Vorderpfoten eine Pincette. Und mit den beiden Pincetten konnte
das Tier sehr gewandt meine Blätter halten und umdrehen.
Nach der Lektüre fächelte sich das Tier vom Strande des
heiligen Nil mit meinen Blättern ein wenig Kühlung zu und sagte
leise:
»Das war so schmerzlich grade nicht, denn der Wert der
Dunkelheit wird ja auch gleich im richtigen Lichte gezeigt. Hast
Du nicht eine längere Sache, die wenigstens schmerzlich endet? Mir
scheint – doch davon nachher.«
Ich suchte wieder in meinen Taschen, und dann ließ ich das
kluge Nilpferd dies hier lesen:
Die wilde Kralle
Ein Raketen-Scherzo
Ich kletterte immer höher; es ging ja so leicht.
Die Astknorren waren nicht zu dick und nicht zu
dünn – grade so recht.
Aber die Spitze der Tanne konnt' ich nicht erreichen,
so eifrig ich auch klettern mochte.
Es war doch ein schrecklich hoher Baum.
Er war bedeutend höher, als ich dachte.
Einmal, als ich runtersah, kam mir's so vor, als wäre
die Erde unten längst unsichtbar geworden.
So hoch im Weltall zu sein, erschien mir da ein stolzes
Vergnügen zu sein.
Ringsum kein andrer Baum – kein Stück Erde – kein
Stück Wasser – nur Himmel – nichts als Himmel – mit
unzähligen seligen Sternen.
Mit stiller Andacht starrte ich in den großen Himmel.
Und der Himmel schien mir plötzlich so eng und
begrenzt – wie eine kleine Dorfkirche.
Da knisterte was unter mir.
Ich weiß nicht mehr genau, wie's war – ich sah nur
allmählich, vor mir an der sternbestickten Himmelsdecke
eine weiß schimmernde Riesenkralle zitternd
emporsteigen.
Und die Riesenkralle krallte sich in die sternbestickte
Himmelsdecke fest und riß ein großes unregelmäßiges
Loch hinein; die Eckfetzen flatterten steif ab, als wenn
ein starker Wind durch das Loch mich anbliese.
Und ich schaute durch die flatternden Eckfetzen in
eine andre Welt, die größer ist als unsre kleine
Dorfkirchenwelt.
Dort hinten – weit hinter unserm Fixsternhimmel –
war der Hintergrund tiefschwarz und unendlich tief.
Und in der Mitte dieser anderen Unendlichkeit stiegen
langsam zwei goldene Riesenraketen empor, die aus
lauter goldenen Sonnen bestanden; sie perlten immer
höher wie langsam aufsteigende Riesenfontänen.
Aber die Raketen gehen nicht grad in die Höhe, sie
biegen sich nach allen Seiten wie alte Baumstämme, die
oft vergeblich nach dem Lichte strebten.
Und sie werden immer größer.
Und sie bekommen wie die Baumstämme Äste.
Die rechts sich aufreckende Rakete hat keine Ecken;
sie biegt sich, wie Schlangenleiber sich biegen. Die links
sich aufreckende Rakete hat jedoch sehr viele Ecken und
Kanten wie knorrige Eichen.
Es sieht anfänglich alles ganz friedlich aus – leider
darf man keinem Frieden trauen.
Die goldenen Sonnenraketen biegen sich vor und
zurück, als wenn der Sturmwind an ihnen rüttle. Und
bald wird mir's ganz klar: Die Raketen stehen sich
gegenseitig im Wege.
Ich hatte wohl vorher gedacht, dieses Schwanken,
Drängen, Schieben und Stucksen wäre nur eine
Äußerung der Zärtlichkeit. Mir fiel jedoch zur richtigen
Zeit ein, daß ordentlichen Feindschaften ein zärtliches
Vorspiel was ganz Natürliches ist.
Die Atmosphäre scheint mir recht heiß zu werden. Die
Schlangenrakete dehnt oft ganz beängstigend ihren
gierigen Sonnenleib. Und die Eichenrakete schwankt und
zittert wie ein wilder Trotzkopf, der gern seine Wutkrone
aufsetzt.
Die beiden Ungeheuer stehen sich im Wege – das ist
mir bald völlig klar.
Und ich nehme Partei für die goldene Eiche, die mir
der Schlange an Schlauheit unterlegen zu sein scheint.
Der Schlauheit mag ich stets an den Hals.
»Ich schütze die Dummheit!«
Also ruf' ich laut. Und ich erschrecke, da mir tausend
Echos – der Himmel mag wissen woher – antworten –
höhnend antworten.
Hei! Jetzt kommen die goldenen Sonnen ordentlich in
Bewegung! Das Gold glitzert und zuckt! Die Raketen
machen Ernst! Das ist keine Zärtlichkeit mehr! Ich recke
mich auch! Meine sehnigen Muskeln schwellen an wie
springende Wildbäche im Frühling!
Es zittern die Spitzen der weichen und der knorrigen
Äste so stark, daß ich mitzittern muß.
Und aus den Spitzen fliegen nun blaue, grüne und rote
Lichtblasen heraus – die brennen in dunklen Farben und
werden immer größer. Und aus den Lichtblasen schießen
in die Nacht gelbe und weiße Lichtkegel, die wie weite
Scheinwerfer blitzschnell den Himmel durchfliegen – von
einem Ende zum andern – wie rasend!
Eine Lichtschlacht!
Zwei goldene Milchstraßen liefern sich eine
Lichtschlacht – eine lautlose.
Ich muß mich sehr wundern.
»Himmel! Wetter!« ruf ich wieder ganz laut, »ist denn
da hinten auch alles so eng, daß nicht mal zwei
Sonnenbäumchen Platz haben? Sind denn ›sämtliche‹
Weltwinkel zu klein?«
Über mir hör ich ein heftiges Brummen, und seltsam
hüstelnd antwortet mir eine dunkle Baßstimme:
»Was weißt Du von Weltwinkeln? Tu doch nicht so,
als ob Du kosmische Größenverhältnisse besser
ausrechnen könntest als unsereins. Die Naseweisheit
steht Dir nicht gut. Verkrieche Dich in der alten
Weltpauke! Da ist noch Platz für dich.«
Ich ducke mich, obgleich ich Keinen sehe.
Die Raketen kämpfen weiter.
Es wird furchtbar lebhaft da hinten.
Ich möchte noch mehr sehen; das Loch in der
Himmelswand erscheint mir zu klein. Doch da kommt
auch schon die weiß schimmernde Riesenkralle wieder
höher und macht das Loch größer.
Jetzt kann ich bequemer dem Kampfspiele zuschauen.
Die weißen und gelben Lichtkegel flirren immer heftiger.
Die roten, grünen und blauen Gasblasen werden
mordsmäßig groß und platzen dann – wie Alles, was zu
groß wird. Dafür spritzen die Spitzen der weichen und
der knorrigen Äste immer wieder neue Blasen hervor, die
auch mit weißen und gelben Lichtkegeln herumflirren.
Die Schlangenrakete wird offenbar noch schlauer; sie
bedrängt die Eiche wie ein unheimliches Krötenweib.
Ich kann's kaum ansehen; die Schlange wird mit ihren
langen Schläuchen, die ihr immer dicker aus dem Leibe
herauswachsen und gar nicht mehr was Astartiges haben,
so aufgedunsen – so scheußlich groß.
Der Hintergrund, von dem sich die Raketen abheben,
ist so bunt wie eine riesige zitternde Opalfläche; die
roten, blauen und grünen Gaskugeln mit den gelben und
weißen Lichtkegeln flattern umher, als wenn sie ein
Weltföhn durchbrause.
Da kann ich mich nicht mehr halten.
Die Schlangenrakete wird von oben bis unten gemein.
Das ist die ewige Niedertracht!
Ich möchte der Schlange an den Hals.
»Eine Kralle möcht' ich haben!«
Das schrei' ich.
Und im selben Augenblick fühl ich, daß die wilde
Kralle, die unsern alten dösigen Dorfkirchenhimmel
aufriß, ›meine‹ wilde Kralle ist.
Und mit meiner weiß schimmernden Riesenkralle
pack' ich durchs Loch, mitten in den Schlangenleib rinn.
»Ich will nicht die Schlauheit siegen lassen!« brüll' ich
auf und drück' mit meiner wilden Kralle zu – den ganzen
Leib der Schlangenrakete entzwei.
Doch dabei muß ich »Au!« schreien.
Ich habe mich verbrannt.
Horngeruch – widerlicher – steigt mir betäubend in
die Nase.
Ich sehe nichts mehr.
Ich reiße die Hand mit der Kralle aus dem Loche raus,
Читать дальше