Helmut H. Schulz - Spätsommer

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Es wird von der alt gewordenen Reederstochter und Kapitänswitwe Johannsen erzählt. Sie steht fest in ihren alten, zur Lebenshülle gewordenen Regeln, will die neuen Werte und Lebensformen der DDR ignorieren und kommt doch nicht umhin, der alltäglichen Realität Rechnung zu tragen.

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Helmut H. Schulz

Spätsommer

Alltag im Paradies

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Inhaltsverzeichnis Titel Helmut H Schulz Spätsommer Alltag im Paradies Dieses - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Helmut H. Schulz Spätsommer Alltag im Paradies Dieses ebook wurde erstellt bei

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Impressum neobooks

Kapitel 1

Um jene frühe Stunde im August erschienen die Schiffslichter noch heller als Himmel und Erde, Ersterem fehlte überhaupt jede Farbe. Westwärts war das Dunkel ein unförmiges, gestaltloses Blau,·aber jeden Augenblick mußten Land und Meer im Sonnenlicht aufstrahlen. Von Bord aus, durch die Fenster des Ruderhauses gesehen, waren Himmel und See schon über scharf getrennt. Es nieselte entweder, oder es fiel Tau; jedenfalls sammelte sich Wasser in Tropfen auf den Scheiben. Die See erinnerte an jungen Mais; hinter dem langsam fahrenden Schiff glucksten Wirbel über einem tintenblauen Abgrund. Warme, mit Feuchtigkeit gesättigte Luft drang ins Ruderhaus.

Ohne Morgenröte, ohne Frist trat die Nacht in den Tag über, der Himmel wurde einfach heller, und der Augenblick hätte sich schwer bestimmen lassen, an welchem die Sonne aufgegangen war. Ihr Licht fiel durch einen glasigen Stoff von unendlicher Ausdehnung.

Die Positionslichter des Schiffes erloschen.

Äußerlich ruhig, aber mit gespannter Erwartung genoß die Johansen dieses sich täglich anders vollziehende Naturereignis. Sie stand mit einem dicken Mann und einem kleinen Jungen - sie überragte beide - in Nähe des Ruderhauses. Sie trug einen schutenähnlichen Hut, der unter dem Kinn gebunden war, schwarzen Mantel und flache schwarze Schuhe. Dieser merkwürdige Aufzug wirkte durch eine perlenbesetzte Handtasche noch altmodischer. Nicht die Johansen wirkte altmodisch, nur die einzelnen Kleidungsstücke gehörten vergangenen Zeiten an; der Johansen kam gar nicht der Gedanke, etwas, das einmal einen Wert besessen hatte, könnte diesen Wert heute verloren haben. Mit ihrer großen Hand zog, sie den Jungen näher an sich heran. Ohne die Stimme, sonderlich zu heben, sagte sie: »Das ist schön, nicht wahr.«

Der Junge griff nach der Hand auf seiner Schulter, gab jedoch keine Antwort. Für ihn mochte, was sich eben abgespielt hatte, nichts anderes als trübes Nieselwetter an einem Augustmorgen sein.

Der Mann in Schifferkleidung nahm die Pfeife aus dem Mund, deutete mit dem besabberten Mundstück nach oben und sagte sachlich: »In zwei Stunden haben wir Sturm.«

Aber seine Vorhersage machte auf die Johansen keinen sichtbaren Eindruck: «Bis dahin hast uns schon sicher abgesetzt, was, Richard?» Sie heftete einen bohrenden Blick aus hellen Augen untergroßen dreieckigen Lidern auf den Mann. Der sah ihr unsicher ins Gesicht, nickte aber einmal andeutungsweise. Kurze weiße, wie mit dem Stichel gegrabene Furchen durchzogen seine Haut auf Stirn und Wangen. An einem seiner dicken Finger glänzte ein Goldring.

»Es ist seine erste kleine Seereise«, die Johansen zeigte auf den kleinen Jungen, und er freute sich ja auch darauf, einmal mit seinem Onkel zu fahren.

Zweifelnd blickte der Onkel den Jungen an. Die Johansen schloß: »Es ist übrigens ganz gleich, ob er sich heute schon über seine Eindrücke vollständig im Klaren ist, Richard.«

Der Schiffer sagte, »Was hast denn für einen 'Eindruck von deinem, Schwiegersohn?«

Bereitwillig antwortete die Johansen: »Keinen Guten. Knut Blinz wird den Arm nie wieder richtig gebrauchen können«, und vertraulich, ohne Rücksicht auf den lauschenden Jungen, »mir ist das recht, muß ich sagen. Ich denke so, jetzt werden sie mir Torsten geben' müssen. Deiner Schwester und diesem Mann sind die Kinder ja immer im Wege gewesen. Nun, so haben sie vor sich selbst wenigstens einen Grund, den Jungen abzuschieben. Sie werden sich umstellen müssen, auch mit dem Geld, ich kann das Gejammer schon hören.«

Richard, die flache Mütze abnehmend, gab zu bedenken: »Vielleicht wollen sie den Jungen aber zu sich nehmen. Wenn du dir da man nichts vormachst, Mutter.«

»Ich sage dir doch, die sind froh, Torsten los zu sein«, die Johansen mußte mit der Welle Panik fertig werden, die Richards Frage bei ihr ausgelöst hatte.

»Daran erkenne ich meine Kinder«, sagte sie endlich giftig.

»Woran erkennst du uns?«

»Daran, daß ihr euch immer beugt. Deshalb bist du auf diesem Schlepper gelandet, du, der Sohn eines Kapitäns mit sechs Patenten.«

Nun hatte beides nicht das Mindeste miteinander zu tun, und der Schiffer hätte sich mit einem Lachen darüber hinwegsetzen können, aber wie seiner Mutter fehlte es ihm an Gelassenheit.

Da sie jedoch einen wunden Punkt berührt hatte, wendete er sich schroff ab.

»Ich bin seit drei auf den Beinen. Ich muß jetzt essen.«

»Das ist eine sehr gute Idee«, erwiderte die Johansen und folgte ihrem Sohn. Den Enkel zog sie mit sich.

Die Kajüte stank nach Dieselöl, Schweiß und stockiger Kleidung. Sie war der einzige Raum an Bord des Arbeitsschiffes, der als Meßraum dienen konnte. Drei ältere Männer bewegten ihre Kinnbacken mit der Regelmäßigkeit kauender Tiere, Richard goß aus einem verbeulten Blechkumpen Kaffee in faustgroße Tassen, und seine Mutter fragte mißbilligend: »Bist du hier der Meßjunge?«

Die Gesichter der Männer, vom Wetter massiert, verzogen sich zu einem breiten Grinsen, und der Sohn der Johansen, eigentlich der Schiffsführer, errötete bis in die Stirn. Er war fast kahl, hinten stieß langes, fahles Haar auf den Kragen der Jacke.

Die Johansen zeigte einen ungeheuren Gleichmut, während sie aß, Kaffee trank und den Jungen neben sich aus einer Kekstüte fütterte.

Die Johansen war den Männern gut bekannt. Sie war keine gewöhnliche Frau, sondern die ehemalige Reederstochter , die Frau eines Kapitäns, und mochten das heute auch schon uralte Geschichten sein, ohne jede Bedeutung, so vergaßen die Männer diesen Umstand schon deshalb nicht, weil die Johansen sie ständig daran gemahnte.

Sie richteten freundliche Blicke auf das Enkelkind der Johansen.

Der Junge hatte ein zart geschnittenes Gesicht mit blauen Augen und besternten Wimpern, ein Gesicht, das sonst Klugheit, jetzt aber nur Müdigkeit ausdrückte. Die Johansen spürte allerdings etwas Fremdes, Unstimmiges bei Torsten. Sie führte sein Verhalten auf die acht Tage zurück, die das Kind unter dem Einfluß der Mutter, also ihrer Tochter, gestanden hatte. Vielleicht wurde Torsten auch mit dem Bild eines kranken Vaters nicht fertig. Dieses und anderes würde sie in den nächsten Tagen herausbringen müssen, noch waren ja Ferien.

Das Schiff machte jetzt schnellere Fahrt, die metallischen Gegenstände in der Kajüte klangen wie leise verborgene Glocken.

Die Mütze aufsetzend, stieg der Schiffsführer an Deck. Die Johansen folgte ihm, nicht ohne Torsten zu ermahnen, unten zu bleiben. Binnen einer Stunde hatten sich Meer und Himmel verändert, sie flossen zu jenem bläulichen Schlamm zusammen, der Sturm bedeutete. Trat die Sonne für einen Augenblick hinter den schnell ziehenden Wolken hervor, dann leuchteten die Wellenkämme auf wie Messerklingen.

»Hast du jetzt eigentlich ein besseres Verhältnis zu Knut?«, fragte Richard.

Die Johansen lächelte, beantwortete die Frage gar nicht erst, sondern stellte trocken fest: »Wüßte nicht, wann unser Verhältnis schlecht gewesen wäre. In letzter Zeit sind wir sogar sehr gut miteinander ausgekommen. Warum willst du das wissen?«

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