1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Bevor das Essen verteilt wurde, sprach Jack ein Tischgebet. Das kannte ich in der Form nicht, fand es jedoch nicht schlimm. Schließlich war ich sehr dankbar für das, was auf dem Tisch stand. Es sah sehr köstlich aus. Ich hoffte nur, dass sonntags nicht ein Gottesdienstbesuch erwartet wurde. Das war in Maricopa üblich gewesen. Zwang. Sonntags war für alle Häftlinge Gottesdienst. Jeder musste dorthin gehen. Das war mir für mein Leben genug. Ich fand Gott nicht gerecht. Ich war sehr wütend auf ihn. Er schien alles Schlechte in mein Leben geschüttet und nur an mich verteilt zu haben. Dieses Gefühl ließ mich nicht los. Das, was ich zu spüren bekam, konnte nicht die allseits gepriesene Gottesliebe sein . Ich wollte nichts mit ihm zu tun haben, dann konnte ich mich mit allem, was ich erlebte, besser abfinden.
Wie sagte Jacky heute Morgen zu mir? Ich solle nicht vergessen, ich sei ein freier Mensch. Niemand konnte mich dazu zwingen, eine Kirche zu besuchen. Mein Blick fiel auf Marilyn. War ich undankbar?
Ich bekam jetzt Essen auf den Teller geladen. Sandy und die Indianerin meinten es gut mit mir. Es roch so gut und sah lecker aus. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
„Lass es dir schmecken!“, forderte Jacky mich lächelnd auf. Ich lächelte zurück. Die Menschen hier schienen sehr glücklich zu sein. Jeder lächelte, es flogen Scherze hin und her, die Kinder lachten. Nur Marilyn war still. Und ich sagte nichts. Was hätte ich beitragen können? Es ging um die Ranch um Erlebnisse und Alltägliches, von dem ich keinen Plan hatte. Hoffentlich wurde ich nicht nach meiner Vergangenheit gefragt. Aber wenn Sandy auch im Gefängnis gewesen war, konnten die Menschen hier damit umgehen.
Ich beobachtete Sandy heimlich. Sie verhielt sich, als würde sie zu der Großfamilie gehören. Ihre Worte und Gesten waren natürlich und wirkten nicht aufgesetzt.
Vom Aussehen her konnte sie als Schwester von Jacklyn durchgehen. Sie waren beide blond gelockt und die blauen Augen ähnelten sich sehr. Nur ich unterschied mich stark von ihnen. Meine rote Haarfarbe passte nicht und meine Augenfarbe ebenfalls nicht. Ich war durch die Zeit in Maricopa abgemagert. Sandy war schlank, aber trotzdem mit genügend Kurven ausgestattet.
„Wir könnten heute Nachmittag zum Einkaufen gehen, wenn du magst, Emma!“ Ich schrak zusammen. Jacky sah mich direkt an und alle Augen richteten sich auf mich. Ich blickte auf meinen Teller.
„Wie es am besten passt“, antwortete ich. Ich wusste nicht, wie es mit mir weiterging, was von mir erwartet wurde. Ich hatte versprochen, mich benehmen zu können und niemand würde sich über mich beschweren müssen.
„Wenn du erst etwas ausruhen möchtest, ist das okay. Aber vielleicht möchtest du möglichst schnell eigene Sachen bekommen!“ Sie lächelte. „Außerdem müsste ich kurz zur Bank, etwas erledigen. Du kannst mich gerne begleiten.“
Ich nickte. Und schob mir eine Gabel Kartoffeln mit Gemüse in den Mund. Damit war ich aller Worte entschuldigt. Die Gespräche wurden fortgesetzt.
Nach dem Essen räumten die beiden älteren Kinder zusammen mit der Indianerin und Sandy den Tisch ab. Ich wollte mich beteiligen, wurde aber von Sandy zurückgehalten.
„Lass nur“, sagte sie und – lächelte. Ich war so viel Lächeln nicht gewohnt. Mein Leben war bisher sehr ernst gewesen.
„Wir fahren nachher nach Prescott. Dort gibt es einige nette Boutiquen. Ist zwar keine Großstadt, aber für den Anfang reicht es vielleicht.“ Jacky sprach wieder mit mir. „Wir werden Michael mitnehmen, damit Devon und Dylan ihre Hausaufgaben machen können.“
Michael war der Kleine. Devon und Dylan. Klang irisch. Irgendwie. Fast wie Jacklyn und Marilyn. Jack und Jacky. Und die Indianerin hieß Waleah. Der Name fiel jetzt so oft, ich konnte ihn mir endlich merken. Ich war gespannt, wie das vierte Kind heißen würde. Ob es eine Michaela wurde? Oder Michelle? Jack Junior, vielleicht? Viele Möglichkeiten blieben ja nicht.
Sandy brachte jetzt Tassen und Waleah trug eine große Kanne herein. Es gab Kaffee nach dem Essen und das fröhliche Geplauder setzte wieder ein. Kaffee hatte ich seit Monaten nicht mehr bekommen. Abgesehen von dem Automatenkaffee, den es heute Morgen in dem Diner gab. Der Duft des frisch gebrühten Getränkes stieg mir jetzt verlockend in die Nase.
War das wirklich erst heute Morgen gewesen? Es war alles so neu, aber dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, schon eine Ewigkeit hier zu sein.
Marilyn war die Erste, die den Mittagstisch verlassen wollte. Esma, wie alle die Pflegerin nannten, erhob sich und brachte die Frau im Rollstuhl hinaus. Niemand ging näher darauf ein und niemand fühlte sich verpflichtet, mir etwas zu erklären. Das gab mir einerseits das Gefühl, dazu zu gehören, andererseits fühlte ich mich als Außenseiter, weil ich vermutlich als Einzige nicht wusste, wo Esma mit Marilyn hinging.
Dann verließ Aiden die Runde. Die Arbeit rief. Waleah ging in die Küche und Sandy folgte ihr. Die beiden älteren Kinder gaben ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und verabschiedeten sich zum Unterricht.
Ich blieb mit Jacklyn und dem Kleinen zurück.
„Du bist sehr schweigsam. Wenn du uns etwas mitteilen möchtest, bitte ich dich, mit uns zu sprechen.“ Sie sah mich ernst an.
„Es ist schon okay.“
„Ich möchte, dass du das weißt. Wir sind jetzt ein stückweit deine Familie und du darfst dazugehören. – Aber ich weiß, dass es etwas dauert, bis du uns Vertrauen schenkst. Das ist in Ordnung.“
Ich nickte.
„Du musst nicht über deine Zeit in Maricopa sprechen. Jeder hier weiß, was dort passiert. Du weißt sicher, dass Sandy genauso zu uns kam, wie du jetzt. Sie war in Maricopa. Ich selbst war dort und Marilyn hatte das Glück, dort nur drei Wochen verbringen zu müssen.“
„Du? Auch? Und Marilyn?“ Ich musste das fragen. Die glückliche Jacklyn, die mit dem attraktivsten Mann verheiratet war, dem ich je begegnet war, war im Knast gewesen!
„Ja, auch wir! – Wenn du magst, kann ich dir bei Gelegenheit die Geschichte erzählen. Ich möchte damit nur sagen, dass wir wissen, was du erlebt hast. Und wir verstehen sehr gut, wenn du darüber nicht sprechen möchtest. Aber du darfst es gerne.“
Ich nickte wieder.
„Komm, ich schaue schnell nach Devon und Dylan und dann fahren wir los. Würdest du bitte mit Michael ins Bad gehen und ihm helfen, die Hände zu waschen?“
Sie zeigte mir das Bad und sagte Michael, dass er auf Emma zu hören hätte. Die dunklen Augen des Jungen durchdrangen mich. Dann nickte er, saugte die Lippen nach innen und drehte den Wasserhahn bis zum Anschlag auf. Das Wasser spritzte nach allen Seiten. Ich griff sofort ein und drehte es zurück, bis ein kleiner Strahl in das Becken lief.
In meinem ganzen Leben musste ich nie einem Kind helfen, die Hände zu waschen. Seine Ärmelbündchen wurden nass. Ich schob sie schnell zurück. Er ließ sich das gefallen, plapperte etwas vom großen Donner. Ein Pferd. Wie er mir anschließend erklärte. Gute Güte. Die Kinder wuchsen auf einer Ranch auf. Da war der „große Donner“ ein Pferd. Was sonst!
Im Gegensatz zu seinen Geschwistern war sein Haar dunkel. Wenn er es länger tragen würde, sähe man ihm seine indianische Abstammung an. Genau wie seinem Vater.
Anfangs wunderte ich mich über Aidens langes Haar. Aber nun war mir klar, es war sicher wegen der Tradition.
„Nun gehen wir Schule machen!“, bestimmte Michael.
„Oh, ich weiß aber nicht, wo deine Geschwister in die Schule gehen.“
„Mike weißt du!“ Ich starrte das Kind an. Wer war Mike? Es dauerte einen kleinen Moment, bis ich begriff, dass er sich selbst wohl so nannte. Mike. Okay. Er rannte durch den Flur und bog um eine Ecke und war aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich hetzte hinterher, weil ich doch auf ihn aufpassen sollte. Aber ich kannte mich mit Kindern nicht aus.
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