K. D. Beyer
Henkersmahlzeit
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Inhaltsverzeichnis
Titel K. D. Beyer Henkersmahlzeit Dieses ebook wurde erstellt bei
Alpha Alpha Alpha ist der erste Buchstabe des griechischen Alphabets und steht für „Anfang“. Eine Führungspersönlichkeit wird manchmal als „Alphatier“ bezeichnet, um ihre besondere Stellung innerhalb einer Gruppe zu charakterisieren. Das Alphatier kann selbstbewusst und engagiert oder kompromisslos, machthungrig und grausam sein. Durch seine Dominanz kann ein einzelnes Alphatier ganze Weltbilder auf den Kopf stellen und prallen Alphatiere aufeinander, können hochexplosive Mischungen entstehen, mit fatalen Folgen. Sophie war alles andere als ein Alphatier. Deshalb war ihr Leben weder spektakulär noch schillernd, wie das der meisten Zeitgenossen.
Bravo
Charlie
Delta
Echo
Foxtrott
Golf
Hotel
India
Juliet
Kilo
Lima
Mike
November
Oscar
Papa
Quebec
Romeo
Sierra
Tango
Uniform
Victor
Whisky
Xanthippe
Ypsilon
Zeppelin
Impressum neobooks
Alpha ist der erste Buchstabe des griechischen Alphabets und steht für „Anfang“.
Eine Führungspersönlichkeit wird manchmal als „Alphatier“ bezeichnet, um ihre besondere Stellung innerhalb einer Gruppe zu charakterisieren.
Das Alphatier kann selbstbewusst und engagiert oder kompromisslos, machthungrig und grausam sein.
Durch seine Dominanz kann ein einzelnes Alphatier ganze Weltbilder auf den Kopf stellen und prallen Alphatiere aufeinander, können hochexplosive Mischungen entstehen, mit fatalen Folgen.
Sophie war alles andere als ein Alphatier.
Deshalb war ihr Leben weder spektakulär noch schillernd, wie das der meisten Zeitgenossen.
„Bravo, na bravo …!“ Sophie schaute ärgerlich auf das rohe Ei, das sich gerade gemächlich und eiskalt über ihren rechten, vollständig nackten Fuß ergoss. Das braune Ei war ihr vor Schreck aus der Hand gerutscht, als ein ohrenbetäubender Knall ihr beinahe das Trommelfell zerriss. Wahrscheinlich ging es mal wieder um missachtete Vorfahrtsregeln an der übersichtlichen kleinen Kreuzung in der Nähe. Doch darum konnte sie sich jetzt unmöglich auch noch kümmern. Die dunkle Eierschale war beim Aufprall in zwei Hälften zersprungen. Während sich das Eiweiß um ihre Zehen schleimte, thronte das Eigelb wie eine orangegelbe Signallampe auf Sophies Fußrücken. Sophie hatte die Hoffnung auf ein Spiegelei noch nicht aufgegeben. Sie schaute sich vorsichtig um. Die Pfanne stand schon auf dem Herd. Sie müsste sich nur hinüberbeugen … Entschlossen knallte Sophie heftiger als sonst die Kühlschranktüre zu und das Schwäbische Kochbuch, das auf dem eierschalenfarbenen Kühlschrank mit den abgerundeten Ecken gelegen hatte, landete auf dem Eigelb und zerstörte Sophies Traum von einem unkomplizierten Frühstück.
„Bravo …!“ zischte Sophie. Während sie nun nach der Küchenrolle in der Nähe der Pfanne angelte fragte sie sich, weshalb sie ständig bravo ausrief, obwohl es doch nichts zu bejubeln gab.
Sie hatte den Ausdruck wahrscheinlich unbewusst von ihrem Chef übernommen. So begann er seine Predigten immer, wenn er jemanden zur Schnecke machen wollte.
Sorgfältig befreite Sophie ihren Fuß grob vom Glibber und hüpfte dann auf dem linken Bein zum Spülbecken. „Bravo … Aaauuaah …!“ Schnell zog sie den Fuß unter dem kochend heißen Wasserstrahl zurück.
Mit Spülmittel, lauwarmem Wasser und Tränen in den Augen schrubbte Sophie ihren Fuß. Anschließend kroch sie auf dem Küchenfußboden umher wie eine Schnecke, um ihre Schleimspur zu entfernen.
Dabei hatte der Morgen so angenehm begonnen.
Ihr Wecker hatte sie zuverlässig mit niedlichem Vogelgezwitscher geweckt. Nachdem sie ihn ausgeschaltet hatte, lauschte sie noch ein paar Minuten dem Life-Konzert vor ihrem Schlafzimmerfenster.
Während sie darauf wartete, dass sich das Wasser in ihrer Kaffeemaschine aufheizte, schaute Sophie in ihrem Online-Duden nach.
„Bravo“ war ursprünglich der Beifallsruf der Zuschauer in der Italienischen Oper und bedeutete „hervorragend“ oder „Kompliment“.
„Wieso hat es bei uns mittlerweile eine so abwertende Bedeutung?“, fragte sich Sophie, während sie sich eine dicke Vollkornbrotscheibe mit Himbeermarmelade bestrich.
Gedankenverloren las sie die Bedeutung von brav: sich so verhaltend wir andere es erwarten oder wünschen. Nachdem sie die Synonyme gelesen hatte, beschloss sie, „bravo“ und „brav“ aus ihrem Wortschatz zu streichen. Wer will denn schon bieder, gefügig, fantasielos, hausbacken oder spießig sein?
Nach einem herzhaften Biss ins Marmeladenbrot und dem ersten Schluck Kaffee ging es Sophie schon viel besser. Sie hatte die Marmelade mit einem tüchtigen Schuss Himbeergeist und zarten Mandelblättchen selbst gemacht.
Als Sophie ihr Smartphone wegpacken wollte, tippte sie versehentlich auf das großgeschriebene „Bravo“.
„Oha …“„ entfuhr ihr leise. Mit gerunzelter Stirn las sie: italienische Bezeichnung für Räuber, Meuchelmörder.
Gedankenverloren schaute sie aus dem Fenster und ließ ihren Blick über das idyllische Ruhrtal gleiten.
Charlie erhob den Kopf und blinzelte in den dunklen Himmel.
Dicke Schneeflocken fielen in jener Nacht.
Die weißen Flocken legten sich schützend auf Zäune und Bäume. Eine glitzernde Decke erhellte die Straße und den Weg zum Fluss.
Charlie liebte diese kleine Bucht hinter der alten Eiche noch immer. So oft war sie schon hier gewesen. Mit ihren Freundinnen hatte sie hier gebadet, gespielt und in der Sonne geträumt.
Vom Weg aus war die Bucht nicht zu sehen. Kleine Büsche versperrten die Sicht auf ihren Lieblingsplatz.
Hier war das Ufer flach und mit kleinen Kieseln bedeckt. Das Wasser war klar und an warmen Tagen konnte man die winzigen Fische beobachten, die sich ganz nah ans Ufer trauten.
Der Vollmond spiegelte sich im Wasser.
Das Mädchen schloss die Augen und atmete tief aus.
Sie lauschte andächtig der weißen Stille und sog die reine Luft in sich auf wie ein zerbrechlicher, ausgetrockneter Schwamm.
Die Eiskristalle benetzten ihre dunklen Haare.
Dann öffnete sie ihre Augen und musterte ihre schweren Schuhe. Es waren die Schuhe ihres Großvaters. Sie waren schwarz und viel zu groß. Sie bewegte ihre Zehen langsam und bedächtig auf und ab. Ihr Großvater war Bergmann gewesen. Seine Lunge war früh vom feinen Staub der Kohle zerfressen und Charlie war noch ein Baby, als er starb. Ihre Mutter hatte seine Kleidung aufbewahrt wie eine Reliquie. In einem großen Kleiderschrank im Keller, der nach Mottenkugeln duftete, waren alte Kleider, Fotos und Erinnerungsstücke von ihm und ihrer Großmutter aufbewahrt. Die Großmutter hieß Charlotte, genau wie sie. Doch schnell war der ganzen Familie klar, dass dieser Wirbelwind, zu dem sie sich rasch entwickelt hatte, unmöglich Charlotte heißen konnte.
Charlie passte viel besser zu diesem kleinen, bezaubernden Frechdachs.
In dem großen Kleiderschrank im Keller hatte die 14jährige Charlie nun die viel zu großen Schuhe gefunden und sich darin auf ihren Weg gemacht.
Sie starrte auf die Steine am Boden. Wie unterschiedlich in Größe und Form sie doch waren! Sie waren so unterschiedlich, wie die Menschen, die sie kannte: manche waren klein, andere waren groß, einige fühlten sich gut an und andere waren gefährlich, verletzend, tödlich.
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