K. D. Beyer
Mori Memento
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Inhaltsverzeichnis
Titel K. D. Beyer Mori Memento Dieses ebook wurde erstellt bei
Summer Wine Summer Wine „Strawberries, cherries And the angel‘s kiss in spring, My summer wine is really made from all these things, Take off your silver spurs and help me through the time And I will give to you Summer wine Oh, summer wine …“ Lee Hazlewood
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Kapitel siebzehn
Impressum neobooks
„Strawberries, cherries
And the angel‘s kiss in spring,
My summer wine is really made from all these things,
Take off your silver spurs and help me through the time
And I will give to you
Summer wine
Oh, summer wine …“
Lee Hazlewood
Es war an einem Montag im nassgrauen November.
Die tapfersten Blätter an den Bäumen trotzten noch immer den Herbststürmen, während das abgefallene Laub auf der Erde, den Straßen und auf dem Friedhof, der an Saras kleinen Garten grenzte, bereits langsam vor sich hin moderte.
Die Sonne hatte sich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr blicken lassen. Trübsinnig starrte Sara aus dem Fenster. Sie sehnte sich nach Wärme und Licht. Morbide Gedanken geisterten bereits seit Tagen durch sie hindurch und es bereitete ihr größte Mühe diese Hirngespinste in Zaum zu halten.
Im Radio spielten sie den Song „Summer Wine“ was Sara zu einem verständnislosen Kopfschütteln veranlasste.
„Das Glück glitzert geheimnisvoll im Augenblick, während sich das Unglück schleichend aus der Vergangenheit nähert.“
Grimmig tauchte Sara den Teebeutel mit dieser geheimnisvollen Botschaft in ihre große Tasse. Dann machte sie sich, entschlossen sich durch nichts mehr aus der Ruhe bringen zu lassen, an die Arbeit.
Es gab noch so viel zu tun.
Sie schaute zur Uhr und stellte mit Entsetzten fest, dass ihr nur noch eine Stunde Zeit blieb, bis Marlene und Helena sie abholen würden.
Immer wieder blickte sie gedankenverloren hinüber zum Friedhof.
Was für ein friedlicher Ort …
Sie seufzte und durchstöberte das Internet. Sie hätte sich einfach früher um das Rezept kümmern müssen! Sie hatte versprochen eine große Kanne Glühwein mitzubringen, für die Fahrt mit dem Taxi zum Flughafen.
„Auf der Insel trinken wir dann Sangria, Mojito, Caipirinha …“, hatte Helena ihnen entzückt vorgeschwärmt.
„Und jetzt muss ich noch diesen ollen Glühwein kochen“, brummte Sara vor sich hin während sie sich durch das Netz der Glühwein-Klugscheißer quälte. Ungeduldig beendete sie ihre unbefriedigende Suche und griff auf ihren eigenen Erfahrungsschatz zurück. Sie durchstöberte ihre Vorräte und pfefferte schnell eine Zimtstange, ein paar Sternanis-Sterne, eine aufgeschlitzte Vanilleschote, Orangenscheiben mit Schale und ein paar zerquetschte Kardamom-Kapseln in einen Kochtopf, kippte den Inhalt irgendeiner Flasche Wein aus dem vorigen Jahrhundert darüber und rührte sorgfältig um. Dann schaltete Sara die Herdplatte ein und beäugte gespannt das Gebräu durch den gläsernen Deckel, um den wichtigen Moment, kurz vor dem Kochen abzupassen.
Sie wartete geduldig und konzentriert, rührte dabei immer mal wieder um … bis es an der Haustür schellte.
Vor Schreck zuckte sie zusammen.
Es war ein junger Mann, der ihr ein Päckchen überreichte.
Obwohl das Paket nicht groß war, war es schwer.
Sara kannte den Absender nicht.
Wann hatte sie zuletzt ein Päckchen bekommen?
Wann hatte sie zuletzt irgendetwas bestellt?
Der junge Mann war zum Plaudern aufgelegt und wollte ihr gerade noch einen schönen Tag wünschen, als ein bedrohliches Zischen laut und deutlich aus der Küche kam.
Sie lauschten mit angehaltenem Atem und er verabschiedete sich schnell, als er ihre panischen Blicke sah.
Es roch nicht nach dem weltbesten Glühwein aller Zeiten.
Sara warf das Päckchen auf die kleine Holzbank im Flur und es war, als hätte sie Flügel: in Windeseile stand sie am Herd und zog den Topf zur Seite.
„Wieso, zum Teufel …?“ fauchte sie und starrte auf die Bescherung.
So war es immer: ausgerechnet das, was sie unbedingt vermeiden wollte, passierte.
Schnell beseitigte sie alle Spuren und wiederholte die ganze Prozedur mit der angebrochenen Flasche Weißwein, die sie in ihrem Kühlschrank gefunden hatte. Um die Thermoskanne voll zu bekommen, kippte sie eine ausreichende Menge Grappa dazu.
Sie schloss gerade ihre Haustüre hinter sich zu, als ein Taxi hielt und Marlene und Helena heraussprangen und sie herzlich begrüßten. Der Taxifahrer wuchtete ihren Reise-Trolley in den Kofferraum, während Sara ihren Glühwein ausschenkte und die drei auf ihre bevorstehende Reise anstießen.
Bevor Sara am diesem Abend schlafen ging, notierte sie, wie jeden Abend, drei positive Ereignisse des Tages: aus einem Elefanten eine Mücke gemacht, mit dem Flugzeug geflogen und einen wildfremden Mann geküsst.
Lächelnd blätterte sie zurück, zum Anfang ihres Notizbuches.
Amüsiert las sie den ersten Eintrag, den sie im Sommer vor einem Jahr gemacht hatte.
Es war ein warmer Sommertag, als ihr Himmel sich verdunkelte.
Sara hatte mal wieder akribisch und genau alles richtig gemacht. Sie hatte sich, wie immer, größte Mühe gegeben, das Richtige richtig zu machen und dennoch stand sie eines Tages, obwohl die Sonne hell vom Himmel strahlte, vor dem schwarzen Scherbenhaufen ihrer Vergangenheit.
Wie war dieser Berg dorthin gekommen?
Direkt vor ihre Nase?
Sie hatte ihn weder bestellt, noch ausgerechnet an diesem besagten Tag mit irgendwelchen Abweichungen ihres durchgeplanten Tagesablaufs gerechnet.
Der Scherbenhaufen war so groß und mächtig, dass ihr sofort klar war, dass sie diese Trümmer heute nicht mehr beseitigen konnte.
Morgen auch nicht.
Und auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte würde ihre restliche Lebenszeit niemals zur Beseitigung ausreichen.
Dieses Mal ließen sich die schweren Brocken nicht mehr unter den Teppich kehren, in den Schrank stopfen oder im Keller stapeln.
Ihre Niederlage war nun auch für sie offensichtlich.
Andere hatten es kommen sehen, letztendlich interessierte sich jedoch niemand für sie und ihren Haufen.
Sie waren tatsächlich plötzlich alle damit beschäftigt, vor ihrer eigenen Haustüre zu kehren.
Sara hatte bereits aufgehört, in den Köpfen anderer zu existieren, während sie noch mitten unter ihnen weilte.
Und zum ersten Mal tat sie nichts, obwohl jede Menge zu tun gewesen wäre. Sie drehte sich einfach um und schlug eine völlig neue Richtung ein.
Wieso Sara von einem Tag auf den anderen ihren Job, den sie mal so sehr geliebt hatte, von heute auf morgen an den Nagel hängte, konnte sie schon längst nicht mehr in Worte fassen. Ihre Reaktion basierte auf einem schmerzhaften Gefühl … und löste eine Lawine von Abwehrhaltungen in ihr aus. Sie hatte ihre Arbeit als Psychotherapeutin jahrzehntelang mit größter Hingabe geleistet. Die Überzeugung, Gutes zu tun, zu helfen, etwas zu bewirken, hatte sie angetrieben, wie ein Perpetuum Mobile. Doch dann stellte dieser unsichtbare Motor scheinbar über Nacht seine Arbeit ein. „Das Nichts hat mich aufgefressen. Aufgefressen mit Haut und Haar und von der Sara, die ich mal war, ist nichts mehr übrig geblieben. Jetzt geht es auch bei mir nur noch um mein nacktes Überleben!“
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