»Der Geruch von frisch gewaschener Wäsche oder einer Pizza im Ofen«, meint Liam.
»Truthahn und Erbsen«, schlägt George vor.
»Ja, und Chili con Carne«, meint Liam.
»Das hast du immer geliebt.«
»Nur so wie Granny es gemacht hat. Mit einem Hauch …«
»… dunkler Schokolade«, füge ich an und seufze.
»Du solltest es für ihn kochen«, schlägt George vor.
»Das werde ich.«
»Mit Nachos«, fügt Liam an.
»Aber erst nachdem der Weidezaun unten auf der Südkoppel repariert ist«, wirft George düster ein.
»Der Zaun ist kaputt?«, hakt Liam nach und sieht mich fragend an.
»Ja, George wollte nicht, dass ich ihm helfe.«
»Weil du eine Säge nicht von einem Hammer unterscheiden kannst«, mischt er sich ein.
Liam grinst mich breit an und ich ziehe schuldbewusst die Schultern hoch. »Ich denke, die Pizza war lang genug im Ofen«, entschuldige ich mich, stehe auf und bücke mich vor dem Ofen, um durch die Scheibe nach innen zu sehen.
»Jetzt bin ich ja da, ich kann dir helfen, solange ich hier bin.«
»Du gehst doch nicht schon wieder weg?«, knurrt George Liam an. Ich wollte gerade den Ofen öffnen und erstarre in der Bewegung, die Hand am Griff.
»Ich werde nur ein paar Tage bleiben, bis ich etwas anderes gefunden habe.«
»Wir haben darüber gesprochen, du bleibst«, beschließt George.
Ich fühle mich reichlich unbehaglich, wenn es um dieses Thema geht, da ich weiß, wie riskant es ist, dass Liam hier ist. Wenn Mark es erfährt, wird es sehr unangenehm für uns alle werden.
»Die Pizza ist fertig«, sage ich und öffne den Ofen. »Hmm«, mache ich, um einem Streit der beiden zuvor zu kommen.
Ich nehme die Pfanne aus dem Herd, stelle sie auf einem Holzbrett in der Mitte des Tisches ab und streife den Ofenhandschuh von meiner Hand. Nach einer kurzen Präsentation vor der Kamera teile ich die Pizza auf Teller auf und freue mich darüber, wie der flüssige Käse aus den Stücken quillt und sich auf dem Porzellan ausbreitet.
»Das sieht sehr gut aus«, sagt Liam.
»Ich fühle mich krank«, meint George plötzlich.
Ich setze mich wieder auf meinen Platz an der Stirnseite und mustere George. »Du fühlst dich krank?«, will ich besorgt wissen.
»Ja«, sagt er und schiebt die Pizza in den Mund, schließt die Augen und stöhnt genüsslich. »Du wirst mit Liam in die Stadt fahren müssen, um Material für den Zaun zu besorgen.«
Ich schlucke und werfe Liam einen flüchtigen Blick zu, der verträumt kaut und dessen Geist im Moment irgendwo weit weg ist. »Du weißt, dass ich nicht fahren kann.«
»Musst du, denn ich bin krank«, besteht George.
Die Chicago Style Deep Dish Pizza war bis eben hervorragend köstlich, aromatisch und einfach gut, aber jetzt habe ich keinen Appetit mehr. Ich esse weiter, während die beiden Männer neben mir leise seufzen und stöhnen, aber ich schmecke nichts mehr.
Chicago Style Deep Dish Pizza
Zutaten:
480g Mehl
35g gelbes Maismehl
1 3/4 Teelöffel Salz
2 3/4 Teelöffel Instant-Hefe
25g Olivenöl
57g Butter, geschmolzen
25g Pflanzenöl oder Salatöl
255g lauwarmes Wasser (weiter unter Rezepte)
»Wenn du etwas anderes trinken möchtest, dort im Schrank steht noch Bourbon«, schlägt Tessa mir vor. Sie macht es sich auf dem kleinen Sofa bequem und legt sich ihren Laptop auf die Oberschenkel. Ihr Glas Rotwein steht neben ihr auf dem kleinen Beistelltisch. Sie wirkt, als wäre sie schon jetzt völlig in die Arbeit vertieft, die sie noch nicht einmal begonnen hat. Ich muss lächeln, als ich ihren konzentrierten Blick bemerke, den sie auf das dunkle Display gerichtet hat, während sie darauf wartet, dass das Gerät hochfährt.
Ich öffne die Hausbar und werfe einen Blick auf die Flasche Kentucky Bourbon, die einsam zwischen Gläsern steht. Das Etikett ist ausgeblichen und abgegriffen, weil Granny die Flasche immer wieder genommen hat, nur um sie anzusehen. Ich nehme sie jetzt auch, streiche über die blasse, abgegriffene Schrift, um Granny so etwas näher sein zu können. Ich möchte sie nur einen Augenblick fühlen, aber das hier ist nur eine Flasche Bourbon, das ist nicht sie.
»Die hat Grandpa gehört. Er hat sie von Granny bekommen, als es der Ranch in den 80ern nicht so gut ging. Sie wollte ihn damit aufmuntern. Er liebte einen guten Tropfen am Abend, wenn er mit ihr hier im Wohnzimmer saß und ihr beim Sticken zugesehen hat«, erzähle ich, ohne aufzusehen. Also weiß ich nicht einmal, ob Tessa mir überhaupt zuhört. Aber ich erzähle es eigentlich auch nicht ihr, sondern mir, weil es sich gut anfühlt, die Geschichte dieser Flasche Bourbon zu erzählen. »Er hat sie nie geöffnet, weil er versprochen hat, sie erst zu öffnen, wenn es der Ranch wieder besser geht. Er ist gestorben, bevor es so weit war. Granny hat die Flasche danach jeden Abend neben sich gestellt, wenn sie hier gestickt hat. Sie hat fest daran geglaubt, wenn sie das tut, wird es uns immer gut gehen, weil Grandpa auf uns achtgibt.«
Ich sehe zu Tessa auf. »Hat sie sie in den letzten Jahren auch noch rausgeholt?«, frage ich sie.
Tessa schluckt, in ihren Augen schwimmen Tränen. »Hat sie. Sie hat geglaubt, wenn sie es nicht mehr tut, kommst du nicht wieder nach Hause.«
Ich nicke tief bestürzt, in meiner Brust bildet sich ein Knoten, weil ich mich schuldig fühle, und ich stelle die Flasche wieder zurück.
»Du solltest sie trinken«, sagt Tessa leise. »Sie hätte es gewollt. Wer sonst sollte sie jemals trinken?«
Ich betrachte die Flasche und denke einen Moment darüber nach. Wer sonst? Ich bin der Letzte. Es gibt nur noch mich und George. »Ich werde sie zusammen mit George trinken«, sage ich und schließe den Schrank wieder, da George sich nach dem Abendessen zurückgezogen hat. »Jetzt sehe ich mir an, was du da tust.« Ich setze mich neben sie auf das Sofa, lege einen Arm auf die Rücklehne, ziehe einen Fuß unter den Oberschenkel des anderen Beins und wende mich ihr zu, um ihr besser zusehen zu können.
Tessas Mundwinkel heben sich zu einem Lächeln. Sie ist eine wirklich hübsche Frau mit einem engelhaften Lächeln. Wenn sie mich so ansieht, stelle ich mir immer wieder die Frage, was hat Mark getan, so eine Frau wie sie zu verlieren? Was ist den beiden passiert? Zugleich freue ich mich für Mark, dass er das Glück hatte, mit einer solchen Frau verheiratet gewesen zu sein. Ich bin froh, dass er sie hatte, weil das bedeutet, dass er wieder Freude im Leben hatte nach allem, was vorgefallen war.
»Zuerst lade ich das Video auf den Laptop, danach werde ich es bearbeiten und dann auf meinen Blog stellen. Wahrscheinlich warten ein paar Leser schon, ich bin heute etwas spät dran«, sagt sie und lächelt wieder.
»Du machst das jeden Abend?«, hake ich überrascht nach. Ich wundere mich ohnehin schon, dass George bei so etwas mitmacht. Er ist nicht gerade modern, war er nie. Und er mag es auch nicht, im Mittelpunkt zu stehen.
»Nein, Videos drehe ich nur zweimal in der Woche, dazwischen schreibe ich Artikel oder arbeite an meinem neuen Buch.«
Ich lache dumpf auf und mustere Tessa neugierig und beeindruckt von dem, was sie da tut. »Ich habe wohl eine Menge verpasst.«
Tessa zieht einen Mundwinkel hoch und grinst. »Wieso glaubst du das?«
»Weil ich keine Ahnung hatte, dass man mit Kochvideos im Internet Geld verdienen kann.«
Tessa nimmt mit einer Hand ihre golden im gemütlichen Licht von Grannys alter Stehlampe schimmernden Haare zusammen und lässt sie sich auf den Rücken fallen. »Man kann, aber ich bin sicher, dass ich einfach nur Glück hatte. Es gibt viele, die etwas Ähnliches tun und nicht davon leben können. Ich hatte wohl eine Menge Glück, denn ich kann gut von dem leben, was ich gerne tue. Das können nicht viele.«
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