65Die Videoverhandlung(§ 128a), entspricht trotz eingeschaltetem Medium dem Unmittelbarkeitsgrundsatz, 22da zwar Ortsverschiedenheit, aber doch Simultaneität und direkter sowohl mündlicher als auch visueller Kontakt zwischen Gericht und Partei gegeben sind. Die Videoverhandlung muss im Übrigen derzeit so stattfinden, dass jedenfalls der Richter sich am Gerichtsort, d. h. in einem Sitzungszimmer des Gerichts aufhält.
V.Der Grundsatz der Öffentlichkeit
66Im Zivilprozess herrscht der Öffentlichkeitsgrundsatz. Das bedeutet, jeder Mensch kann an einem solchen Verfahren als Zuhörer und Zuschauer teilnehmen bis der Gerichtssaal keinen Raum mehr bietet – ein größerer Saal muss nicht beschafft werden 23–, der gesamte Haupttermin ist öffentlich. Das gilt für die mündliche Verhandlung und die Beweisaufnahme ebenso wie für die Urteilsverkündung. Auch wenn die Möglichkeit teilzunehmen seltener wahrgenommen wird, als man vielleicht vermuten würde, hat der Öffentlichkeitsgrundsatz einen bedeutsamen staatspolitischen Hintergrund. Durch die Öffentlichkeit soll Geheimjustizverhindert werden; die Gerichte sollen nicht hinter verschlossenen Türen tagen, sondern durch das Volk, vertreten jeweils durch die konkret teilnehmende Öffentlichkeit, kontrolliertwerden. Letztlich soll dies auch das Vertrauen der Bürgerin die Rechtspflege stärken, denn Misstrauen kann vielfach durch Intransparenz entstehen, Vertrauen durch Beobachtung verantwortungsvoll tätiger Staatsorgane gefördert werden. Die staatspolitische Bedeutung zeigt sich im Übrigen darin, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz kein dem Zivilprozess spezifisches Prinzip ist, sondern gerichtsverfassungsrechtlichverankert ist (§ 169 GVG). 24Verletzungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes sind im Zivilprozess ein absoluter Revisionsgrund: Bei einem Urteil, das unter unberechtigtem Ausschluss der Öffentlichkeit gefällt wurde, wird vermutet, dass die Urteilsfindung auf dem mit der Revision gerügten Rechtsfehler beruht, § 547 Nr. 5. Darüber hinaus ist der Öffentlichkeitsgrundsatz auch in Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK festgeschrieben.
67Eine Videoverhandlungnach § 128a ZPO genügt dem Öffentlichkeitsgrundsatz, da sie am Gericht stattfindet, und die Parteien bzw. deren Vertreter nur aus der Ferne zugeschaltet werden. Eine voll virtuelle Verhandlung, die derzeit noch nicht möglich ist, aber de lege ferenda diskutiert wird, könnte etwa in einen Saal im Gericht oder sogar als Livestream übertragen werden. 25 Ton- oder Filmaufnahmenzum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung sind nach geltendem Recht unzulässig (§ 169 Abs. 1 S. 2 GVG). Davon sind Abweichungen nur im Falle herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung des Verfahrens (§ 169 Abs. 2 GVG) und bei der Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs möglich (§ 169 Abs. 3 GVG). 26
68Privat- und Geschäftsgeheimnisse sollen in einigen Fällen nicht der Öffentlichkeit zugänglich sein. Dabei sieht das Gerichtsverfassungsrecht selbst einige Ausnahmen vom Öffentlichkeitsgrundsatz zum Schutz der Privatsphäreoder im Interesse eines geordneten Ablaufs des Verfahrensvor (s. §§ 170–175 GVG). Durch das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) 27werden Geschäftsgeheimnisseauch im Zivilprozess geschützt. Die Öffentlichkeit endet, wenn Abstimmung und Beratung des Gerichts stattfinden.
69Von der Öffentlichkeit für jedermann zu unterscheiden ist die sog. Parteiöffentlichkeit, die letztlich die Möglichkeiten der Parteien beschreibt, über den Ablauf des Verfahrens, die Handlungen des Gerichts und der Gegenseite jederzeit informiert zu sein. Sie drückt sich aus im Recht auf Akteneinsicht (§ 299) und insbesondere in der Möglichkeit, der Beweisaufnahme beizuwohnen (§ 357 Abs. 1). Das gilt auch für Beweisaufnahmen außerhalb des Haupttermins. Dieses Recht steht der sonstigen Öffentlichkeit nicht (vollumfänglich) zu.
VI.Die Konzentrationsmaxime
70Zum effektiven Rechtsschutz, den die Verfassung in Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgt, gehört auch, dass ein Verfahren sich nicht unangemessen in die Länge zieht. Eine überlange Verfahrensdauer beeinträchtigt wirkungsvollen Rechtsschutz. 28Eine Verhandlung und Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist entspricht dem Gebot des fairen Verfahrens gemäß Art. 6 EMRK (Rn. 90). Ein Verfahren soll schnell und konzentriertseinen Gang nehmen. Es darf dabei jedoch nicht zu oberflächlicher Tatsachenfeststellung und Rechtsfindung kommen, denn das Ziel des Verfahrens bleibt die Rechtsfindung auf Basis der Wahrheit. Auch zum Grundrecht auf rechtliches Gehör (Rn. 79) steht die Verfahrensbeschleunigung in einem gewissen Spannungsverhältnis. 29Die Prozessförderungspflicht der Parteien führt außerdem zu einer Einschränkung des Grundsatzes der Einheit der mündlichen Verhandlung (Rn. 61). Es geht bei der Konzentrationsmaxime deshalb um gleichzeitig sorgsame und schnelle Rechtsfindung.Diesem Ziel versucht das Zivilprozessrecht auf mehreren Wegen nahezukommen:
1.Prozessförderung durch das Gericht
71Das Gerichtist aufgerufen, den Rechtsstreit möglichst auf einen umfassend vorbereiteten Hauptterminzu konzentrieren, § 272 Abs. 1. Der Richter sollte also den Termin so vorbereiten, dass er den Rechtsstreit tatsächlich dort erledigen kann. Er kann dabei die Verfahrensweise der Vorbereitung bestimmen, indem er entweder ein schriftliches Vorverfahren oder einen frühen ersten Termin wählt (§ 272 Abs. 2). Er kann den Parteien Fristen für ihre Schriftsätze setzen, sollte Zeugen und Sachverständige rechtzeitig laden, Urkunden rechtzeitig anfordern, einen Augenschein anberaumen (§ 273) und kann bereits einen Beweisbeschluss erlassen (§ 358a). Das Gericht soll sich bei seiner Vorbereitung an der Komplexität des Falles orientieren und darf dabei die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung nicht unzumutbar in die Länge ziehen. 30Bei überlangen Gerichtsverfahren gibt es einen Entschädigungsanspruch gegen das Land und den Bund (§§ 198–201 GVG). 31
2.Prozessförderung durch die Parteien
72Auch die Parteien sind verpflichtet, den Prozess möglichst zu beschleunigen und nicht zu verschleppen. § 282 sieht ausdrücklich Prozessförderungspflichten der Parteien vor. § 282 Abs. 1 verpflichtet generell zum zeitigen Vorbringen der Angriffs- und Verteidigungsmittel in der mündlichen Verhandlung. § 282 Abs. 2 betrifft die rechtzeitige schriftsätzliche Vorbereitung, und § 282 Abs. 3 gebietet das gleichzeitige und vorrangige Vorbringen sämtlicher Zulässigkeitsrügen.
73Verstößt eine Partei gegen diese Prozessförderungspflicht oder hält sie eine vom Gericht gesetzte Frist nicht ein, so hat dies Konsequenzen. Unter den in §§ 296, 296a genannten Voraussetzungen kommt es zur Zurückweisung eines verspäteten Angriffs- oder Verteidigungsmittels. 32Das bedeutet, es wird bei der Entscheidung nicht berücksichtigt; vielmehr ist vom Vortrag des Gegners auszugehen. Auch was die Prozesskosten angeht, kann Prozessverschleppung zu Nachteilen führen, weil der verzögernden Partei Kosten auferlegt werden können, obwohl sie den Prozess gewonnen hat (z. B. §§ 95, 97 Abs. 2, 238 Abs. 4, 344).
74Es kann freilich durchaus berechtigter Prozesstaktikentsprechen, ein Angriffs- und Verteidigungsmittel zunächst zurückzuhalten. Wenn dadurch eine vom Gericht gesetzte Frist (§ 296 Abs. 1) versäumt wird, führt dies regelmäßig zur Zurückweisung. Nicht einfach zu handhaben sind aber Verstöße gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht (§ 282 Abs. 1).
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