„Bist du sauer?“
Max sieht ihn an, als hätte er gefragt, ob sie zusammen einen Schrebergarten kaufen wollen. Für Max die typische Art, die Welt zu beurteilen. Skeptisch und nonchalant.
„Es ist nur …“ Ludvig zeigt auf die volle Straße. „Es gibt keine nichtschwule Erklärung, dass mich irgendein Typ morgens um halb zehn bei der Arbeit absetzt.“
„Was ist deine nichtschwule Erklärung dafür, dass du gerne mit mir fickst?“
Es wird still im Auto, man hört nur noch das laute Surren des Audimotors. Bis Ludvig auflacht und Max ihn sanft in den Bauch schlägt.
„Werd erwachsen und raus aus meinem Auto“, sagt er. Aber seine Stimme ist weich und er lächelt. Schief und gefährlich wie immer.
„Ich texte dir“, sagt Ludvig, als er auf den Fußweg springt.
„Ich weiß“, sagt Max, „du durstige Bitch.“
Ludvig schlägt die Tür zu. Ja, das wissen sie beide.
Sie treffen sich häufig, aber sporadisch. Und als Ludvig an einem lauen Freitag in die Hamngata einbiegt, denkt er, dass er in dieser Nacht Max eine SMS schreiben wird. Das denkt er genau in dem Moment, als er einen mittelgroßen Mann an der Kreuzung sieht, und darum braucht er noch länger, um es zu kapieren. No fucking way. Aber Ludvig kennt diesen Duft, er kann ihn in- und auswendig, er hat sein Gesicht in diesem Nacken vergraben, Spucke, Schweiß und Sperma mit exakt diesem unverwechselbaren Duft aufgeleckt, ist in seinen Schwüren und Laken verschwunden. Und als er dem Mann ins Gesicht sieht, blickt er natürlich in Max‘ eisblaue Augen. Der Mund mit dem schiefen Lächeln. Max‘ Blick auf Ludvig ist der eines Wolfs, und Ludvig ist das Lamm. Er lächelt, als wäre er überhaupt nicht verwundert, ihn hier zu treffen.
„Hi“, quetscht Ludvig hervor. Max hält ihm die Hand hin, sie begrüßen sich und klopfen sich gegenseitig auf den Rücken. Mit einem offenbar besser funktionierenden Gehirn hält Max auch Erik und Samir die Hand hin.
„Dich kenn ich doch“, sagt Samir, als sie sich begrüßen.
„Okay.“
„Ihr wart“, Ludvig muss ich räuspern, sein Hals ist trocken und er stößt die Worte hervor, „sorry, ihr wart auf derselben Party, bei Kalle.“
„Ach so! Du bist Max!“
Max nickt. Er ist fast einen Kopf größer als Erik. Ludvig beißt die Zähne zusammen, um nicht fünfzehn Fragen auf einmal zu stellen. Weiß Erik, wer Max ist? Wissen die Leute, wer Max ist?
„Ich hab echt krasse Sachen über dich gehört“, fährt Erik fort.
„Kalle erzählt voll viel Mist.“
„Also stimmt es nicht, dass du …“
„Nein“, unterbricht ihn Max und sieht Erik dabei mit einem Blick an, der die meisten zum Umkehren bewegen würde. Max‘ Stimme ist häufig bestimmt und laut, Ludvig ist schon daran gewöhnt – Max sagt ihm, was er tun soll. Jetzt schwingt noch etwas anderes mit, etwas Eiskaltes. Die Sache ist, dass Ludvig natürlich weiß, dass Max – um bei Eriks Worten zu bleiben – krasse Sachen macht. Bei ihrem ersten Treffen hatten sie eine Art Nahtoderlebnis, als Max mit zweihundert Sachen ohne Scheinwerfer eine Landstraße entlangraste. Er war dabei, und Max hat ihm diese Dinge nie verheimlicht. Max hatte Angst, dass Erik etwas anderes sagen würde.
Vor zwei Wochen bekam Ludvig eine Nachricht von Max, dass er ein, zwei Wochen lang „unerreichbar“ sein würde und dass Ludvig absolut nicht vorbeikommen oder ihm texten sollte. Ehe Ludvig fragen konnte, was los war, hatte Max gesagt: „Frag nicht, dann lüge ich nicht.“ Vielleicht ist das das gleiche Gefühl wie „Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß“, worauf Ludvig ihre ganze sexuelle Beziehung baut, und die auch Erik stummgeschaltet hat. Stattdessen stellt er eine andere Frage, die Ludvig etwa genauso aufwühlt wie eine Frage über Max‘ kriminelle Machenschaften.
„Ach, wir gehen zum Rose, kommst du mit?“
Max ist, wenn das überhaupt geht, noch sexier als sonst, wenn er zwischen Ludvigs Freunden unterwegs ist. Ludvig macht die Situation zwar nervös, aber Max‘ Anwesenheit in der Gruppe fühlt sich ganz natürlich an. Um die Musik zu übertönen, muss sich Max über den hohen Tisch lehnen, wann immer er etwas zu Samir und Erik sagen will, und dabei stößt er mit seinem Knie gegen Ludvigs. Es ist warm und kribbelt durch die Jeans. Es erregt Ludvig wie wild, dass sie zusammen in der Öffentlichkeit unterwegs sind. Dass Max seiner ist, aber auch wieder überhaupt nicht. Der Nervosität in ihm drin prügelt sich mit dem spannenden, verbotenen Kribbeln. Und jedes Mal, wenn Max‘ Knie das von Ludvig berührt, gewinnt das Kribbeln an Terrain.
Erik zeigt ihnen eine Frau auf Tinder.
„Irre süß, oder?“
Ludvig nickt.
Erik hält Max das Bild hin.
„Würdest du mit ihr schlafen wollen?“
„Kein Stück, aber mach du das mal.“
Ein kalter Schauer durchläuft Ludvig in der heißen Bar. Er lehnt sich zurück, als ob er sich weiter vom Gespräch entfernen wollte.
„Warum nicht?“ Erik scheint verunsichert, als ob er selbst, und nicht die potenzielle Sexgenossin, abgewählt worden wäre.
„Ich schlafe mit Männern.“
Es fühlt sich an, als ob jemand Eis in Ludvigs Magen geschüttet hätte, vielleicht sollte er verwundert tun, irgendwas sagen, aber er kann den Blick nicht von Erik und Samir lassen. Es ist nicht so, dass sie in irgendeiner Weise je homophob waren, aber diese Welt hat überhaupt nichts mit ihren Kreisen zu tun. Außer, dass zwei der vier Personen an diesem Tisch miteinander schlafen.
„Echt?“, fragt Erik schließlich.
„Echt.“
„Sorry, wenn das eine blöde Frage ist, aber kann man dann so viel Sex haben, wie man will?“, fragt Samir. „Ihr habt doch diese Sex-App, oder? Grind?“
„Grindr.“
„Ach, Grindr! Ist das so, dass ihr quasi immer Sex haben könnt?“
„Das kommt drauf an.“
„Ob man gut aussieht oder was? Interessiert Schwule so was?“
Ludvig muss dieses idiotische Gespräch ganz, ganz dringend beenden.
„Schreibst du der Tussi jetzt oder lädst du dir Grindr runter?“, schnappt er ein bisschen zu aggressiv.
Er nimmt das Bierglas in beide Hände. Sie sind verschwitzt.
„Ich schreibe gar nichts. Grindest du dir jemanden nach Hause?“
Die Frage geht eindeutig an Max. Es sieht so aus, als würde er darüber nachdenken, ehe er eine Sekunde später, oder sogar noch schneller, Ludvig einen Blick zuwirft.
„Nee, ich werde wohl dem Typen texten, mit dem ich immer ficke. Wenn er wach ist, kommt er. Das macht er immer.“
Als Max das sagt, drückt er sein Knie an Ludvigs, diesmal ganz eindeutig mit Absicht.
„Nice“, sagt Samir.
„Ist er willig?“
„Willig?“ Max lacht. „Und wie willig der ist. Eine echte pillow princess “, sagt er und beugt sich nach vorn. Unter dem Tisch legt er seine warme Hand auf Ludvigs Bein.
„Was?“, stößt Ludvig hervor und bereut es sofort. „Was bedeutet das überhaupt?“, fragt er trotzdem.
Er kann Max nicht ansehen, er wird explodieren und sterben. Er reibt mit den Händen über seine Haarborsten und sieht auf den Tisch.
„Das heißt, dass er gerne entgegennimmt.“
Max gräbt seine Finger in die Innenseite von Ludvigs Schenkel, aber sein Blick bleibt fest.
Alle lachen laut, aber Ludvig sieht nicht auf. Es flimmert in seinen Augenwinkeln und sein gesamtes Blut hat sich an seinem rechten Innenschenkel versammelt. Max‘ Finger brennen sich durch seinen Jeansstoff, als sie näher in Richtung Schritt gleiten. Er hört wie unter Wasser, wie das Gespräch weitergeht, über etwas anderes als seine eigene Unterwerfung, hofft er. Und doch, ohne zu zögern rückt er näher an Max und den Tisch. Er drückt seinen ganzen Schenkel gegen den von Max und knetet seine Hände fest auf die Tischoberfläche. Ihre Arme berühren sich nicht ganz gegenseitig, aber sie sind sich so nah, dass die Haare sich auf Ludvigs Oberarm aufstellen. Er drückt die Hände zusammen, bis seine Knöchel weiß werden, um sich nicht automatisch auf ihn zu werfen, aber auch, um Max‘ kleine, kaum merkliche Bewegungen vor den anderen zu verbergen. Die Bewegungen, wenn er den kleinen und den Ringfinger so weit den Oberschenkel hinaufgleiten lässt, dass er, ja, nicht mehr am Oberschenkel ist. Max plaudert normal weiter, während er Ludvig zunächst an der Lende streichelt, und dann über den Schwanz unter der Jeans, der merkbar hart wird.
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