Wir erinnern uns. Schon damals, Urvätergeschichte. Der berühmt berüchtigte Gang Abrahams zum Berge Moria. „Und Gott sprach, nimm deinen Sohn, deinen einzigen, Isaak, und geh in das Land Morija, und opfere ihn daselbst…“ (Gen22,2;) so haben wir im Hebräisch-Kurs übersetzt. Aber ich erinnere mich auch noch sehr genau an den Vers 1: „Da versuchte Gott den Abraham…“ (hebr.: Wö ha Elohim nisa ät Abraham) Es ging auch da schon ganz klar nicht mehr um Opfer von Söhnen und Töchtern (Vgl.: Jes 57,5; Hes. 16,20;). Ganz im Gegenteil: Gerade damit hat Gott gezeigt, dass er solches NICHT will, was Götzen vermeintlich von ihren Anhängern – so meinten die Menschen – gefordert hätten. KLARES NEIN von Gott. Warum in aller Welt sollte er es dann „vorbildlich“ an seinem eigenen Sohn so praktizieren??? Widersinniger geht’s ja gar nicht mehr.
Mitten im alten Testament sagt Gott es unmissverständlich: Jes 66,2-4:
„Meine Hand hat alles gemacht, was da ist, spricht der HERR. Ich sehe aber auf den Elenden und auf den, der zerbrochenen Geistes ist und der erzittert vor meinem Wort.
Wer einen Stier schlachtet, gleicht dem, der einen Mann erschlägt; wer ein Schaf opfert, gleicht dem, der einem Hund das Genick bricht; wer ein Speisopfer bringt, gleicht dem, der Schweineblut spendet; wer Weihrauch anzündet, gleicht dem, der Götzen verehrt: Wahrlich, wie sie Lust haben an ihren eigenen Wegen und ihre Seele Gefallen hat an ihren Gräueln, so will auch ich Lust daran haben (wörtl.: wähle ich aus), dass es ihnen wehe tue (wötl.: üble Schicksale), und ich will über sie kommen lassen(hebr.: abi‘a), wovor ihnen graut. Denn ich rief und niemand antwortete, ich redete und sie hörten nicht und taten, was mir nicht gefiel, und hatten ihre Lust an dem, woran ich kein Wohlgefallen hatte.“
Ich hoffe, dass mit den Einschüben aus dem hebräischen Text deutlich wird, dass Gott hier (auch wenn das in der Übersetzung so klingt) keine aktive Rolle spielt Böses zu tun, sondern dem Menschen die Konsequenzen seines eigenen Tuns zumutet, wenn dieser die unterstützende Entlastung durch Gott nicht haben will. Und die besteht gerade NICHT aus Opfern, sondern die Opfer tun so als ob, und sind in Wirklichkeit der Versuch des Menschen, Gott beliebig in die Hand zu bekommen. Ich tute Böses, dann schnell ein Ofer und alles ist palletti. Nööö – sagt Gott: eben nicht! „Ich sehe aber auf den Elenden und auf den, der zerbrochenen Geistes ist und der erzittert vor meinem Wort.“ (Vgl. auch: 3.Mos (Lev) 26,31;)
Die dahinterstehende Offenbarung Gottes wird im Johannesevangelium formuliert. Joh 4,24: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Nicht im Opfer, nicht in der Ikone, nicht durch Rituale, sondern im Geist und mehr noch in der Wahrheit. Das sind andere Ebenen als eine materielle Opfervergeltung, mit der man glaubt Gott bezahlen zu können, wie einen Automaten. „Erzittern vor dem Wort“ sagt Jesaja dazu. Den Willen Gottes zum Leben der ganzen Schöpfung hören und ihm folgen, mit Tun und Lassen, das wäre ein angemessenes Verhalten. Und das ist schwer. Viel schwerer und komplexer als sich ein System aus Opfer-Theologien zu schmieden. Denn ohne das Opfer, wenn es um das Leben geht, ist die Aufgabe der Umkehr zu Gott bei mir.
Und genauso hören wir es auch bei Jesus:
Mt 7,21: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.“
Mt 12,50: „Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“
Joh 14,23: „Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“
Das ist ganz weit weg von Opfertheologie. Aber nah dran am Leben, an der Kraft des dreieinigen Gottes in Geist und Wort und Wahrhaftigkeit.
Das ist ein gute Grundlage zum Predigen am Grab und zum Trösten im Tod, aufzurichten in der Trauer und Mut zu verkündigen mitten im Leben.
Der 1. Johannesbrief nimmt genau dies zur Überschrift (1.Joh 1,1-4):
1Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens -
2und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist -,
3was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.
4Und dies schreiben wir, auf dass unsere Freude vollkommen sei.
Hier liegt das Herz der christlichen Verkündigung: Lebenshilfe, die auch im Tod noch greift. Das habe ich vielen Menschen sagen können in der Begleitung auf ihrem letzten Weg, das hat Angehörigen geholfen und Mut gemacht durch den Tod hindurchzuschauen, auch wenn es schwer war. Das brauchen Menschen mitten in den Erfahrungen von Leid und Tod, weil es das ist, was die Welt nicht geben kann: Das ist das Alleinstellungsmerkmal der christlichen Verkündigung. Die Zukunft des Lebens.
Führt Gott in Versuchung
Ein Beitrag zur Diskussion um das Vaterunser-Verständnis in unserer Zeit
Joachim Pennig 2018
2018 ging eine Äußerung von Papst Franziskus durch die Presse, dass wohl der Satz im Vaterunser: "Und führe uns nicht in Versuchung…" so nicht korrekt sein kann, weil uns Gott doch mit Sicherheit nicht in Versuchung führt.
Auch wenn eine Änderung am Vaterunser-Text von den meisten Theologen laut und entschieden zurückgewiesen wurde, finde ich, dass auch dieser heilige Text nicht unantastbar sein darf, wenn er heute nicht mehr im Sinne Jesu verstanden werden kann.
Denn was haben wir denn davon, wenn die Menschen das Vaterunser nicht mehr beten, weil es ihnen doof vorkommt, was sie da sagen sollen, weil sie es nicht mehr verstehen, wie es in theologischen Aufsätzen mühevoll und feinsinnig so lange interpretiert wird, bis es irgendwelchen Dogmen nicht mehr widerspricht?
Hier plädiere ich für den Mut zum lebendigen Glauben. Nicht leichtfertig aber auch nicht mit Scheuklappen. Die Menschen werden es leichter verstehen als die Ängste der Theologiehüter und es wird ohnehin zwei Generationen dauern, wie so eine Veränderung bei den meisten angekommen ist. Also brauchen wir die Diskussion darüber, wie wir das in Zukunft sagen wollen, damit es die Wahrheit wiedergibt und nicht eine dogmatische Festlegung.
Meine Überlegungen zu diesem Thema sind wie folgt:
Jesus hat das aller Wahrscheinlichkeit nach auf Aramäisch-Hebräisch und nicht auf Griechisch gesprochen, also könnte eine Überlegung helfen, wie es da gelautet haben wird. Und das führt vielleicht aus dem philologisch-dogmatischen Dilemma heraus.
Natürlich hat Papst Franziskus recht, wenn er zu bedenken gibt, dass Gott niemanden in Versuchung führt und deshalb die Zeile aus dem Vaterunser bedacht werden will: Und führe uns nicht in Versuchung. Natürlich hat Jesus nicht gemeint und nicht gesagt, dass Gott uns in Versuchung führt, sondern eben gerade nicht. Auf Hebräisch, also wie Jesus es vielleicht gesagt hat, hieße die Zeile „Und führe uns nicht in Versuchung“ (rückübersetzt) 
Aramäisch, dem Dialekt Jesu:
Das lässt sich übersetzen mit: Du wirst uns nicht in Versuchung führen, sondern uns vom Bösen erlösen. Und schon klingt das ganz anders und auch so, wie wir es selber verstehen, wenn wir nur eine magere Ahnung vom Gott der Bibel haben. Das ist es, was Gott vorhat und auf jeder Seite der Heiligen Schrift uns einmal mitteilen lässt.
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