Die Hilfskräfte des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg arbeiteten jedenfalls sehr akribisch. Alles wurde erfasst und fotografiert. Es ist wohl davon auszugehen, dass diese Stellungnahme nicht nur einen textlichen Inhalt hatte, sondern bildlich belegt wurde, wie der Zustand des Bernsteinzimmers einzuschätzen ist. Diese Stellungnahme bildete sozusagen die Grundlage dafür, auf höchster Ebene eine Entscheidung zu treffen, ob das Bernsteinzimmer in Königsberg bleiben sollte oder nicht. Eigentlich gibt es nur eine Erklärung, die der Wahrheit sehr nahe kommen würde.
Vorstellbar wäre es, das der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, Ritter von Leeb, diese Stellungnahme angefordert hatte, um sie im Dezember 1941 Hitler vorzulegen. Diese Stellungnahme mit Bildern zu belegen, war zur damaligen Zeit kein Problem. Sowohl der ERR aber auch das Einsatzkommando „ Hamburg “ der Gruppe Künsberg verfügte über solche Möglichkeiten. Sie waren „ mit einem Fotolabor und einem Fotokopiergerät“ ausgerüstet. „ Eine erste Filmentwicklung sollte im Kriegsgebiet möglich sein. Der entwickelte Film war dann in Berlin zu archivieren. Für gut befundene Fotos waren, nach Feldzügen geordnet als Lichtbildsammlung des Sonderkommandos aufzubewahren.“ (5).
Immerhin zeichneten sich in der Zusammenarbeit zwischen dem ERR und dem Einsatzkommando „ Hamburg “ im November 1941 erste Fortschritte ab.
„ Am 11. November 1941 trafen Künsberg und der Reichshauptstellenleiter des ERR Gerhard Utikal eine Vereinbarung über die Beteiligung von vier zur Eingliederung in die Waffen SS geeigneten Beauftragten des ERR beim Sonderkommando Künsberg, die bei den Einsatzkommandos und dem Stab mitarbeiten sollten.“ (6)
Wenn man bedenkt, dass die Stellungnahme des Museumskonservators am 13. Dezember 1941 in der Heeresgruppe Nord vorliegen sollte, ist das sicherlich darauf zurückzuführen, weil der Oberkommandierende der Heeresgruppe Nord, Ritter von Leeb, am 16. Dezember 1941, also drei Tage später, in Hitlers Hauptquartier befohlen wurde. Dieser Sachverhalt geht aus einer Geheimen Kommandosache vom 15.12.1941 hervor:
„ Über die von der Heeresgruppe (Nord) endgültig zu haltende Stellung wird der Führer die Entscheidung am 16.12. im Hauptquartier treffen und erwartet dazu den Oberbefehlshaber der H.Gr. und der 16. Armee, wenn Flugwetter besteht. Bis dahin kann die Heeresgruppe die Panzerverbände hinter den Wolchow zurückziehen, sonstige Ausweichbedingungen aber nur dann durchführen, wenn eine akute Gefahr für die Gesamtfront droht.“ (7)
Weil Flugwetter bestand traf Leeb zum befohlenen Termin im Führerhauptquartier ein.
„ Der Flug Leebs in das Hauptquartier Hitlers am 16.Dezember erbrachte die Genehmigung zu den bereits eingeleiteten Rückzügen auf den Wolchow die bis zum 27. Dezember gelangen.“ (8)
Hat Leeb Hitler die Stellungnahme des Museumskonservators vorgelegt? Ja! Das entspricht in Verbindung mit den bekanntgewordenen Terminen der Logik. Damit wäre definitiv klar gestellt, das Hitler die Entscheidung getroffen hat, das Bernsteinzimmer im Königsberger Schloss zur Ausstellung zu bringen. Damit ist eine wichtige Schlüsselfrage beantwortet, die bisher immer umstritten war: Hat Hitler? oder hat Hitler nicht? Hitler hat!
Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord Ritter von Leeb hatte nach diesem Flug die definitive Entscheidung Hitlers im Rucksack. Das Bernsteinzimmer ist in Königsberg zu belassen und dort zur Ausstellung zu bringen!
Nachdem diese Entscheidung durch Hitler getroffen wurde begann der Aufbau des Bernsteinzimmers im Königsberger Schloss. Während des Aufbaues fiel Alfred Rohde dann auf das zwei Doppeltüren fehlten.
Hitler hatte zu solchen Entscheidungen wie im Umgang mit dem Bernsteinzimmer seine eigene Auffassung. Er verurteilte grundsätzlich das Vorgehen, ein Kunstwerk dorthin, wo es entstanden war, zurückzuführen. Die Ausstellung des Bernsteinzimmers in Königsberg ist der Beweis für diese Behauptung. Nicht das Bernsteinzimmer, aber das barocke Bernsteinkabinett Friedrich I. war so ein Kunstgegenstand. Das Rohmaterial kam zwar aus Ostpreußen, aber fertiggestellt wurde der barocke Teil in Berlin und die Erweiterungen mit der Besetzung durch Rokokoteile erfolgten in Rußland durch Rastrelli.
Hitlers Auffassung zu dieser Problematik war folgende:
„ Wenn man nur in einigen wenigen Ausnahmefällen aus dem Wunsch heraus, eine Galerie – etwa in Linz – möglichst vollkommen zu gestalten, Rechte und Besitztitel einer Gemeinde, eines Reichsgaues oder eines anderen Landes verletze, so komme das ganze rechtliche Gebäude der Rechts – und Besitztitel ins Rutschen, und es gebe kein halten mehr.
Man brauche ja nur einmal an das Streben des Nürnberger Bürgermeisters Liebel zu denken, alles was von Nürnberger Künstlern geschaffen sei, nach Nürnberg zurückzuholen, um sich den leicht zu entzündenden Kampf aller gegen alle um die vorhandenen Kunstschätze auszumalen.
Es sei auch völlig falsch, bei einem Kunstwerk sich stur auf den Standpunkt zu stellen, dass es nur dorthin gehöre, wo es geschaffen worden sei. Ein wirkliches Kunstwerk dränge immer aus den Grenzen seiner Vaterstadt hinaus, um Ruhm für seinen Meister und für seine Vaterstadt draußen in der Welt zu schaffen .“ (9)
Diese subjektive Einstellung Hitlers war es demnach, die ihn bewogen hat nach Kenntnisnahme der Stellungnahme des Museumskonservator vom ERR die Entscheidung zu treffen, das Bernsteinzimmer im Königsberger Schloss und nicht im Stadtschloss Berlin zur Ausstellung zu bringen.
Es gibt einen weiteren indirekten Hinweis darüber, dass das Bernsteinzimmer eventuell doch vom ERR fotografiert wurde. Der Leiter des „ Sonderstabes Bildende Kunst “ des ERR, Bereichsleiter Robert Scholz, schrieb in einem Arbeitsbericht über die Tätigkeit des Sonderstabes, im Zeitraum vom Oktober 1940 bis zum Juli 1944, zur Arbeit in den Ostgebieten.
„ In den besetzten Ostgebieten beschränkte sich die Tätigkeit des Sonderstabes bildende Kunst auf eine wissenschaftliche und f o t o g r a f i s c h e Erfassung der öffentlichen Sammlungen und ihrer Sicherung und Betreuung in Zusammenarbeit mit den militärischen und zivilen Dienststellen. Im Zuge der Räumung der Gebiete wurden einige hundert wertvollster russischer Ikonen, einige hundert Gemälde der russischen Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts, Einzelmöbel und Einrichtungsgegenstände aus Schlössern in Zusammenarbeit mit einzelnen Heeresgruppen geborgen und in ein Bergungslager ins Reich gebracht. Auch eine Sammlung entarteter bolschewistischer Kunst sowie eine Sammlung entarteter westlicher Kunst wurden für politische Studienzwecke angelegt. Außerdem wurde durch den Sonderstab Bildende Kunst eine umfangreiche Materialsammlung über sowjetische Kunstpflege, Museumspolitik, Kunstpublizistik und Bildmaterial über sowjetische Kultur geschaffen. 25 Bildermappen mit den wertvollsten Werken der im Westen erfassten Kunstsammlungen sind dem Führer am 20. April 1943 ( Hitlers Geburtstag - d.A .)zusammen mit drei Bänden eines vorläufigen Gemäldekataloges und einem Zwischenarbeitsbericht überreicht. Es werden diesem Bericht 10 weitere Bildermappen angefügt. Weitere Bildermappen sind in Vorbereitung.” (10)
Die Zusammenhänge im Umgang mit diesem Kunstwerk aus der Vergangenheit - dem Bernsteinzimmer - werden somit immer deutlicher. Das, was Admiral Lorey ausgelöst hatte, war im gemeinsamen Zusammenwirken zwischen den vielen militärischen und zivilen Dienststellen zum Abschluss gebracht worden. Hitler hatte entschieden! Sie alle waren, ob nun direkt oder indirekt an diesem Kunstraub beteiligt, Reichskanzler Adolf Hitler, Admiral Hermann Lorey, als Chef der Heeresmuseen, Ernstotto Graf Solms zu Laubach, als ehemaliger Museumsdirektor in Frankfurt am Main, Hauptmann Georg Poensgen, als verantwortlicher Kunsthistoriker aus dem Bereich der Verwaltung Staatliche Schlösser und Gärten, Generalfeldmarschall Ritter von Leeb, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, Generaloberst (später Generalfeldmarschall) Georg von Küchler, Oberbefehlshaber der 18. Armee, General Georg Lindemann, Oberbefehlshaber des L.A.K., Major Pitschmann, Nachschubführer im Generalstab der 18. Armee, 3. Kompanie des Nachschubbataillons 553 (Tmot), Transport und Verpackung, der Museumskonservator Rosenbergs mit seinen Hilfskräften, die im Bereich der Heeresgruppe Nord zum Einsatz gekommen sind, Alfred Rohde, Direktor der Städtischen Kunstsammlung Königsberg wurde mit der Verwaltung des Bernsteinzimmers beauftragt, Dr. Ernst Gall, Direktor der Verwaltung Staatliche Schlösser und Gärten, war dem Erziehungsministerium unterstellt und mit der Wahrnehmung staatlicher Interessen beauftragt.
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