Danach besuchten sie einige Boutiquen, die Emma wählen durfte. Jacky konnte ihren Geschmack nicht einschätzen. Und sie wurde überrascht. Das Mädchen kaufte einige praktische Sachen, Jeans und T-Shirts, Sportschuhe. Und zwei Paar Pumps und Miniröcke. Es erinnerte Jacky an eine Zeit, bevor sie mit Aiden in einer Beziehung war. Sie trug damals oft solche Kleidung, mit dem Zweck, bei Männern Anerkennung zu finden. Jacky lächelte mit einem leicht bitteren Zug um den Mund. In dieser Zeit war der Mord an einem ihrer Liebhaber geschehen, den Marilyn versuchte, ihr anzuhängen. Das brachte sie nach Maricopa Tent City und nur sie und ihre Familie waren sicher, dass sie unschuldig war. Freigesprochen wurde sie damals aus Mangel an Beweisen. Zu viel sprach dafür, dass Marilyn ebenfalls als Täter in Frage kam. Es ließ sich nicht klären. Ein bitterer Nachgeschmack.
Später kehrten sie zur Ranch zurück. Der kleine Michael war im Kindersitz eingeschlafen. Mit zwei Frauen einkaufen zu gehen, schaffte jeden Mann, dachte Jacky lächelnd und bat Emma, den Jungen vorsichtig aus dem Sitz zu nehmen. Ihr war es im Moment zu anstrengend, das selbst zu tun. Sie legte die Hand auf ihren gewölbten Bauch.
„Geht es dir nicht gut?“, fragte Emma und hob die Augenbrauen.
„Nein, nein, ist schon gut. – Die Kleine ist nur sehr lebhaft. Wenn sie geboren ist, wird sie sicher schlimmer als Michael.“ Jacky versuchte ein Lachen, aber es wirkte nicht echt.
„Wo soll ich Michael hinbringen?“, fragte Emma jetzt nur.
„Ins Wohnzimmer. Lege ihn auf die Couch. Dort kann er ruhig weiterschlafen. Ich komme gleich nach.“
Emma brauchte etwas, bis sie den Gurt des Kindersitzes gelöst bekam und den Jungen vorsichtig herausnehmen konnte. Als er sich an ihre Schulter schmiegte, durchströmte sie ein warmes Gefühl. Sie schluckte.
„Soll ich Hilfe holen?“, fragte Emma besorgt, als sie das blasse Gesicht von Jacky sah. Aber Jacky schüttelte den Kopf.
„Es geht schon wieder.“ Sie lächelte müde.
Waleah kam aus dem kleinen Häuschen am Fluss und ging in Richtung Wohnhaus. Sie sah Jacky und eilte herzu.
„Komm, Darling, ich bringe dich hinein.“ Sie legte ihren Arm um Jackys Taille und brachte sie ins Haus, nicht ohne Emma ein Lächeln zukommen zu lassen. Oder galt es Mike? Emma spürte den Blick.
Sie folgte den beiden Frauen und legte den schlafenden Jungen auf das Sofa.
Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Also bot ich an, für Jacky ein Glas Wasser zu holen. Waleah nickte mir zu.
„Sie trinkt immer so wenig. Aber dieses Kind fordert viel von ihr.“
Ich wusste, wo der Speiseraum war, vermutete dahinter die Küche, fand sie und durchsuchte die Schränke, bis ich ein Glas fand. Ich füllte es mit Leitungswasser, nachdem ich vergeblich nach einer PET-Flasche mit Mineralwasser gesucht hatte.
„Ich habe nur Leitungswasser!“, rechtfertigte ich mich, als ich das Glas Waleah reichte, die es Jacky einflößte. Schluck für Schluck trank sie das Glas leer.
„Wir haben nur das Wasser. Es kommt aus unserer eigenen Quelle und ist reiner als jedes Mineralwasser“, erklärte Waleah mit leiser Stimme. Sie wirkte so sanft. Warum machte sie mir trotzdem solche Angst. „Und PET-Flaschen sind umweltschädlich. – Ich kann dir bei Gelegenheit zeigen, wie wir das hier mit dem Wasser handhaben.“
Umweltschutz! Natürlich. Sie waren Native People, sie achteten die Natur. Es war ihre Religion. Dachte ich.
„Soll ich noch etwas machen?“, fragte ich unsicher. Ich wusste nicht, ob es erwünscht war, dass ich da bliebe. Oder ob ich gehen sollte?
Waleah schüttelte den Kopf. „Du hast schon sehr geholfen. Ich danke dir.“
Sie dankte mir? Es war nur ein wenig gewesen, was ich tun konnte. War es schon genug, um ein Lob zu bekommen? Eine Belohnung? Das Wort „Danke“ kannte ich nur aus dem Servicebereich. Man bedankte sich bei einem Kellner, wenn er das Essen brachte. Oder man bedankte sich bei einer Verkäuferin für das Wechselgeld. Von meiner Mutter hatte ich nie das Wort Danke gehört. Und nun dankte diese Frau mir, weil ich ein Glas Wasser gebracht hatte? Vielleicht betrachtete sie mich als Servicekraft? Ich runzelte die Stirn.
„Ich ziehe mich zurück. Wenn ihr mich braucht, findet ihr mich vermutlich in meiner Wohnung.“
Waleah nickte und wandte sich wieder Jacky zu.
Ich verließ das Wohnhaus. Du bist ein freier Mensch! Jackys Worte hallten in mir nach. Ich konnte gehen, wohin ich wollte. Und dennoch fühlte ich mich hier gefangen.
Ich sah zwei Männer über den Hof gehen. Sie grüßten mich freundlich und griffen dabei an die Krempe ihrer Cowboyhüte, die hier zum Schutz vor der Sonne unerlässlich waren. In meinem Schrank lag solch ein Hut. Aber ich hatte ihn ignoriert, weil ich nicht zum Cowgirl mutieren wollte. Jetzt, wo die Sonne hoch am Zenit stand, wurde mir bewusst, wie sinnvoll es war, einen solchen zu tragen.
Viel mehr Aufmerksamkeit erregte jedoch ihr Gesprächsinhalt bei mir.
„Er reitet heute den Schwarzen zu.“
„Wow! Das will ich sehen!“
„Aiden hat bisher jedes Pferd bezwungen. Irgendwie macht er das mit dieser indianischen Magie. Ganz ohne Gewalt.“
Ich vergaß den Hut und tat so, als hätte ich zufällig den gleichen Weg, wie die Männer und folgte ihnen. Sie gingen durch den Pferdestall und verließen ihn auf der hinteren Seite wieder.
Als ich das Ende des Stalls erreichte, bot sich mir ein faszinierendes Schauspiel. Jack und einige Cowboys lehnten am Zaun eines Korrals. In dem eingezäunten Bereich stand Aiden wie eine Säule. Ein schwarzes Pferd, später erfuhr ich, dass es ein Mustang war, rannte unruhig und wiehernd um ihn herum. Es wechselte ständig die Richtung.
In Aidens Hand lag ein Seil. Langsam legte er das Lasso in große Schlaufen. Er wendete dem Tier immer das Gesicht zu. Also drehte er sich ständig in die Richtung, in die es lief.
Mir wurde schon beim Zusehen schwindelig. Ich trat an den Zaun heran, zuckte aber zurück, als das Pferd unmittelbar an mir vorbeiraste. Es hätte mich fast berührt, obwohl ich auf der anderen Seite des Zauns stand.
Über eine Stunde verfolgten wir das Schauspiel, das Aiden uns bot. Das Pferd wurde in der Zeit immer ruhiger. Irgendwann blieb es stehen. Aiden schien uns Zuschauer nicht wahrzunehmen. Sein Blick galt ausschließlich dem Tier.
Als es stand, machte er einen Schritt auf es zu. Und es rannte wieder im Kreis herum. Er verlor jedoch nicht die Geduld. Blieb wieder stehen, drehte sich mit, bis es wieder stand. Als er jetzt einen Schritt auf das Pferd zuging, blieb es stehen. Er wagte einen weiteren Schritt und sprach mit dem Tier.
„Was ist das für eine Sprache?“, fragte ich Jack, der in meiner Nähe stand.
„Er benutzt seine Muttersprache.“
„Ah, Navajo!“
Jack lachte. „Nein, das liegt zwar nahe, aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Pferde besser auf Gälisch ansprechen.“
„Gälisch?“ War das nicht eine längst vergessene Sprache aus Europa?
„Irland. Michael, Aidens Vater, war ein Ire. Er hat es damals schon herausgefunden, dass die Pferde besser auf Gälisch reagieren, als auf Navajo.“ Er lachte leise vor sich hin. „Amerikanische Pferde…“, murmelte er und schüttelte den Kopf. „Männer! Zeit zum Zugucken haben nur die Neuen. Ihr nicht! Die Arbeit wartet.“
Er zwinkerte mir zu. Sollte wohl heißen, ich durfte bleiben und die anderen mussten gehen. Ich spürte, wie mir heiß wurde. Das hieß, dass ich allein mit Aiden hierblieb. Ich durfte ihm bei der Arbeit zuschauen.
Mein Blick folgte für einen Moment Jacks hünenhafter Statur. Trotz des fortgeschrittenen Alters ging er aufrecht und kraftvoll in den Stall, den Eindruck hinterlassend, es mit all den jungen Cowboys, die ihm zur Verfügung standen, aufnehmen zu können. Ich riss mich los.
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