Lieber Mord als Scheidung
Ein Krimi aus der Zeit der Schreibmaschinen
von
Hannelore Kleinschmid
Wenn ich's recht bedenke, begann die Geschichte, von der ein Alltagstyp wie unsereiner nie glaubt, sie könne ihm persönlich oder in seinem Umkreis passieren, damit, dass wir den Höhepunkt nicht erreichten. Ich werde mich allerdings hüten, aus solcherlei Geschehnissen, auch wenn sie sich zeitweilig bedenklich häuften, Rückschlüsse auf meine Potenz zu ziehen. Jeder, der mir zuhört, wird alsbald wissen, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Übrigens: ich heiße Anders, Fridolin, angenehm!
Nehmen wir zum Beispiel den Morgen, als die Sache – wie schon gesagt - anfing, für mich jedenfalls.
Ich kniete über ihr. Wir waren erregt und deshalb nicht gerade leise. Das mittlerweile zehnjährige Bett knarrte mit einigen überstrapazierten Sprungfedern seinen Kommentar. Wir gingen an dem Tage, als wir die Wohnung einrichteten und unsere Liegestatt Wand an Wand mit dem Kinderzimmer aufschlugen, davon aus, dass der Schlaf jüngster und junger Menschen, sind sie erst einmal in die Arme von Morpheus gesunken, im Traumland durch nichts mehr zu stören ist. Bis sie dort eintauchen, können sie jedoch für Eltern durchaus zu einer nervenzerrenden Plage werden. Wenn sie Wand an Wand liegen.
Womit wir gerade beschäftigt waren, bildet immerhin die Grundlage menschlicher Existenz, so dass man die Rücksichtnahme zeitweilig herunterfahren darf.
Das Ächzen der Sprungfedern verstärkte sich. Wie aus dem Nichts stiegen Gedanken an das hundertjährige Bett in meiner ehemaligen Studentenbude in mir auf, das seine Funktion gerade in dem Moment aufgab, als ich mich anschickte, meine zukünftige Frau zu entjungfern. Mit lautem Krachen landete die Matratze auf dem Fußboden. Die Tür öffnete sich, und meine achtzigjährige Wirtin blickte herein. Genauso errötend wie wir, erkannte sie die Lage sekundenschnell und entschuldigte sich:
"Tut mir leid, Herr Anders, dass ich Sie beim Allerschönsten gestört habe."
Das zusammengekrachte Bett hatte damals unerwünschte Auswirkungen. Da uns der Schreck in alle Glieder gefahren war, vertagten wir unser Tun auf einen günstigeren Zeitpunkt. Ich versichere, dass er nicht mehr lange auf sich warten ließ.
Nur gemach! Dies ist der Bericht von einem verdächtigen Tod und seinen Folgen. Jedoch werde ich für meine Überzeugung streiten, dass ich ihn an der Stelle beginnen darf, an der die Ereignisse für mich ihren Anfang nahmen.
Mir wurde bald heiß und heißer. Ich musste mich mit aller Kraft zurückhalten. Die Erinnerung an das Bett bei der Frau Wirtin half mir dabei. Elke dirigierte mich unmissverständlich in eine Lage, in der sie für gewöhnlich über eine gewisse Zeitspanne die Initiative an sich reißt und ich mich bei aller Lust vornehmlich darauf konzentriere, das Ende hinauszuzögern.
Als wir gerade, eng vereint, eine neuerliche Drehung um hundertachtzig Grad vollzogen, klingelte das Telefon. Zu allem Unglück hatten wir am Vorabend wieder einmal vergessen, die Klingel leiser zu stellen, die tagsüber den Wunsch anderer, mit uns zu telefonieren, in jeden Winkel der Wohnung trug. Der Apparat stand im Arbeitszimmer, das uns gegebenenfalls auch als Gästezimmer diente. Nicht selten - ja ich fragte mich manchmal, ob die zählbare Zunahme als Alterserscheinung zu werten sei - wurde der Raum auch demjenigen zur Zufluchtsstätte, der für eine Nacht aus der Enge unseres französischen Bettes aussteigen wollte.
Ungebremst schallte das Telefon durch die Wohnung. Prompt erwachte das Kinderzimmer. Fußgetrappel setzte ein. "Ich!" - "Nein! Ich!“ wurde gerufen. Dann schimpfte die jüngere Tochter hinter dem zwei Jahre älteren Sohn hinterher: "Immer musst du, du Blöder", und auf nicht zu missdeutende Weise näherten sich Laufschritte der Schlafzimmertür, während das Telefonklingeln mitten in seiner höchsten Phonzahl abbrach.
Wir lösten uns voneinander, griffen blitzesschnell nach den Bettdecken, die unsere Unaufmerksamkeit zu einem Hinabgleiten auf den Teppichboden veranlasst hatte, und versuchten, uns bis zum Hals zuzudecken, fein säuberlich getrennt, jeder auf der gewohnten Betthälfte liegend. Noch war das Bettdeckenziehen nicht beendet, da ging die Tür auf und vorwurfsvoll tönte die Stimme der fünfjährigen Miriam: "Hört ihr denn nicht: Telefon!“ Im selben Tonfall fügte sie die Klage hinzu, dass sich Jonas stets und ständig vordrängele.
Im Geiste auf unsere nun zugedeckten Gefühle einredend, um sie zu beschwichtigen und auf einen späteren Zeitpunkt zu vertrösten, hatten wir noch nicht die Kraft zu einer Antwort gefunden, als schon der Sohn mit der Lautstärke eines etwa zwei Meter entfernt startenden Düsenjets herantobte und schrie: "Papal Papa! Es ist Christoph! Du sollst dich beeilen. Er hat nicht so viel Kleingeld! Wieso hat er kein Geld? Wofür braucht er das?"
Verständlicherweise fand das wissbegierige Kind in dieser Morgenstunde keinen geduldigen Lehrmeister. Ich bemühte mich zuerst in die Unterhose, denn ich schlief für gewöhnlich im Adamskostüm, und dann ins Arbeitszimmer an den Telefonapparat.
Christoph, mein dreizehn Jahre jüngerer Bruder, gab sich im Allgemeinen als äußerst selbstbewusster junger Mann. Er redete fast ausnahmslos in einem Ton, der beim Gesprächspartner keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass das Gehörte unumstößlich das Richtige sei. Hätte ich nicht seine Stimme erkannt, hätte ich es für unmöglich gehalten, dass an anderem Ende der Leitung mein Bruder sprach. Das heißt: er stotterte und stammelte, und ich verstand nur Bahnhof. Das lag mit Gewissheit nicht an meinem, sondern an seinem Zustand. Christoph brachte stockend hervor, er riefe vom Bahnhof aus an und müsste mir etwas ungeheuer Wichtiges mitteilen. Er habe einen Brief an mich abgeschickt. Er sagte das alles so umständlich, dass die Telefonleitung Klick machte, weil das Geld alle war, noch bevor auch nur die blasseste Ahnung in mir aufstieg, um welche Angelegenheit es sich handeln könnte.
Meine Frau lag genauso gerade, brav, bis zum Hals zugedeckt, auf dem Rücken im Bett, wie ich sie verlassen hatte. Kopfschüttelnd berichtete ich ihr, wie das Telefongespräch vonstattengegangen war. Kopfschütteln war auch ihre Reaktion. Dazu muss man wissen, dass Christoph selten bei uns anrief. Eigentlich geschah es nur, wenn er einen Prüfungserfolg melden wollte, den er kurz, laut und ohne auf Antwort zu warten, hinausposaunte.
"Ob er vielleicht betrunken war und die Nacht durchgezecht hat?" grübelte ich laut, während ich wieder ins Bett stieg in der immer aufs Neue vergeblichen Sonntagshoffnung, die Kinder würden ausgerechnet diesmal mindestens zwei Stunden lang friedlich und nur mit sich selbst beschäftigt spielen.
Meine Frau Elke entgegnete: "Seit seiner Gelbsucht hat er doch immer Rücksicht auf die Leber genommen."
Kaum hatte sie das Wort Rücksicht über die Lippen gebracht, breitete sich im Kinderzimmer ein lautes Wehklagen aus und näherte sich unserem Bett in der Windeseile, die unsere Tochter manchmal entwickelte. Wieder einmal nützte es gar nichts, den Kopf unter die Decke zu stecken. "Warten wir eben auf den Brief." sprach meine Frau und stand mit Heldenmiene auf, richtiger: mit Heldinnenmiene!
Ich erlebte die ungewöhnlichste Zeit meines 35-jährigen Daseins. Doch ich war zu angewidert, als dass ich die Spannung hätte genießen können. Ich erlebte leider kein beneidenswertes Abenteuer, sondern todernstes Leben. Es ging um Christoph. Ihm musste ich helfen. Wieder einmal musste ich für den kleinen Bruder in die Bresche springen. Er stand kurz vor der Vollendung seines 23. Lebensjahres, als er in der Klemme steckte wie nie zuvor. In Untersuchungshaft saß er, eine Mordanklage wurde vorbereitet. Vieles sprach gegen ihn. Aber ich glaubte ihm, als er schwor, dass er unschuldig sei.
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