Ah! Da ist die Fähre ja. Wo blieb sie denn so lange? Die kleine Crew von nur vier spanischen Seemännern einschließlich dem Kapitän, händigt in Windeseile die wenigen Koffer aus dem Bug der Fähre aus und entlässt die ein wenig blass wirkenden Gäste vom Schiff. Wir können auf das Schiff klettern und ohne Umstände legt die kleine Fähre sofort wieder ab, um erneut auf den offenen Atlantik zu schippern. Als wir den sicheren Hafen verlassen, peitschen sofort riesige Wellen auf uns zu. Ich setze mich mit Miki auf meinem Schoss mittig des Schiffes, quasi auf die Kiellinie. Die liegt nicht etwa im schleswig-holsteinischen Kiel, obwohl doch, zu Hause in Kiel heißt unsere Promenade am Wasser tatsächlich Kiellinie! Was ich jetzt meine, ist jedoch die Mitte des Schiffes. Quasi von Spitze zu Spitze entlang des Bootsbodens. Jeden zehnten Passagier erwischt es übrigens, hab ich mal irgendwo gelesen. Entweder hängt er über der Reling, weil er bei hohem Wellengang seekrank wird oder versucht die Toilettenschüssel zu treffen. Was nicht leicht ist bei ordentlich Seegang!
Ich werde nicht seekrank. Miki, mein Söhnchen scheint auch mit seinen von Big geerbten Wikingergenen seefest zu sein. Nach einigen „wuaah“ und „ohhh“, zum Glück kein „würg“ seitens meiner mitreisenden Schiffspassagiere, kommen wir ebenfalls ordentlich verspätet aber heil im Hafen Corralejos an, wo Ilka schon ungeduldig wartet. „Hola Chica, da seid ihr ja!“ ruft Ilka und winkt uns zu.
„Na, war halt bisschen wellig und die Nussschale musste einen Bogen fahren“ antworte ich grinsend, dann umarme ich sie.
„Frohes Neues Ilka, wie war es bis jetzt hier auf Fuerte?“
„Gut, bis zum ersten Januar richtig gut. Dann gab’s nur noch Cross-Off und Weißwassermassen. Nichts Surfbares. Seit Tagen. Uns fällt schon die Decke auf den Kopf! Schön, dass ihr beiden für Abwechslung sorgt. Ich war schon einkaufen, um uns heute Abend etwas Schönes zu kochen.“
„Das ist super lieb von Dir, Ilka“ freu ich mich endlich auch mal umsorgt zu werden. „Immerhin hab ich das Jahr angesurft und war kurz im Meer, aber dann hab ich wohl mein Brett umsonst mitgeschleppt, was?“
„Morgen soll der Sturm vorbei sein, Eddie. Die Wellen sind zwar flat, aber dein Brett kannst Du dennoch brauchen, es wird eine Surferverabschiedung geben. Wäre schön, wenn du mitkommst.“
„Ach Du grüne Neune, Ilka, wie schrecklich! Was ist passiert?“ frage ich erschrocken.
„Ein junger Surfer hier aus Corralejo ist bei Euch in Famara am ersten Januar morgens gegen elf Uhr ertrunken.“
„Waaaaas?“ - rufe ich entsetzt. “Der ist abgesoffen? Du meinst richtig ertrunken?“
„Sag jetzt nicht, Du hast nichts mitbekommen Eddie? War doch vor Deiner Haustür?“ wundert sich Ilka.
„Ne, echt nicht, ich war drin im Meer, ganz alleine, weit und breit kein Mensch, weder am Strand noch im Wasser und ich hatte plötzlich ein richtiges scheiss Gefühl. Sowas hatte ich noch nie. Fast schon wie Panik. Bin dann raus, hab nur gemerkt das es ordentlich reinzieht!“
Ich mache eine Pause und denke nach.
„Später haben wir eine Pancake-Frühstücks-Party zelebriert. Du weißt ja, das ein paar Leute für einen Dreh mit dabei sind. Wir waren aus und haben getanzt bis in die Puppen. Wir haben echt nichts mitbekommen.“
„Hier auf der Insel gab es seit dem ersten Januar morgens kein anderes Thema, Eddie, sei froh das ihr das nicht mitbekommen habt.“
Ilka seufzt. „Der junge Surfer war ein Freund von Hauke!“
Ilka schweigt kurz und schaut mich nachdenklich mit ihren tiefblauen Kornblumen Augen an. „Dem geht es jetzt echt mies, eigentlich wollten sie zusammen surfen gehen. Hauke hatte jedoch noch einen Kater von Silvester und deshalb kurzfristig abgesagt. Er macht sich nun mega Vorwürfe. Bitte komm mit Eddie!“
„Ach Ilka, ich komme gerne mit und bleibe an Eurer Seite. Wir müssen nur jemanden finden, der auf Miki aufpasst, dann bin ich dabei. Das ist ja mal ein trauriger Jahreswechsel. Aber irgendwie hatte ich es im Gefühl. Das etwas passiert. Krass!“Zwei Tage später paddeln wir stillschweigend zusammen mit knapp dreißig Surfern auf das offene, nun wieder beruhigte, Meer hinaus.
Die meisten haben sich Blumenkränze umgehängt oder einfach ein kleines Sträußchen zwischen die Zähne geklemmt, um die Hände zum Paddeln frei zu haben.
Am Horizont entdecke ich einige kleine, sanfte Longboardwellen. Es sind die sanften Reefbreak-Wellen vor dem kleinen Fischerdorf Majanicho.
Es herrscht absolute Windstille bei kleinem Swell. Auf ein Kommando bilden wir einen großen Kreis. Mit den Boardnasen, also dem Bug unserer Bretter, schauen wir in den Kreis.
Ich schaue mich vorsichtig um, erkenne kaum ein Gesicht. Obwohl es eine traurige Veranstaltung ist, sehe ich viele der anderen Surfer lächeln oder fröhlich quatschen.
Neben mir auf Ihren Longboards fassen sich das norddeutsche Fallschirmspringerpärchen Hauke und Ilka an den Händen.
Dann fasst Ilka auch meine rechte Hand, meine Linke ein mir unbekannter junger Shortboarder. Er hat schwarze Haare und einen Dreitagebart, er sieht aus wie ein kleiner Ghettojunge. Ich tippe auf einen jungen Local aus Fuerte.
Ich schaue in die ganze Runde. Ich sehe Jungs und Mädels. Achtzehnjährige und einen knapp sechzigjährigen braungebrannten Mann mit schütterem, schneeweißem Haar.
Ob Beach Boy, Soul Surfer oder Körperfanatiker, die Surfer und ihre Boards sind so vielfältig, wie die Wellen die sie reiten.
Aber hier und heute sind sie nun alle vereint, zu einer rituellen Surferverabschiedung.
„Das ist seine Freundin.“ Ilka drückt leicht meine Hand und deutet auf eine wunderhübsche, junge Blondine auf einem Shortboard.
„Antonio hinterlässt ein kleine Tochter von nur drei Monaten.“ raunt sie mir zu.
„Wie traurig!“ flüstere ich tief berührt.
Die junge blonde Frau hebt einen Arm. Die Gespräche ebben abrupt ab. Sie sagt etwas, das ich auf die Entfernung nicht verstehe. Wie bei Stille Post flüstert mir nun von links der junge Shortboarder etwas zu. Ich verstehe „Minuto de Silencio“ und nicke ihm dankbar zu.
Wir gedenken dem Surfer gemeinsam mit einer Schweigeminute. Stille. Eine Möwe kreischt irgendwo. Dann wieder Stille.
Einzig kleine, seichte Wellen, die an unsere Surfboards schwappen, sind zu hören.
Ich denke an den Sturm und daran, dass es auch mich hätte erwischen können. Denn ich war ja die Einzige, die an dem Morgen des ersten Januar in Famara auf das offene Meer rausgepaddelt ist.
Dann denke ich an den jungen Surfer, der niemals wiederkommt. Und an das kleine Mädchen, das nun keinen Papa mehr hat. Mein Herz zieht sich zusammen. Ich denke an Miki.
Stillschweigend erweise ich dem unbekannten Surfer die letzte Ehre. Und danach gebe ich mir selbst ein heiliges Versprechen. Wie unbedarft und leichtsinnig ich doch in den letzten Jahren gelebt habe, ob gefährliche Brandungen oder Fallschirmsprünge – ich muss nun fast über meinen eigenen Wortwitz lachen – es war doch alles sehr übermütig.
„In High Tide and Low Tide - I´ll be by your Side“
“Ob Flut oder Ebbe, ich bleib an deiner Seite!” verspreche ich Miki meinem Söhnchen still und heimlich in meinem Herzen.
Читать дальше