„Ja, Tante”, erwiderte Caroline. „Das ist besonders wichtig für Miss Anne; sie hat vor, in den nächsten vier Wochen so viele Bälle wie möglich zu besuchen”, erklärte sie gelangweilt.
„Wir haben morgen früh noch genügend Zeit, uns über derartige Vergnügungen zu unterhalten. Ihr seid sicherlich müde”, meinte ihre Tante. „Jane, du bekommst das große Zimmer oben, und Anne und Caroline teilen sich das Zimmer am Ende des Flurs auf dieser Etage. Hill hat euer Gepäck in die Zimmer gebracht und den Kamin angezündet.”
Die Mädchen gaben ihrer Tante einen Gute-Nacht-Kuss und zogen sich auf ihre Zimmer zurück. Anne und Caroline stritten sich bereits darüber, wer das Bett am Fenster bekommen sollte.
Jane setzte sich im Kerzenschein hin, um sich die Haare zu bürsten und blickte dabei hinaus in die Nacht. Das Fenster bot einen Ausblick über weite Teile Londons mit seinen mysteriösen Laternen und den gut aussehenden Männern darunter.
Die folgenden Tage brachten sie damit zu, die Stadt zu erkunden. Ihre Tante zog sie unruhig und angespannt hinter sich her, um Geschäfte, Freunde und die Bürgerwehrbasis zu besuchen, wo Annes Traum, Offiziere kennenzulernen endlich wahr wurde; obgleich dies natürlich unter der Aufsicht ihrer Schwestern und Tante geschah.
Am ihrem dritten Tag in London wurden die Mädchen von einem Nachbarn zu einem Ball eingeladen, der am kommenden Freitag stattfinden sollte. Der Gastgeber war ein charmanter Junggeselle, der mit seiner Schwester in der Stadt lebte. Sein Name war William Rawlins, und er arbeitete als Anwalt in der Kanzlei, die sein Vater ihm nach seinem Tod vermacht hatte. Er hatte ein fröhliches Gesicht und eine charmante Persönlichkeit, aber es mangelte ihm ein wenig an Selbstvertrauen.
Caroline war bei ihrer ersten Begegnung völlig angetan von ihm gewesen, zeigte sich ihm gegenüber jedoch mehr als zurückhaltend, nachdem sie herausgefunden hatte, dass er auf der Suche nach einer Ehefrau war.
Endlich kam der Tag, an dem der Ball stattfinden sollte, und die Tante hatte den Mädchen aufgetragen, passende Bänder für ihre Kleider zu kaufen. Bänder waren die neueste Mode, soweit Mary es anhand der jungen Frauen beurteilen konnte, die sie in den Geschäften und Gasthäusern sah.
„Jane, Liebes”, säuselte Annesley mit ihrer nun dauerhaft übertriebenen Höflichkeit, von der zu Hause merkwürdigerweise nie etwas zu bemerken gewesen war. „Ich hoffe, du trägst heute Abend dein blaues Kleid und nicht das rote. Die Farbe bringt das Rosé meiner Robe viel besser zur Geltung, wenn wir nebeneinander stehen”, fügte sie hinzu und wirbelte mit ihren mitgebrachten Bändern in der Hand davon.
„Das werde ich, liebe Schwester”, rief Jane ihr hinterher. Sie war sich nicht sicher, ob sie zu dieser Jahreszeit überhaupt Taft tragen sollte; es war so warm draußen, und das schwere rote Kleid würde es beim Tanzen nur noch schlimmer machen.
Die drei Mädchen machten sich mit ihrer Tante auf den Weg in die Stadt. Mary würde sie ihre Bänder auswählen lassen, während sie selbst den Buchladen besuchen würde.
„Einen schönen guten Tag, meine Damen”, begrüßte sie der Geschäftsführer, als sie eintraten.
„Guten Morgen, Sir.” Anne verbeugte sich leicht. „Kennen Sie zufällig einen Mr. Rawlins?”, fragte sie mit verführerischer Stimme.
„Oh ja, Madam. Er ist ein guter Kunde von mir und kauft oft Schleifen und dergleichen für seine Nichten und Bediensteten. Kennen Sie den Herrn etwa?”, erkundigte er sich, als auch die anderen beiden Mädchen neben Anne stehengeblieben waren.
„Aber ja, Sir”, plapperte Anne drauf los. „Er ist der Herr, für den wir uns heute Abend hübsch machen möchten. Er veranstaltet nämlich einen Ball im Hilliard-Anwesen”, prahlte sie.
Diese Worte ließen den Ladenbesitzer in Vorfreude auf gute Geschäfte lächeln, denn ein Ball bedeutete, dass viele junge Damen sein Geschäft besuchen würden, um Bänder für ihre Kleider zu kaufen.
Anne schob Caroline und Jane aufgeregt in die hinteren Räumlichkeiten des Geschäftes, wo offenbar sämtliche bunte Bänder gelagert wurden. Annesley hatte innerhalb weniger Sekunden die Bänder mit dem strahlendsten dunklen Rosarot ausfindig gemacht und drehte sich und wirbelte den Stoff durch die Luft. Caroline nahm sich einige weiße Bänder aus unterschiedlichem Material und überlegte, welches wohl am besten zu ihrem schlichten elfenbeinfarbenen Kleid passen würde. Jane dagegen hatte nur Augen für den blauen Schottenrock, der gerade hastig draußen vorbeigehuscht war.
Mit ein paar Bändern in der Hand stürzte Jane zum Fenster und erhaschte gerade noch einen Blick auf den Fremden mit dem blauen Rock, der die Straße hinunterging. Die zerwühlten roten Locken hätte sie überall wiedererkannt. Es war der Mann, der bei ihrer Einfahrt nach London unter der Laterne stand. Er schien in Eile zu sein, ganz anders als beim letzten Mal, da sie ihn sah.
„Jane!”, rief Caroline. „Ich kann mich einfach nicht entscheiden, welche Bänder am besten zu meinem Spitzenkleid passen würden. Da ich deiner Meinung immer vertraue, würde ich sie gern hören.”
„Nimm das mit den Blumen, Caroline, Liebes. Sie beleben dein schlichtes Kleid ein wenig. Trau dich ruhig mal was”, schlug sie vor.
Anne tendierte noch immer zu einem leuchtenden Dunkelrosa und Fuchsia, während Jane sich mit unterschiedlichen Blau- und Violetttönen abzulenken versuchte.
Wieder im Hause der Tante zogen sich die Mädchen mit Hilfe der Haushälterin Claire um und bereiteten sich auf den nahenden Ball vor. Noch bevor Caroline und Jane die obere Etage überhaupt erreicht hatten, war Anne bereits oben gewesen, hatte sich ausgezogen und war dabei, ihr Ballkleid überzuziehen.
„Also wirklich, Anne, du verschwendest in Sachen Ballvorbereitung keine Zeit, nicht wahr?”, merkte Caroline an, als die beiden älteren Schwestern den Raum betraten.
„Wir müssen heute so gut aussehen, wie es nur geht, Schwestern”, erklärte Jane. Sie nahm ihr Kleid vom Bett und wirbelte durch das Zimmer. „Mama erwartet, dass wir mit Ehemännern zurückkehren. Natürlich liegt es an dir, Caroline, ihre Wünsche zu erfüllen. Du weißt schließlich, wie ich zur Ehe und allem, was sie mit sich bringt, stehe.”
Ihre Schwestern richteten sich weiter her, während Jane sich mit einem langen Stück blauem Seidenband hinsetzte, das sie sich für ihre Haare ausgesucht hatte. Sie blickte aus dem Fenster, während Claire ihren Schwestern half, die Korsetts zu schnüren und die Kleider anzuziehen. Immer wieder musste sie an den Fremden denken, der unter der Laterne gestanden hatte. Warum war er so fremdartig gekleidet? Auf wen hatte er an jenem ersten Abend wohl gewartet? Und wohin war er heute in der Stadt so eilig unterwegs gewesen? All dies hätte sie nur zu gern über den gut aussehenden Fremden gewusst.
„Kommen Sie, Miss Jane”, rief Claire. „Sie sind an der Reihe, meine Liebe.”
Jane ging zu ihr hinüber, streifte ihr Kleid ab und zog das Korsett an, vor dem ihr schon den ganzen Nachmittag graute. Sie hasste, wie wenig Bewegungsfreiheit sie darin hatte, auch wenn sie dünn genug war, um mühelos hineinzupassen. Als aktive junge Frau, die Wanderungen und Reiten liebte, fand sie weite Kleidung viel angenehmer und zog nur selten Kleider an, die ein Korsett verlangten.
Sie hielt sich am Bettpfosten fest, während Claire die Schnüre immer fester zog.
„Meine Güte, Jane!”, rief Caroline. „Wie schlank du bist.” Sie blickte ihre Schwester bewundernd an. Caroline war nie füllig gewesen, hatte aber eine sehr gerade Figur, während ihre Schwestern breitere Hüften und mehr Oberweite hatten.
„Gütiger Himmel!”, rief nun auch Annesley und umfasste die Taille ihrer Schwester. „Ich wünschte, ich hätte eine Figur wie du, Jane. Vielleicht sehe ich ja eines Tages auch so aus, wenn ich erwachsen bin.” Sie stieß Claire an und gab ihr so zu verstehen, dass sie das Korsett noch ein wenig fester schnüren sollte.
Читать дальше