1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 „Meine politischen Verpflichtungen und Termine in Europa zwingen mich dazu, noch heute dieses Land zu verlassen. Darf ich dir meine verletzte Lieblingsfrau anbefehlen?“
Agnus nickte in einer angedeuteten Verneigung.
„Dein Vertrauen ehrt mich.“
„Du wirst verstehen, dass ich Aisha nicht allein hierlassen kann.“
„Natürlich.“ Doch er würde irre werden, wenn sich hier tagelang ein schnatterndes, kicherndes Haremsrudel an Frauen in den Gängen tummelte. Hatte er nicht etwas Dringendes in der Arktis zu erledigen?
„Wie viele?“, fragte Agnus mürrisch.
„Nur Jasmin. Sie wird ihr Gesellschaft leisten, kann für Aisha sorgen und übersetzen. Aber wenn du Sehnsucht nach Gespielinnen hast …“, schloss Abadin mit einem vielsagenden Blick.
„Nein, bloß nicht!“
„Schon gut, alter Freund. Jasmin hat übrigens ein besonderes Talent, jede Sprache in sehr schneller Zeit zu erlernen. Sie ist oft als Übersetzerin auf meinen vielen Reisen dabei.“
Warum betonte Abadin das so?
Wollte er sie etwa verkaufen?
In Abadins Königreich gab es so einige Bräuche, die im Rest der Welt kaum noch praktiziert wurden.
Das Klopfen an der Tür unterbrach Agnus’ Gedanken. Elia, sein stets gut gelaunter Computercrack mit den dunkelblonden Wuschelhaaren betrat die Bibliothek. An seiner Seite befand sich Sarah, eine blonde, wenn auch sehr zarte Schönheit. Ihre langen schlanken Glieder und ihre hellblauen Augen unterstrichen ihr sensibles, freundliches Wesen.
Agnus machte sich auf alles gefasst, und kaum hatte Elia den König erkannt, reagierte dessen Vampirinstinkt.
Im Bruchteil einer Sekunde stellte sich sein nicht gerade mit Größe gesegneter Schreiber vor seine verletzliche Menschengefährtin und ein warnendes Knurren drang aus seiner Kehle.
Die förmliche Vorstellung von Abadin würde er sich sparen können. Elia hatte die mörderische Begegnung mit dem heutigen König trotz all der vergangenen Jahrhunderte anscheinend nicht vergessen.
Abadin war wesentlich größer und breiter gebaut als Elia, doch Agnus würde nicht den Fehler begehen, jetzt zwischen die beiden zu treten. Ein Funke, und Elia würde sich ganz der Bestie in ihm überlassen. Agnus registrierte schon jetzt, wie sich unter der Haut von Elias Unterarmen und Händen etwas bewegte, und seine Fingerkuppen zuckten bereits. Es wirkte, als wollte etwas ausbrechen – etwas, um das sich seit ihrer letzten Begegnung im Mittelalter unzählige düstere Legenden rankten.
„Der Schreiber, der sich wieder todesmutig vor die wunderschöne Lady Sarah stellt“, meinte Abadin mit einem kalten Lächeln.
Elias Augen wurden schmal und die Freundlichkeit darin war längst einem tödlichen Versprechen gewichen, das selbst Agnus erkannte.
Die geballten Fäuste und leicht gebeugten Knie verrieten Agnus, dass im Inneren seines Schreibers ein wahrer Vulkan brodelte, der jeden Moment auszubrechen drohte.
„Ich wollte deiner Gefährtin eine Frage stellen.“
„Sarah wird nie mit dir gehen! Nicht damals und nicht heute! Sie ist meine Gefährtin und ich werde das verhindern, genau wie einst.“
Der König seufzte. „Diese Sache aus dem 14. Jahrhundert steht also immer noch zwischen uns?“
„Du wolltest Sarah damals mit Gewalt zur Gefährtin nehmen!“
Agnus registrierte, dass die inzwischen ausgefahrenen Reißzähne seines relativ kleinen Schreibers gewaltiger waren, als er sie je gesehen hatte – um genau zu sein: gewaltiger, als alle, die er jemals gesehen hatte.
„Ja, in der Tat“, bekannte Abadin, „Ich war eben ein junger Narr.“
Und ein sehr gefährlicher Narr , dachte Agnus. In der Kampfkunst mit Zwillingsschwertern hatte Abadin schon damals tödliche Perfektion erreicht, und nach dem zu urteilen, was er heute im Kampf mit Benjamin gezeigt hatte, würde er Elia nicht den Hauch einer Chance einräumen – unter normalen Umständen. Aber Elias Zustand war momentan alles andere als normal, genau wie vor so vielen Jahrhunderten.
Der König erhob sich von seinem Stuhl und verneigte sich tief vor Elia, viel tiefer als üblich.
„Wie gesagt: Ich war ein Narr.“
Als Abadin anschließend auf Sarah zuging, hielt Agnus nichts mehr auf seinem Stuhl. Er stand auf und verfolgte mit Adleraugen die Szene.
Sarah legte Elia eine Hand auf den nackten Unterarm und die Berührung schien seinen Schreiber Gott sei Dank zu beruhigen und Sarah Sicherheit zu geben.
Der Herrscher ergriff Sarahs freie Hand und küsste sie respektvoll. „Ich freue mich, Euch, Lady Sarah, heute glücklich zu sehen. Ihr wart einst eine sterbende Blume, aber Euer Gefährte ließ Euch zu großer Pracht aufblühen.“
Sarahs Wangen färbten sich rot.
„Stellt Eure Frage, Abadin bin Jussef.“
Abadin, Sohn des Jussef – sein Name damals, lange vor seiner Zeit als König, erinnerte sich Agnus.
„Mich würde Eure Einschätzung zu dem Krieger Ben-Yamin interessieren. Ich habe vor, ihm den Schutz von zwei meiner Frauen zu übertragen.“
Nein, nicht Benjamin! Er wird in Teufels Küche kommen!
„Abadin“, protestierte Agnus sofort, doch der König sah ihn scharf an und hob abwehrend eine Hand.
Frustriert fuhr sich Agnus durch seine wilden Wikingerlocken. Er würde sich dermaßen die Hand verbrennen! Er glaubte, das Brennen bereits jetzt zu spüren.
Sarah antwortete sehr vorsichtig, was er ihr nicht verdenken konnte: „Benjamin – er mag auf Euch wie ein Krieger wirken, aber ich kenne keinen mit einem sanfteren Gemüt, von meinem Gefährten einmal abgesehen. Er ist nur zum Wächter geworden, damit seine Schwester unter dem Schutz von Agnus steht.“
Der gleiche Grund, warum auch Elia die ersten Jahrhunderte bei Agnus geblieben war. Jeder wusste, dass Lady Sarah eine Symbiontin war, und im Mittelalter hätten viele, die sich stärker glaubten als Elia, versucht, sie ihm zu rauben. Dass Elia sein Schreiber war, hatte sich durch alle Jahrhunderte hinweg als großer Vorteil für beide erwiesen. Und im neuen Zeitalter war Elia zu einem Computergenie geworden und das Internet ein Schlachtfeld, das er meisterte wie kein anderer.
„Würdet Ihr mich Ben-Yamins Schwester vorstellen? Ich bin ein mächtiger Herrscher. Keiner würde es wagen, sie aus meiner Hand zu rauben.“
Benjamin allein wäre chancenlos gegenüber Abadin, ebenso wie der Ehemann von Lissi, dachte Agnus.
„Sie ist nicht hier, Abadin. Sie hat sich einen Menschen zum Partner erwählt und wohnt weit weg an einem geheimen Ort.“
„Dann danke ich Euch, Lady Sarah. Es ist Euer Mund, aus dem ich ein Urteil über Ben-Yamin erfahren wollte.“
So langsam dämmerte Agnus, warum Abadin ausgerechnet Sarahs Einschätzung interessierte. Der König wusste, dass sie vor Elia durch einen gewalttätigen Vampir traumatisiert worden war, und wenn ausgerechnet sie Benjamin als sanftmütig beschrieb …
Der König küsste noch einmal ehrerbietig Sarahs Hand.
„Habt Dank für Euer Kommen.“
Die beiden verstanden den Wink mit dem Zaunpfahl und verließen die Bibliothek. Als sich die Tür schloss, seufzte Abadin.
„Ich beneide Elia um sein Glück. Ich hätte Sarahs Herz damals vielleicht gewonnen, wenn ich sanfter und geduldiger gewesen wäre.“ Und mit einem sarkastischen Lächeln ergänzte er: „Aber wir wissen beide, dass ich das bis heute nicht geworden bin.“
„Wir haben alle unsere Schwächen, alter Freund“, versuchte Agnus es ausnahmsweise mal diplomatisch.
„In der Tat.“
Gedankenverloren wandte sich Abadin den Büchern im Regal zu.
„Deine Wächter waren schon immer Männer von Ehre, nicht nur im Kampf. Sie haben ihre Frauen bereits in den alten Zeiten mit Liebe gefangen genommen und nicht mit Gewalt.“
Agnus wurde hellhörig.
„Ja, und das ist bis heute so. Etwas anderes würde ich auch nicht dulden.“
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