1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Bsp.:Bestreitet der Beklagte, am Tag des Vertragsschlusses sei schönes Wetter gewesen, wie es der Kläger behauptet, so ist dies im Hinblick auf die schlüssige Klage aus dem Vertrag unerheblich.
Bsp.:Der Anspruch des Klägers erfordert einen wirksamen Vertragsschluss für seine Schlüssigkeit und der Beklagte trägt vor, er sei beim angeblichen Abschluss des Vertrages nicht anwesend gewesen und habe auch niemanden bevollmächtigt. Dies ist ein erhebliches Vorbringen gegen den Klägervortrag, da es die Schlüssigkeit eines vertraglichen Anspruchs des Klägers erschüttert.
57Auch hier (wie bei der Schlüssigkeit Rn. 51) gilt insofern der enge Bezug zu den Normen des materiellen Rechts, um die Erheblichkeit des Klägervortrags festzustellen. Nur wenn der Beklagte etwas vorträgt, was tatsächlich den durch den Klägervortrag ausgefüllten materiell-rechtlichen Tatbestand entfallen lässt, liegt erheblicher Beklagtenvortrag vor.
58Nicht erheblich ist im Übrigen, wenn der Beklagte zwar andere als die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen behauptet, sich aber auch nach dieser Behauptung der klägerische Anspruch ergibt (sog. gleichwertiges = äquipollentes Parteivorbringen).
Bsp.:Der Kläger behauptet, zwischen ihm und dem Beklagten sei ein Vertrag geschlossen worden und der Gehilfe des Beklagten habe Nebenpflichten aus diesem Vertrag verletzt, indem er das Eigentum des Klägers beschädigt habe (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 278 BGB). Der Beklagte bestreitet (lediglich) den Vertragsschluss mit der Begründung, man sei über das Verhandlungsstadium nicht hinausgekommen. Dieses Vorbringen ist gleichwertig (äquipollent) zu dem des Klägers im Hinblick auf den vom Kläger begehrten Schadensersatz (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 278 BGB) und deshalb nicht erheblich. Die Rechtsprechung setzt für die Verwertung des gleichwertigen Parteivorbringens freilich voraus, dass der Kläger sich das gegnerische Vorbringen zumindest hilfsweise zu eigen macht und nicht bestreitet. 16
59 c) Beweiserhebung.Grundsätzlich muss über die erheblich bestrittenen Tatsachen durch ein angebotenes Beweismittel Beweis erhoben werden (Rn. 343 ff.). Da jede Partei die Beweislast für Tatsachen, die für sie günstig sind, trägt (Rn. 46), muss sie Beweis anbieten und verliert den Prozess, wenn ihr der Beweis nicht gelingt.
III.Der Grundsatz der Mündlichkeit
60Der Zivilprozess ist nach dem gesetzlichen Idealbild ein mündliches Verfahren (§ 128 Abs. 1). Die mündliche Verhandlung ist das Kernstück des Zivilprozesses (Rn. 12). Ohne mündliche Verhandlung darf ein Urteil grundsätzlich nicht erlassen werden. 17In der mündlichen Verhandlung sieht das Gesetz die Verlesung der Anträge (§ 297 Abs. 1) und den freien Parteivortrag (§ 137 Abs. 2) vor. Das Urteil selbst ist mündlich zu verkünden, das heißt vorzulesen (§ 311 Abs. 2 S. 1, Abs. 3). Entscheidende Folge des Mündlichkeitsgrundsatzes ist vor allem, dass nicht der schriftliche Akteninhalt bedeutsam ist, sondern nur das in der mündlichen Verhandlung Vorgetrageneund Erörterte Grundlage der Urteilsfindungwird. Dem Mündlichkeitsprinzip wird auch durch die Videoverhandlung(§ 128a) genügt, denn immerhin ist sie fernmündlich. 18Die Möglichkeit der Videoverhandlung wird – auch in Folge der COVID-19-Pandemie – inzwischen immer häufiger genutzt, wobei die Gerichte hier sehr unterschiedlich agieren. 19
61Die mündliche Verhandlung ist als Einheitanzusehen, selbst wenn mehrere Termine anberaumt werden. Folge dieser Einheit der mündlichen Verhandlung ist, dass es keine Rolle spielt, wann eine Partei bestimmte Tatsachen zur Anspruchsbegründung oder zu Einreden vorträgt oder bestreitet. Alles, was bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorgetragen wurde, wird Prozessstoff. Dabei sind die Parteien allerdings im Rahmen ihrer Prozessförderungspflicht (Rn. 72 ff.) zum konzentrierten Vortrag verpflichtet (§§ 282, 296). Da Zulässigkeitsrügen vor der Verhandlung zur Hauptsache vorzubringen sind (§ 282 Abs. 3), Fristen für sonstiges Vorbringen vom Gericht gesetzt werden können (§ 296 Abs. 1) und im Übrigen Angriffs- und Verteidigungsmittel so früh wie möglich vorzubringen sind (§ 282 Abs. 1 und 2), reicht es nicht aus, „irgendwann“ im Lauf der mündlichen Verhandlung aktiv zu werden.
62Wer einmal eine mündliche Verhandlung vor einem Zivilgericht miterlebt, wird an Plädoyers der Anwälte und mündlichem Streitgespräch oft wenig erleben. Das Mündlichkeitsprinzip wird in der Praxis deutlich anders gelebt, als bei Einführung der ZPO einmal gedacht. In aller Regel wird nämlich eine mündliche Verhandlung durch den Richter und die Anwälte schriftlich vorbereitet, §§ 129, 273. Im schriftlichen Vorverfahren können im Falle von Säumnis oder Anerkenntnis sogar Urteile ergehen, die ohne mündliche Verhandlung und Verkündung Wirksamkeit entfalten (§§ 276 Abs. 2, 331 Abs. 3, 307 S. 2, 310 Abs. 3). Auch wenn kein schriftliches Vorverfahren, sondern ein früher erster Termin angeordnet ist, bereitet der Richter das Verfahren schriftlich vor, § 275 Abs. 1, 4. Die vorbereitenden Schriftsätze der Parteien kündigen zwar einen Sachvortrag und den Klageantrag nur an; aber die Möglichkeiten zur mündlichen Bezugnahme auf schriftlich Eingereichtes spielen eine besondere Rolle (§§ 137 Abs. 3, 297 Abs. 2), so dass ohne Kenntnis der schriftlichen Akten ein Verständnis des Inhalts einer mündlichen Verhandlung kaum möglich ist. Die Möglichkeiten zum schriftlichen Verfahren mit Zustimmung der Parteien, zur fakultativen Mündlichkeit bei Entscheidungen nur über Kosten, Ergänzungen oder vorläufige Vollstreckbarkeit sowie bei Beschlüssen und Verfügungen (§§ 128 Abs. 2–4, 321 Abs. 3 S. 3, 718 Abs. 2 S. 2) zeigen weitere Ausnahmen vom Mündlichkeitsprinzip. 20Auch an anderen Stellen der ZPO ist entweder zwingend oder fakultativ ein schriftliches Verfahren vorgesehen, etwa beim Verfahren vor dem Amtsgericht, § 495a. Im Zuge der durch die COVID-19-Pandemie noch verstärkten Digitalisierung des Zivilprozesses wird derzeit auch über die Einführung eines Online-Verfahrens, das gänzlich ohne mündliche Verhandlung abläuft, diskutiert. 21
IV.Der Grundsatz der Unmittelbarkeit
63§ 128 ZPO bringt neben der Mündlichkeit (Rn. 60) eine weitere Maxime des Zivilprozesses zum Ausdruck, nämlich den Unmittelbarkeitsgrundsatz. Die Parteien verhandeln vor dem erkennenden Gericht, also demjenigen Gericht, das später auch das Urteil fällt. Ein Urteil kann nur von denjenigen Richtern gefällt werden, welche der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben, § 309. Unmittelbarkeit bedeutet also, dass das entscheidende Gericht auch die Verhandlung und die Beweisaufnahme durchgeführt haben muss. Nur dann kann es ein Urteil erlassen und verkünden. Dem persönlichen Eindruckvom Begehren der Parteien und vor allem von der Beweisaufnahme (§ 355) wird damit zu Recht wichtige Bedeutung beigemessen. Mittelspersonendürfen nicht eingeschaltet werden. Von einer mündlichen Verhandlung oder Beweisaufnahme darf dem Gericht etwa nicht lediglich durch eine andere Person oder Institution berichtet werden. Ein Richter darf bis zur Urteilsverkündung nicht ausgewechselt oder vertreten werden, zumindest muss der neue Richter am letzten Termin der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben.
64Wie wichtig im Zivilprozess der persönliche Eindruck des entscheidenden Richters ist, zeigt sich etwa daran, dass eine Beweisaufnahme grundsätzlich durch das Prozessgericht stattzufinden hat (§ 355 Abs. 1); durch den beauftragenoder ersuchten Richter(§ 375 Abs. 1) oder durch schriftliche Antworten zur Beweisfrage (§ 377 Abs. 3) ist eine Zeugenvernehmung nur zulässig, wenn eine sachgemäße Beweiswürdigung möglich bleibt. Ausnahmsweise können Teile eines Rechtsstreits, etwa eine Beweisaufnahme (§§ 372 Abs. 2, 375, 402, 434, 451), die Abnahme eines Geständnisses (§ 288 Abs. 1) oder ein Güteversuch (§ 278) auf einen beauftragten (§ 361) oder einen ersuchten Richter (§ 362) übertragen werden. Ist ein originärer (§ 348) oder obligatorischer (§ 348a) Einzelrichtertätig, ist ihm und nicht dem Kollegium die Entscheidung übertragen, so dass dem Unmittelbarkeitsgrundsatz genügt ist. Dem Vorsitzenden Richter einer Kammer für Handelssachen ist hingegen nur in Ausnahmefällen die Beweisaufnahme ohne Teilnahme der anderen Kammermitglieder erlaubt (§ 349 Abs. 1 S. 2).
Читать дальше