„Das soll heißen, dass Daniela und ich ein Paar sind!“
Sybille schaute ihren Mann mit großen Kulleraugen an. „Was?“
„Ja, du hast richtig gehört. Daniela und ich sind seit einem halben Jahr ein Paar! So, nun ist es raus.“
„Und da hast du extra bis zu meinem Geburtstag gewartet, um mir das mitzuteilen?“
„Nein“, druckste er herum. „Nein, wirklich nicht. Ich habe dich heute Abend hergebeten, um es dir schonend zu sagen. Du hast dir so was Ähnliches sicherlich schon gedacht. So blöd bist selbst du nicht!“
„An meinem Geburtstag!“ Sybilles Miene war ruhig, doch in ihrem Inneren tobte ein Gewittersturm.
„Sybille, es hört sich jetzt blöd an, aber das ist wirklich ein Zufall. Ach ja, alles Gute zum Geburtstag. Du siehst toll aus!“, schob er schmeichelnd hinterher, obwohl es gelogen war, um die Wogen zu glätten.
Um Fassung ringend, sah Sybille zu ihrem Mann. Das schöne Geburtstagsgefühl war im Nu futsch. Von Wolke sieben war sie zurück in der Realität gelandet und weiter im freien Fall in Richtung Keller.
„Ich fasse es nicht. Wieso ausgerechnet diese dürre Ziege? Außerdem ist sie strohdoof. Michael, wir sind fast fünfundzwanzig Jahre verheiratet. Ich meine, wir haben einen Sohn! Wir sind doch ein gut eingespieltes Team, und jetzt, wo Alexander studiert und nicht mehr zu Hause wohnt, da könnten wir doch … da wollten wir doch …“
„Billy, ich glaube, wir haben uns in den letzten Jahren irgendwie auseinandergelebt. Und Dani ist …“, sagte er und hielt seine Hände nah parallel zueinander. „… während du …“ Er vergrößerte den Abstand zwischen seinen Händen.
Sybille saß da wie vom Schlag getroffen. Ihre Atmung ging schneller. Ihr Puls fing an, zu rasen.
„Meine Güte, Sybille, ist das denn so schwer zu verstehen? Sieh mal in den Spiegel! Wir passen doch gar nicht mehr zueinander.“
„Was? Spinnst du jetzt total?“ Ihre Stimme war schrill und etwas zu laut.
„Señora, darf ich Sie bitten, etwas leiser zu sein, die anderen Gäste könnten sich gestört fühlen.“
Wenn Blicke töten könnten, wäre der spanische Aushilfskellner tot umgefallen.
„Sybille“, flüsterte Michael, „reiß dich doch zusammen, die Leute gucken schon.“
„Was? Die Leute? Ist das alles, worüber du dir Sorgen machst? Wie die Leute gucken? Machst du dir auch irgendwelche Gedanken um mich?“
„Sybille, lass uns doch vernünftig reden!“
„Wie stellst du dir das eigentlich vor? Wie soll das denn werden, wenn du mit deinem Herzblatt wieder da bist? Wie soll ich denn, bitte schön, mit ihr arbeiten? Zusammen in einem Büro! Ich werde ja zum Gespött der Firma …“
„Darüber wollte ich auch noch mit dir reden. Es wäre schön, wenn du in den nächsten zwei Wochen deinen Arbeitsplatz räumen würdest.“
„Das … das ist jetzt nicht dein Ernst!“
„Du hast doch selbst gesagt, dass du nicht mit ihr zusammenarbeiten kannst. Wir sind ein junges Team, und da muss man sich natürlich auch beim Personal verjüngen.“
„Du schmeißt mich jetzt auch noch raus? Obwohl ich die Firma mit aufgebaut habe? Nach dem Motto: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen?“
„Daniela hat mir auch gesagt, dass du völlig überlastet bist …“
„So, hat sie das? Sie muss es ja wissen!“
„… und da ist es wohl doch das Beste, dass du dir was anderes, ruhigeres suchst. Du kannst selbstverständlich in unserem Haus so lange bleiben, bist du dir eine neue, kleine Wohnung gesucht hast. Ich werde währenddessen bei Daniela wohnen.“
„Na, wie großzügig!“ Sybilles Wut schnürte ihr den Hals zu.
„Du kannst mir ja schon mal ein paar Sachen zusammenpacken. Ich hole sie dann ab, wenn ich wieder da bin.“
Beide merkten nicht, dass es in der Zwischenzeit sehr ruhig um sie herum geworden war. Keine Gespräche waren mehr zu hören, geschweige denn Geklapper von Besteck auf Tellern.
„So was Armseliges wie dich habe ich noch nie erlebt. Michael, du bist ein Schwein!“ Sybille nahm ihr Wasserglas und schleuderte den Inhalt mit von Wut unterstütztem Schwung mitten in Michaels verdutztes Gesicht. Das Wasser tropfte aus seinen sorgfältig gegelten Haaren. Sybille stand ruckartig auf, sodass ihr Stuhl nach hinten kippte und mit einem lauten Scheppern auf dem Marmorboden aufschlug. Wütend warf sie ihre Serviette auf den Tisch, die zuvor noch auf ihrem Schoß gelegen hatte. Das Champagnerglas fiel um und hinterließ eine unschöne Pfütze auf dem weißen Tischtuch. Tränen standen Sybille in den Augen.
„Sag mal, spinnst du jetzt total?“
„Du bist so ein selbstgefälliges Ar–“
Die Frau vom Nachbartisch reichte ihr ihr volles Wasserglas mit einem auffordernden Nicken.
„Danke!“ Sybille griff danach und an ihren Mann gewandt fuhr sie fort: „Arschloch!“
Und schon ergoss sich die Zugabe über Michael. Die Zitronenscheibe blieb auf seinem Kopf liegen.
Während sich Sybille umdrehte, um das Restaurant zu verlassen, klatschten einige Frauen Beifall.
Die ältere Dame, die Sybille das Glas gereicht hatte, stand auf und schlug mit ihrer Stoffserviette auf Michael ein. „Sie sollten sich was schämen, Sie … Sie Hurenbock!“
Wie im Wahn rauschte Sybille durch das Restaurant Richtung Ausgang. Sie ballte die Fäuste, um sich zu beherrschen. Ansonsten hätte sie vor Wut die Teller von den Tischen durch die Gegend gepfeffert. Doch ihre gute Kinderstube verbot ihr dieses. So manövrierte sie ihren runden Körper wie eine Dampflok bis vor die Tür des Lokals.
Auf dem Weg dorthin riss Sybille dem peinlich dreinschauenden Kellner ihren Anorak aus den Händen, in den er ihr helfen wollte.
Draußen entlud sich die aufgestaute Energie in einem gellenden Schrei, den Sybille nicht mehr zurückhalten konnte.
Ein Wunder, dass das Glas der Straßenlaterne, an dem ihr Fahrrad angeschlossen war, nicht zerplatzte. Beim genauen Hinsehen hätte man aber ein leichtes Flackern wahrnehmen können.
Der Wind hatte in der Zwischenzeit noch mehr zugelegt und sich zu einem kleinen Herbststurm entwickelt. Ihr Faltenrock blähte sich zu einer Glocke auf. Dazu kam, dass es angefangen hatte, zu regnen, was Sybilles momentane Gefühlslage nicht gerade besserte.
Inzwischen war es stockdunkel geworden, und sie hatte Mühe, das Fahrradschloss zu finden.
Schimpfend radelte sie nach Hause. Sie hatte immer noch so viel Energie aufgestaut, dass sie kräftig in die Pedale treten konnte. Die Wasserfontänen spritzten rechts und links im hohen Bogen. In ihrem Tunnelblick merkte sie nicht, wie ein von rechts kommendes Auto quietschend bremste, weil sie ihm die Vorfahrt genommen hatte. Andere Radfahrer wurden laut klingelnd überholt und an die Seite gedrängt.
Wie vom Donner gerührt fuhr sie nach Hause. Enttäuscht von Michael und mit wachsendem Hass auf Daniela. Wo sollte sie jetzt hin? Ohne Job, für den sie all die Jahre geschuftet hatte, und ohne Haus. Ihr Leben lag in Scherben.
Pitschnass wie eine Maus kam Sibille zu Hause an. Genauso fühlte sie sich auch. Klein, grau, und ungeliebt.
Drei Tage hielt das emotionale Delirium an. Sybille lag apathisch auf dem Sofa. Um sie herum waren DVDs von ‚Sissi‘, der ‚Jane Austin‘-Kollektion, ‚vom Winde verweht‘ und noch einige andere Schmachtfetzen zwischen leeren Weinflaschen, Schokoladenpapier, Chips-Tüten und einer halbaufgegessenen Sahnetorte unter einem Haufen tränennasser Papiertaschentücher verstreut.
Das Telefon klingelte, als gerade der Abspann des dritten Teils von ‚Immenhof‘ lief.
Umständlich kämpfte sich Sybille unter ihrer Wolldecke hervor. Die brünetten Haare standen ihr kreuz und quer zu Berge. Seit ihrem schicksalhaften Geburtstag campierte sie auf dem Sofa. In ihren Pantoffeln schlurfte sie zum Telefon. Ihr Rücken schmerzte, die verquollenen Augen brannten. Jetzt erst bemerkte sie, dass das Lämpchen vom Anrufbeantworter leuchtete.
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