Ich halte die Hand mit dem Handy hinter meinen Rücken und wende mich ihm zu. »Ich weiß nicht. Ich war in Gedanken. Wo warst du solange?«, rassle ich angespannt runter und schlucke den dicken Kloß runter.
»Es geht gerade alles drunter und drüber. Einer meiner Männer hat sich umgebracht und das FBI schnüffelt herum.«
»Umgebracht?«, frage ich erstaunt. Sagt er das nur, um mich davon abzulenken, wo er wirklich war? Aber warum sollte er einen Selbstmord erfinden?
»Nicht weiter wichtig.« Er mustert mich. Und plötzlich ist da dieser Blick. Der, den er bekommt, wenn er gleich Sex mit mir haben wird. Ich unterdrücke die aufsteigende Panik. Hatte er in letzter Zeit nicht genug Sex? Er kommt auf mich zu und legt eine Hand auf meine Brust. Ich erstarre. Es ist mir noch nie leichtgefallen, mit Richard zu schlafen. Wahrscheinlich, weil die richtigen Gefühle dafür nie da waren. Aber jetzt ekle ich mich so sehr vor seiner Berührung, dass mein Magen krampft. Was passiert, wenn ich mich weigere? Wird er Verdacht schöpfen?
»Katelyn«, sagt er. »Ich komme hier rein, du stehst vor dem Spiegel und starrst auf deinen Körper, deine Brustwarzen hart, die Wangen rot und …«, er schiebt seine Hand zwischen meine Schenkel und taucht mit einem Finger in mich, »… und du bist nass, als hättest du gerade an dir herumgespielt. Erzähl mir nicht, dass du nicht geil bist. Mich macht der Gedanke, dass du endlich aus deiner prüden Starre erwachst unheimlich geil. Leg dich auf das Bett, ich will nur von dir, was mir als dein Mann zusteht.«
Mein Herz krampft sich panisch zusammen. Normalerweise tue ich es einfach, gebe mich hin, so gut ich kann. Aber jetzt weiß ich von der anderen Frau in seinem Leben. Und da ist Jackson. Und das alles sorgt dafür, dass ich mich übergeben will bei dem Gedanken, dass er mich anfassen wird. Aber ich muss es zulassen, damit er nicht bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Wie sonst soll ich ihm erklären, dass ich feucht bin, Lust meinen Körper noch eben durchflutet hat und jetzt nichts mehr als Ekel vorhanden ist? Ich gehe rückwärts auf das Bett zu und lege mich hin. Ich setze ein künstliches Lächeln auf und öffne die Schenkel für ihn.
Meine Haut ist schon ganz rot, so lange und heftig versuche ich den Ekel von mir abzuschrubben. Aber es funktioniert nicht. Erschöpft lehne ich mich mit der Stirn gegen die Fliesen. Das Wasser, das über meine brennende Haut fließt, ist schon seit langen Minuten kalt. Aber ich beachte es kaum. Meine Gedanken kreisen einzig um den Ekel, den ich empfinde: vor Richard und vor mir selbst. Wieso war ich nicht mutig genug, ihm zu sagen, er soll sich zu seinem Flittchen scheren? Wieso habe ich ihn nicht abgehalten? Stattdessen habe ich ihm etwas vorgespielt. So, wie ich es seit Jahren tue, wenn wir Sex haben. Nur diesmal war es nicht so wie sonst, wenn ich einfach nichts dabei empfand. Diesmal empfand ich durchaus etwas: Abscheu.
Ich kann das nicht mehr. Ich brauche einen Ausweg. Aber welchen? Ich drehe das Wasser ab, hülle mich in ein Badetuch und wickle ein Handtuch um meinen Kopf. Als ich das Bad verlasse, vermeide ich den Blick in den Spiegel, mein Selbsthass ist zu groß. Ich kann mich nicht ansehen. Als ich angezogen bin, gehe ich in die Küche, wo unsere Haushälterin schon mit dem Frühstück wartet. Olivia sitzt am Tisch und rührt verträumt in ihrem Müsli herum. Manchmal ist sie so vertieft in ihre eigene Welt, dass sie um sich herum nichts mitbekommt. Um sie nicht zu erschrecken, ziehe ich langsam meinen Stuhl zurück und setze mich. Sie blinzelt, dann lächelt sie mich fröhlich an.
»Guten Morgen, mein Schatz«, sage ich und lehne mich zu ihr, um sie auf die Wange zu küssen.
»Hast du geweint, Mami?«, fragt sie ohne Umstände. Olivia platzt immer sofort mit den Dingen heraus, die sie beschäftigen.
»Ich habe Shampoo in die Augen bekommen«, lüge ich. In letzter Zeit lüge ich meine Tochter öfter an. Sie hält mir ihren Löffel hin – sie hält ihn in ihrer kleinen Faust. Kinder in ihrem Alter können einen Löffel schon richtig in der Hand halten. Olivia wird das nie können. »Nein danke«, sage ich und bedanke mich bei Sally mit einem Nicken, als sie mir einen Becher Kaffee reicht.
»Hast du heute keinen Hunger?«, will Olivia wissen. Ich sehe meine Tochter an und mir kommt der Gedanke, dass vielleicht auch sie hier feststeckt. Da Richard nie eine Bindung zu ihr aufgebaut hat, hat auch sie es nie getan. Sie sieht ihn ja kaum mal. Suche ich nur nach einer Entschuldigung für die Dinge, die mir plötzlich durch den Kopf gehen, oder könnte es wirklich möglich sein, dass auch Olivia in diesem Haus nicht glücklich ist? Vielleicht ist sie das noch, aber schon bald nicht mehr? Wenn sie älter wird und mehr von der Abweisung mitbekommt, im Blick ihres Vaters. Aber wie viel wird sie in ein paar Jahren überhaupt noch mitbekommen? Geistig entwickelt sie sich schon jetzt langsamer als andere Kinder. Wenn ich wirklich in Erwägung ziehen würde zu gehen, wäre es dann nicht sogar negativ für ihre Entwicklung? Ich müsste sie aus ihrem gewohnten Umfeld reißen. Sie würde ihre Freunde verlieren. Denn eins ist gewiss, das ist mir letzte Nacht klargeworden, nachdem Richard mit mir fertig war: Wenn wir gehen würden, dann müssten wir unsichtbar werden. Richard dürfte uns nie finden. Ich müsste für alle unsichtbar werden, auch für das Gesetz. Denn Richard würde sofort mit dem, was er über mich weiß, zur Polizei gehen.
»Vielleicht bin ich krank«, sage ich lächelnd, weil ich ihr kaum sagen kann, dass der Ekel vor ihren Vater mir den Appetit verdorben hat.
Mein Handy vibriert und ich ziehe es zu mir heran.
Jackson: Vergiss mich nicht.
In meinem Magen flattert es. Ich habe ihn nicht vergessen. Keine einzige Sekunde seit gestern Abend. Ich denke an das Bild, das ich ihm geschickt habe und spüre, wie meine Wangen heiß werden.
Ich: Ich komme.
Nachdem Olivia aufgegessen hat, setze ich sie in den Kindersitz des Beetle und fahre sie in die Schule. Sie erzählt mir von Moos, das sie im Unterricht gestreichelt haben, und wie weich es sich angefühlt hat. Ich höre kaum zu, sehe aber immer wieder mal lächelnd über die Schulter zurück, damit sie das Gefühl hat, ich wäre bei der Sache. Dabei schaut sie die ganze Zeit zum Fenster hinaus und sieht mich gar nicht an.
»Hast du die große Eule aus Stein gesehen?«, ruft sie begeistert und ich nicke abwesend. Vor dem Parkplatz der Schule steht auf einer weißen Säule eine bronzene Eule. Sie steht schon immer da, und schon immer fragt mich Olivia, ob ich sie gesehen habe. Ganz so, als wäre sie gerade erst aufgestellt worden.
»Hmm«, mache ich. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Wegen Jackson fühle ich mich fahrig. Meine Gefühle sind sehr gemischt: Nervosität, Angst, Erwartung, Freude. Ich kann mich nicht entscheiden. Dabei will ich ihm doch nur sagen, dass wir das nicht tun können.
Jackson
Mit trockenem Mund sehe ich auf die Uhr an meinem Handgelenk. Sie hat geschrieben, dass sie kommen wird. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie es nicht tun wird. Wahrscheinlich wäre es besser so. Ich weiß selbst nicht, was gestern in mich gefahren ist. Aber da war das FBI, das noch immer herumschnüffelt, da ist ihr Mann, der mich trotz Stones Tod nicht näher an sich heranlässt und da ist sie, die mich nicht loslässt. Sie ist jede Sekunde meines Tages in meinen Eingeweiden und wühlt darin herum. Zu viel, um nicht irgendwann einzuknicken. Obwohl ich wusste, dass es ein Fehler ist, mich noch mehr auf sie einzulassen, konnte ich nicht anders. Vielleicht hatte ich den einen oder anderen Drink zu viel. Aber das war gestern. Und heute sitze ich noch immer da und warte sehnsüchtig darauf, diese Frau in meinen Armen halten zu können.
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