sofa, das auf keinen Fall seine Ex war, aber der Wolfstyp war weg.
„Mm“, sagte er.
„Was?“
„Sorry, ich muss mal.“
Er ging im Zickzack durch die Menschenmenge und checkte in Küche und Toilette, ehe er sich auf den Balkon drängelte.
Da stand er, mit dem Rücken zur Tür, in einem dünnen, dunkelblauen Anorak und rauchte.
Er drehte sich um, als Ludvig die Tür schloss, schien aber nicht verwundert über dessen Auftauchen zu sein, aber warum hätte er das auch sein sollen.
„Hi“, sagte er nur.
Ludvig nickte.
„Hast du Feuer?“
Der Wolfstyp streckte es ihm hin. Ludvig rauchte normalerweise keine Zigaretten, aber jetzt musste er ja. Der Gedanke, dass Erik, Samir oder irgendjemand sonst auf den Balkon kommen und diese Tatsache ausplaudern könnte, machte ihn unglaublich nervös. In der warmen Wohnung hatte er sich betrunken und entspannt gefühlt. Draußen rauschte das Blut durch seine Adern und sein Kopf war klar und nüchtern mit kerzengeraden Gedanken darin.
„Max“, sagte der Wolfstyp.
„Was?“
„Ich heiße Max.“
„Ludvig.“
Ludvig reichte ihm den fertigen Joint, den er in seiner Brieftasche hatte.
„Willst du lieber den?“, fragte er, die Zigarette noch immer im Mundwinkel.
Max schüttelte den Kopf.
„Das mach ich nicht.“
Ludvig steckte ihn wieder weg.
„Rauch du ruhig, wenn du willst“, sagte Max.
„Passt schon. Magst du kein Gras?“
Max lachte kurz und hart auf, dann lächelte er.
„Hab es geliebt. Aber jetzt nehme ich … andere Fluchtwege.“
Ludvig nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. Er war sich nicht sicher, was er antworten sollte, ob Max weitere Fragen erwartete oder nicht. Aber seine Neugier siegte.
„Was denn?“
Max blieb stumm.
„Irgendwelche Drogen?“, fuhr Ludvig fort, aber Max lächelte wieder dieses schiefe Lächeln und sagte dann:
„Nein, meistens fahre ich.“
Jetzt sah Ludvig so verwirrt aus, dass Max ohne weitere Fragen fortfuhr:
„Rennen, Dragracing, oder nur rumfahren. Nachts. Das …“, er zeichnete kleine Kreise in die Luft, „… pustet einen durch und macht einen high.“
Ludvig hatte vergessen weiterzurauchen, und jetzt fiel ihm die Asche auf seine weißen Nike Airs.
„Hast du schon mal in einem Auto gesessen, das mehr als 180 fahren kann?“, fragte Max.
Ludvig schüttelte den Kopf.
„Das ist ein reinigendes Erlebnis.“
Ludvig sah ihn nur an. Er konnte sich normalerweise gut mit jedem unterhalten, aber jetzt fiel ihm nichts mehr ein. Er hatte einen trockenen Mund, sowohl von der Zigarette als auch von der Nervosität.
„Ich geh jetzt mal“, sagte Max und drückte die Kippe aus. Die Enttäuschung breitete sich in Ludvigs Brust aus. „Bleibst du noch da?“ Max sagte das ruhig und melodisch, ohne den Blickkontakt zu verlieren. Er war erschreckend gut im Halten von Blickkontakt. Ludvig sah über das Balkongeländer.
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