»Ich frage mich, warum Sie anrufen.«
Er lacht dunkel und atmet seufzend aus. »Das frage ich mich auch. Ich weiß nur, ich sollte es nicht. Aber Katelyn, ich kann nicht anders. Ich bekomm dich nicht aus meinem Kopf.«
»Wir kennen uns doch gar nicht.« In meinen Ohren rauscht das Blut und ich kann kaum das Telefon halten, so sehr zittern meine Hände. Solche Dinge habe ich noch nie empfunden.
»Um sich zueinander hingezogen zu fühlen, braucht es nicht mehr als einen Blick. Und ich kenne dich besser, als du glaubst.«
»Ich … ich kann nicht«, sage ich heiser und lege schnell auf. Ich lasse das Handy auf den Beifahrersitz fallen und reibe meine Schläfen. Warum fühlt sich das so aufregend und richtig an? Liegt es daran, dass Richard mich betrügt? Liegt es daran, dass zum ersten Mal ein Mann Interesse an mir zeigt? Dass ich zum ersten Mal Interesse an einem Mann habe? Mein Herz rast so sehr, ich spüre es überall im Körper. Ich fühle mich so verloren.
Jackson
»Ich bin so ein Idiot!«, schreie ich und hämmere auf mein Lenkrad ein. Wieso habe ich das getan? Weil alles in mir mich dazu bringen will, diese Frau zu beschützen, für sie da zu sein. Weil ich den Schmerz in ihren Augen nicht länger ertragen kann, den dieses Arschloch in ihr hervorruft. Katelyn ist so unschuldig, so zart. Wie kann man eine solche Frau verletzen? Wie kann man ihr so was antun?
Nein. Ich schüttle verzweifelt den Kopf. Sie ist nicht unschuldig. Das wissen wir noch nicht genau. Ich will sie nur gerne so sehen. Ich fahre auf den Parkplatz vor dem Campbell Building und sehe am Gebäude nach oben. Von diesem Dach dort habe ich letzte Nacht Stone geworfen. Er ist keine zehn Meter von meinem Parkplatz entfernt auf ein parkendes Auto gestürzt. Auf seinem Weg nach unten hat er so laut geschrien, dass ich nicht mal dafür sorgen musste, dass die Polizei ihn noch vor Sonnenaufgang findet. Irgendjemand aus der Nachbarschaft hat angerufen.
Stone war der Bodyguard neben Campbell. Der, der all die kleinen Geheimnisse mitbekommen hat. Der, der überall dabei sein durfte. Der, der alles wusste. Da ich mich in den letzten sechs Monaten langsam nach oben gearbeitet habe, sollte ich gute Chancen haben, jetzt nachrücken zu dürfen. Und wenn nicht, dann haben wir noch immer Plan B.
Ich steige aus dem Auto und gehe auf das Gebäude zu. Die Stelle um den Fundort der Leiche ist mit schwarz-gelbem Absperrband abgeriegelt. Wahrscheinlich haben sie nur vergessen, sie wieder freizugeben, denn die Leiche und das Auto sind weg. Sogar sämtliche Glassplitter der Frontscheibe scheinen beseitigt zu sein. Nichts weist mehr darauf hin, dass hier gestern ein Mensch gestorben ist. Damit ich meinen Job machen kann.
Ich durchquere die Lobby und fahre mit dem Fahrstuhl ganz nach oben in die fünfzehnte Etage, wo Campbell wahrscheinlich schon in seinem Büro sitzt. Als sich die Fahrstuhltüren öffnen, straffe ich meine Schultern und knöpfe mein Jackett zu. Ich hasse diesen Aufzug, aber Campbell besteht darauf, dass seine Männer sich in Armani kleiden, also muss ich mich jedes Mal, bevor ich herkomme, erstmal umziehen. Ich zerre wütend an meinem Schlips. Ich habe das Gefühl, das Ding will mich erwürgen. Die Empfangsdame lächelt mir zaghaft zu. Ich lächle zurück und zwinkere. Ein bisschen flirten kann nicht schaden. Dass das Mädchen mich jedes Mal mit ihren Blicken auszieht, wenn ich an ihr vorbeigehe, würde nicht mal ein Blinder nicht bemerken.
»Ist er da?«, will ich wissen. Eigentlich wäre heute mein freier Tag. Ja, auch Typen wie Campbell versuchen zumindest die offensichtlichen Gesetze einzuhalten. Bei ihnen ist es sogar noch wichtiger, dass sie gegen keine Regeln verstoßen, um so wenig wie möglich Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber vorhin hat Campbell mich angerufen und mich über den Tod von Stone unterrichtet. Natürlich war ich sehr überrascht und bestürzt. Da er mich ins Büro zitiert hat, hoffe ich, dass ich nun zu seiner rechten Hand befördert werde.
Ich klopfe an die Bürotür und öffne, als ich Campbells Stimme höre. Im großen, luxuriösen Büro stehen etwa zehn Personen verteilt. Mindestens fünf von ihnen sieht man das Gesetz an. FBI. Verdammter Mist.
»Da sind Sie ja, Jackson«, begrüßt mich Campbell. Ist das Erleichterung in seinem Gesicht? »Meine Herren, das ist Jackson Edlund. Er ist für die Sicherheit zuständig.«
Campbell kommt um seinen überdimensionalen Schreibtisch aus schwerem Holz herum und bittet mich mit einer Handgeste, näherzutreten. Zögernd trete ich in den Kreis aus Männern und reiche dem ersten die Hand.
»Jackson, das sind die Agents Summer, Caplan und Trent vom FBI. Und hier haben wir ein paar Kollegen der hiesigen Polizei«, sagt Campbell übertrieben freundlich. Die Erleichterung ist längst aus seinem Gesicht verschwunden. Jetzt funktioniert dieser Mann wieder wie eine Maschine. Ganz so, als könnte nichts ihn beunruhigen. Nur die Schweißperlen auf seiner Stirn unter seinem langsam ergrauenden Haar verraten, dass er nicht ganz so entspannt ist, wie er tut.
Ich gebe den Männern vom FBI die Hand. Beim FBI gibt es drei Haupttypen: Die, die ihren Job nur noch machen, weil sie ihn brauchen, um sich und ihre Familien zu ernähren. Die Fanatiker, die sich in jeden Fall verbeißen, als hätte man ihnen persönlich den Krieg erklärt. Und die gefährlichen Hunde, die so tun, als würde ihnen alles am Arsch vorbeigehen, in Wirklichkeit entgeht ihnen aber nichts. Sie sind die intelligenten Schlitzohren, die jeden noch so kniffligen Fall lösen. Von jedem Typ steht in diesem Moment einer vor mir. Summer ist der Familientyp, mittleres Alter, kleiner Bauchansatz, schütter werdendes mittelblondes Haar, Ehering am Finger. Als er mir die Hand gibt, wirkt er so genervt, dass ich weiß, mit ihm habe ich leichtes Spiel. Der will nur nach Hause.
Trent ist der Fanatiker. Sein Blick verrät mir, dass er mit seinem Gebiss schon an meinem Arsch hängt. Er hat längst sein Opfer gefunden und wird nicht mehr loslassen. Aber diese Typen sind so besessen, dass sie nicht um die Ecke denken können. Sie sehen nur nach vorn auf das Ziel und lassen sich nur schwer davon abbringen, ihrem Weg zu folgen. Genau wie bei jedem Fanatiker sieht man die Tollwut schon im braunäugigen Blick dieses Mannes. Die Fanatiker sind unruhige Geister, immer nervös und sie wirken immer irgendwie gestresst. Dem hochgewachsenen, schlaksigen Trent steht Fanatiker auf die Stirn geschrieben. Noch ein leichtes Spiel.
Ganz anders ist dieser Caplan. Er ist durchschnittlich groß, obwohl alle drei Männer Anzüge tragen, sitzt seiner am besten. Caplan ist sehr gepflegt. Seine schwarzen Haare liegen perfekt, sein Gesicht ist glattrasiert. Und er ist absolut ruhig. Völlig entspannt sieht er mich an. Ganz so, als würde er mir vertrauen. Aber wenn ich nicht hinsehe, mustert er mich, schätzt mich ab, prägt sich alles genau ein und beobachtet genau, wie ich reagiere, wie Campbell auf mich reagiert und ob nicht irgendwo ein Fussel oder ein Haar an meiner Kleidung haftet, das dort nicht sein sollte. Pech gehabt Junge, ich kenne die Regeln. Er wird kein leichtes Spiel für mich sein, aber ich auch nicht für ihn.
»Guten Tag, die Herren«, begrüße ich die Männer mit einer Stimme, in der sich nicht die geringste Emotion erkennen lässt. Ich schaue Caplan dabei direkt in die Augen. Er ist der Mann, den ich von mir überzeugen muss. »Meine Schicht beginnt eben erst. Ich hatte leider noch keine Zeit, in mein Büro zu gehen. Worum geht es denn?«
»Sie haben also nicht von dem Mord gehört?«, fährt Trent mich an und wirft mir eine wutverzerrte Grimasse zu. Ich sehe ihn kurz an und bleibe dabei ganz ruhig. Das Wichtigste ist, mich nicht von seiner Stimmung anstecken zu lassen. Nervosität ist absolut verboten.
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