1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 „Und wir haben es nie bereut“, setzte Finola hinzu. Sie stand auf und küsste ihren Gatten zärtlich auf seine faltige Wange, bevor sie an einen Waschzuber trat und die leeren Holzschüsseln abzuwaschen begann. Iain genoss die behagliche Atmosphäre in der winzigen Behausung, die ihn an die glückliche Zeit erinnerte, in der er noch nicht Zeuge des Vorfalls in der Tenne gewesen war. Hier fühlte er sich genauso geborgen wie in jener unbeschwerten Zeit seiner Kindheit auf Dunvegan, und er schlief in dieser Nacht auf den Schaffellen neben der Feuerstelle mit dem alten Bordercollie neben sich tief und traumlos.
Am nächsten Tag, den er mit Ronan zusammen auf dem Weidehügel der Schafe verbrachte, erzählte er dem warmherzigen und verständnisvollen alten Mann seine ganze Geschichte. Er verriet ihm seine Schleuderattacke auf den verhassten McLeod. Dann schilderte er den Tod seiner Mutter und sein Versprechen an ihrem Totenbett. Erzählte von seiner Flucht, von seinem zurückgelassenen Vater und seinem Bruder Leslie. Selbst von seiner Liebe zu Akira. Der alte Schäfer hörte ihm schweigend zu. Nachdem Iain geendet hatte und ihn mit feuchten Augen erwartungsvoll ansah, sagte er nichts. Er nahm ihn in seine dürren Arme und zog ihn an sich.
„Du hast schon viel Leid erlebt für deine jungen Jahre“, sagte er leise. „Gott schmiedet seine Auserwählten solange sie noch weich und formbar sind. Auf dich scheint etwas Großes zu warten, für das du anscheinend auf Dunvegan vorbereitet worden bist. Wenn du willst, kannst du dich gerne ein paar Tage bei uns ausruhen. Hier bist du sicher, weil die Späher McLeods nicht ein zweites Mal bei uns vorbeischauen werden.“
Iain nahm das Angebot dankbar an. Er hatte großes Vertrauen zu dem alten Schäfer gefasst und dachte sogar daran, ihn zu fragen ob er nicht bei ihm bleiben und ihm gegen Kost und Logis bei seiner Arbeit helfen könnte. Doch den Gedanken verwarf er sofort wieder. Niemals würde Akira mit ihm das anspruchslose Leben eines Schafhirten führen. Obwohl ihm noch nie zwei so zufriedene Menschen wie Finola und Ross begegnet waren, würde er sie niemals davon überzeugen können, so ein einfaches Leben zu führen. Und wenn er ehrlich zu sich war, wusste er, dass es auch für ihn nichts war.
Am Abend genoss er erneut ein vorzügliches Abendessen. Wieder schlief er von der schweren Arbeit erschöpft tief und traumlos. Er erholte sich von den Strapazen seiner Flucht und blieb noch eine ganze Woche bei den freundlichen und liebevollen Alten. Bevor am achten Tag die Sonne unterging, schulterte er seinen Lederbeutel. Nach einer herzlichen Verabschiedung von den zu Freunden gewordenen Menschen und den ihn traurig ansehenden Collie, der sich an ihn gewöhnt hatte, machte er sich schweren Herzens wieder auf seinen Weg. Dieses Mal mit einer geschmorter Lammkeule im Bauch und einer weiteren als Proviant in seinem Beutel, die ihm Finola augenzwinkernd eingepackt hatte. Iain lief den Hügel hinter der Schäferkate hinauf. Die Weite der Landschaft, die vor ihm lag und von der langsam untergehenden Sonne beschienen wurde, faszinierte Iain.
Er schritt weit aus und hielt sich wie Ronan ihm geraten hatte nördlich der Küstenstraße. Vor allem Eilean Donan Castle, wo die Reiter McLeods möglicherweise nächtigten, umging er. Bald sah er die Silhouette von Ben Killian am Horizont erscheinen. Auch ihn sollte er zu seiner Rechten liegen lassen und sich dann an der Bergkette von Faochaig, Aonach Buidhe und An Riabhachan orientieren, hatte Ronan ihm empfohlen. Am Fuße des Ben Killian machte Iain am Abend Rast an einem kleinen Rinnsal. Bislang war ihm kein Mensch begegnet. Eine solche Stille und Einsamkeit hatte er noch nie erlebt. Sie übte eine seltsame Faszination auf ihn aus. Er gönnte sich die Hälfte der Lammkeule und trank dazu das klare Bergwasser. Nach seiner Mahlzeit legte er sich ins Gras und schloss zufrieden die Augen. Zuerst dachte er, es herrsche absolute Stille. Doch mit der Zeit wurden ihm nicht nur die Schreie der Vögel bewusst. Mit seinen geschärften Sinnen hörte er den Wind, der die Grashalme zum Singen brachte, und das Gekrabbel der Ameisen und Käfer zwischen den Stängeln des blühenden Heidekrauts.
Als er langsam in seinen Schlaf hinüberdämmerte, vernahm er in der Ferne plötzlich das Kläffen eines Hundes, das näher zu kommen schien. Sofort sprang er auf, verstaute seine Sachen und brach auf. Er wollte keine Menschen treffen und sich ihnen erklären müssen. Nicht alle waren so verständnisvoll wie das alte Schäferpaar. Nachdem die Sonne am Horizont versunken war, ging ein leuchtender Mond am klaren Nachthimmel auf. In seinem Licht hatte Iain den Berg umrundet und war bei Carnach in ein Glen gekommen, das er auf der anderen Seite über den steilen Hang eines kahlen Berges wieder verließ.
Beim Überqueren von dessen Gipfel merkte er auf einmal, dass seine Beine den Dienst versagten und nicht mehr weiter konnten. Er ließ sich auf der Stelle nieder und sah sich um. In der Ferne erkannte er die markante Silhouette des Carn Eighe. Dort würde er morgen ins Glen Affric hinunter steigen, von wo aus es zu dem großen Loch Ness nicht mehr weit war. Am Südzipfel des Sees hoffte Iain auf Farmer und Händler zu stoßen, die dort ihre Pferde und Ochsen zu tränken pflegten und die ihn vielleicht auf ihren Karren bis nach Edinburgh mitnehmen würden. Und dort, so glaubte er, wäre er ganz gewiss außer Reichweite McLeods.
*
Der feine Nieselregen, der am frühen Morgen einsetzte, weckte Iain. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er eingeschlafen war. Schnell stand er auf, zog sich seines Vaters Weste mit der ledernen Seite nach außen gekehrt über und brach sich einen Kanten Brot von dem vertrockneten Laib, der noch in Dunvegan gebacken worden war. Während er erfrischt ausschritt, gratulierte er sich zu seinem glücklichen Timing. Der Regen störte ihn nicht. Es war nicht kalt, und das nasse Gras unter seinen nackten Füßen fühlte sich gut an. Er kam so gut voran, dass er Glen Affric noch vor dem Mittag erreichte. Der Aufstieg zu dem mit zahllosen kleinen Seen durchsetzten Hochmoor, der durch einen lichten Wald führte, brachte Abwechslung in seine Ernährung. Er konnte die dichten Teppiche der Blaubeeren mit Heißhunger abgrasen. Am Nachmittag war wieder die Sonne wieder zum Vorschein gekommen. Iain lief auf einem der sumpfigen Wege weiter. Außer ihm schien kein Mensch unterwegs zu sein. Nur Füchse und Hasen sah er, die ihn misstrauisch beäugten. Ab und zu erspähte er scheues Rotwild, das ihn aus der Entfernung beäugte, aber schnell die Flucht ergriff, wenn er ihm zu nahe kam. Auf einmal sah er sich einer großen Wildkatze gegenüber, die fauchend auf einem Felsen saß, und nahm seine Beine in die Hand. Dieses gefährliche Tier wollte er nicht näher kennen lernen. Er war froh, als sich im Hochmoor wieder violett blühende Heide um ihn herum erstreckte, in der es keine bedrohlichen Lebewesen gab.
Iain dachte sich, dass es vermutlich sicherer wäre, wenn er sich für seine weitere Reise Gefährten suchen würde. Er hatte von den Händlern in Dunvegan gehört, dass je südlicher man kam die Bewaldung des Landes zunahm und der Weg gefährlicher wurde. Nicht nur wegen wilder Tiere wie Bären und Wölfen. Auch Wegelagerer überfielen immer wieder einzelne Reisende und raubten sie aus, wobei sie oft schwer verletzt oder gar getötet wurden. Iain besaß zwar nichts, was einem Räuber gefallen könnte. Doch die Kaufleute hatten ihm erzählt, dass sie auch mordeten, um Zeugen zu beseitigen.
Die Händler hatten auch berichtet, dass man nie sicher sein konnte, nicht zufällig in eine blutige Clanfehde oder gar in eine Schlacht wie die um Glencoe verwickelt zu werden. Dieses Massaker der Engländer an den MacDonalds war zwar schon 16 Jahre her, doch seine Mutter hatte ihm in ihren Geschichtsstunden immer wieder von diesem heimtückischen Anschlag der protestantischen Engländer erzählt:
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