Connor erhob sich umständlich. Er war ganz verspannt vom langen Sitzen und versuchte, sich ein wenig zu strecken. Die freundliche Flugbegleiterin, die ihnen den Flug so angenehm wie möglich gemacht hatte, schenkte ihm erneut ein bezauberndes Lächeln.
„Auf Wiedersehen, Mr. Leary. Ich hoffe, Sie waren zufrieden und fliegen bald wieder mit unserer Airline.“
Abwesend nickte er ihr zu, bevor er zum Rollfeld hinabstieg, wo bereits die bestellte Limousine auf Holmes und ihn wartete.
„Kommst du endlich? Oder willst du dort Wurzeln schlagen?“, Holmes konnte seine Ungeduld nicht verbergen. Erschöpft ließ Connor sich auf die Rücksitze des Wagens fallen. Jetzt würde er die letzte Etappe der langen Reise auch noch überstehen.
Tatsächlich gelang es, ohne Aufsehen die Hotelsuite des LeGrand zu erreichen. Unterwegs hatte er nur schemenhaft die Umrisse der Stadt wahrgenommen, die in der nächsten Woche sein Zuhause sein würde. Wieder kreisten seine Überlegungen um das bevorstehende Interview, das erschreckend nahe gerückt war. Er spürte seinen Widerwillen wachsen, dabei waren negative Gedanken genau das, was er vermeiden sollte.
Warum stellte er sich diese Reporterin nur als aufdringliche Emanze vor, die aus ihm die letzten Geheimnisse seines Lebens herausquetschen wollte? Wahrscheinlich hatte sie ohnehin eine Antipathie gegen Männer, die Erfolg bei den Frauen hatten. Oder aber sie würde top gestylt erscheinen und versuchen, ihre weiblichen Vorzüge bei ihm in Szene zu setzen.
Connor musste über sich selbst lachen. Vielleicht war sie ja ganz nett. Er neigte zweifelsohne zu Übertreibungen. Er schenkte sich großzügig einen Whisky aus der Minibar ein. Es war bereits der dritte. Nachdenklich betrachtete er das golden schimmernde Getränk. Er wusste, er trank in letzter Zeit zu viel. Hier konnte die Lösung seines Problems nicht liegen – Alkohol hatte noch niemandem geholfen. Er stellte das Glas auf die Anrichte. Vielleicht würde es ihn etwas aufmuntern, wenn er ausgiebig duschte.
Er schlenderte ins Bad, das ein extravaganter Traum in Blau und Gold war. Weiche Vorleger umschmeichelten seine nackten Füße. Schnell zog er sich aus. Das Prickeln der Wassertropfen auf seiner Haut tat unendlich gut. Das warme Wasser spülte nicht nur den Schweiß, sondern gleichermaßen seine Sorgen mit fort. Vorübergehend wenigstens. Minutenlang genoss er die Entspannung, bevor er nach einem Handtuch griff und es sich um die Hüften schlang. Er warf einen Blick in den Spiegel. Was war nur aus ihm geworden? Wo war der lebenslustige und unbekümmerte junge Mann, der er einmal gewesen war, geblieben? Warum vagabundierte er durch Hotelzimmer von Set zu Set und bewegte sich in dieser künstlichen, kalten Welt?
Er wandte sich ab und warf sich auf das gigantische Bett seiner Suite. Irgendwo musste es ein halbwegs vernünftiges Fernsehprogramm geben. Er griff nach der Fernbedienung. Die Einsamkeit stieg bereits wieder in ihm hoch, wie fast immer in letzter Zeit. Gleichgültig, ob sich Menschen um ihn herum befanden oder nicht. Das Gefühl, allein zu sein, ließ sich kaum noch unterdrücken. Er sah ein, dass auch das Fernsehprogramm daran nichts änderte. Auf dem Bildschirm wurde getalkt und geliebt, getanzt und gemordet. Schließlich tat das Fernsehen seine Wirkung und Connor schlief erschöpft vor dem Apparat ein.
Der große Morgen war gekommen. Emily erhob sich mühsam aus dem Bett. War das eine grässliche Nacht gewesen. Sie fühlte sich völlig erschlagen. Langsam schob sie die Gardinen zur Seite. Na ja, wenigstens schien die Sonne. Sie versuchte, es als gutes Omen zu werten. Müde schlurfte sie ins Bad und erschrak über ihr blasses Gesicht. „Ich sehe aus, als hätte ich die Nacht durchgezecht“, stöhnte sie leise auf, ehe sie sich mit einem Schwall kaltem Wasser erfrischte. Rasch putzte sie die Zähne und fühlte sich sogleich besser. Emily zog ihre Jeans aus dem Kleiderstapel, der bedenklich wankte, schlüpfte ungelenk hinein und streifte sich ein leuchtend rotes T-Shirt über.
Leise summte sie vor sich hin, während sie den Kaffee aufsetzte und Kakao für die Kinder kochte. Zügig stellte sie Marmelade, Nutella und Honig auf den Tisch. Jetzt musste sie nur noch das Brot toasten, dann wurde es Zeit, die Kinder zu wecken.
Ein Blick ins Kinderzimmer zeigte ihr, dass das Wecken überflüssig sein würde. Jessica saß bereits in ihrem Bett und spielte, während Tobias gedankenverloren seine Modellautos sortierte.
„Guten Morgen, ihr Süßen.“
Sie drückte beiden einen Kuss auf die Stirn.
„Es ist Zeit, aufzustehen. Die Kita wartet auf euch.“
Obwohl der unangenehme Druck in ihrem Magen sich permanent verstärkte, bemühte sich Emily, Ruhe zu bewahren.
„Ich will erst noch mit Elsa spielen.“
Jessica zerrte an einem blauen Tüllkleid, das sie ihrer Eiskönigin anziehen wollte.
„Jetzt nicht mehr.“ Emily griff nach der Puppe und legte sie beiseite, was zur Folge hatte, dass Jessies Mundwinkel bedenklich zu zucken begannen. Herrje, bloß keine Szene heute Morgen wegen dieser blöden Spielfigur. Sie wusste, wie langwierig die Trotzphasen ihrer Tochter sein konnten. „Du kannst Elsa doch mit in die Kita nehmen. Wir machen dich erst einmal genauso schick wie deine Eiskönigin. Geh dich schon mal waschen, ich lege dir etwas zum Anziehen heraus.“
In Windeseile suchte Emily nach Jessicas Lieblingskleid. Gott sei Dank, da war es. Sie nahm es vom Bügel und legte es vorsichtig auf das Bett ihrer Tochter, die unterdessen fröhlich im Badezimmer planschte. Es klang, als ob der Boden anschließend trockengelegt werden müsste. Emily zwang sich, das Geplätscher zu überhören, und wandte sich Tobias zu.
„Los, marsch, raus aus den Federn!“
„Mami, welches Auto gefällt dir am besten?“
Sie warf einen flüchtigen Blick auf die Fahrzeuge, die nach Farben sortiert auf dem Bettrand standen. „Keine Ahnung, die sind alle schön. Steh jetzt endlich auf.“
„Nun sag schon“, bettelte ihr Sohn. „Ein Modell muss dir doch besonders gefallen.“
„Muss es das?“ Genervt zog sie eine Augenbraue hoch, da sie jetzt absolut keine Lust auf Diskussionen verspürte.
„Na gut, zeig her.“ Emily überlegte kurz. „Dieses hier“, sie tippte auf einen schnittigen Sportwagen.
„Ein Lamborghini Diablo“, Tobi strahlte, aber machte nicht die geringsten Anstalten, sich zu erheben. „Nicht wahr, der ist irre.“ Tobias setzte an, seiner Mutter einen detaillierten Vortrag über die Vorzüge dieses Autos zu halten.
Emily blickte nervös auf die Uhr, sie musste sich wirklich beeilen. Ihr Termin rückte unaufhaltsam näher. Energisch griff sie nach ihrem Sohn, hob ihn aus dem Bett und trug ihn ins feuchte Bad.
„Los, heute reicht Katzenwäsche.“ Sie drückte ihm einen Waschlappen in die Hand und wischte gleichzeitig eilig den Boden trocken.
Jessica saß mittlerweile in ihrem lilafarbenen Blümchenkleid am Küchentisch und schlabberte mit dem Kakao. Emily ließ sich auf den Stuhl neben ihr sinken. Warum war alles nur so schwierig? Ob es anderen Müttern genauso erging? Inzwischen hatte glücklicherweise auch Tobias ein Marmeladenbrot gegessen. Jetzt musste sie nur noch ein paar Sachen für die Übernachtung bei Sophie zusammenpacken.
Gegen halb neun Uhr war es ihr endlich gelungen, die beiden Bummelanten in der Kita abzugeben. Mittlerweile war sie schweißgebadet und nahezu völlig aufgelöst. Ihre Laune befand sich auf dem absoluten Tiefpunkt. Es würde nicht einfach sein, sich halbwegs passabel herzurichten in der kurzen Zeit, die ihr noch blieb. Doch sie musste es versuchen. Zu Hause angekommen, warf sie ihre Jeans und das T-Shirt aufs Bett und sprang unter die Dusche, während sie in Gedanken den Inhalt ihres Kleiderschrankes durchging. Was sollte sie bloß anziehen? Den roten Hosenanzug vielleicht? Ach nein, der war viel zu auffällig und ließ sie so tussihaft erscheinen. Das graue Kostüm? Es wirkte allerdings schrecklich bieder. Am besten wäre das schicke, smaragdgrüne Kleid, das ihr Tom aus München mitgebracht hatte. Sie musste lächeln, als sie an ihn dachte. Noch immer spürte sie seine Nähe und seine Vertrautheit, und noch immer gaben ihr die Gedanken an ihn Kraft. Er war stets bei ihr, egal welche Situation sie gerade durchstehen musste.
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