1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Im Flur gab es mehrere Türen. Am Ende lag ein Fenster, das bis zum Boden reichte. Ich sah Michael nicht.
Verdammt, ich versaute meinen ersten Auftrag. Ich war nicht einmal in der Lage auf einen Zweijährigen aufzupassen.
Plötzlich lugte er aus einem Türrahmen hervor und winkte mir mit einem spitzbübischen Lachen.
„Emma kommt mit!“, rief er und ich legte meinen Zeigefinger auf den Mund, um ihm zu bedeuten, dass er leise sein sollte. Die anderen Kinder sollten lernen. Sicher stand ihnen ein Hauslehrer zur Verfügung.
Er verschwand durch die Tür und ich stürzte hinterher, um ihn aufzuhalten, und stand mitten in einem Raum, in dem Devon und Dylan jeder vor einem Computer saßen mit Kopfhörern auf den Ohren. Auf dem Bildschirm war eine Person zu sehen, die sprach. Wir hörten nichts, aber die Kinder schienen uns nicht wahrzunehmen.
„Sieh mal, Emma, Dylan lernt Schule!“
„Komm, wir lassen deine Geschwister in Ruhe lernen“, flüsterte ich und fasste Michael bei der Hand und versuchte ihn aus dem Zimmer zu lotsen.
„Mike bald auch Schule lernt er!“
Er drückte sich so witzig aus, dass ich grinsen musste.
„Ja, sicher bald. Aber bis dahin lassen wir Devon und Dylan in Ruhe. Komm jetzt! Deine Mutter wartet sicher schon auf uns.“
Jacky hatte nach ihren Schülern sehen wollen. Aber sie war nicht hier. Vermutlich vertrödelte ich die Zeit, als ich mit Michael im Bad war? Vielleicht saß sie schon im Auto, mit laufendem Motor, und wartete nur darauf, dass ich den Jungen lieferte und abfahrbereit war. Mein Herz pochte. Ich wollte, nein ich musste alles richtig machen.
„Komm jetzt Michael!“
„Sollst du Mike sagen!“, forderte er von mir.
„Na gut, komm jetzt bitte, Mike!“
„Michael, ich hatte dich gebeten, Emma zu gehorchen und nicht deine Spielchen mit ihr zu treiben. Du bringst sie in Verlegenheit!“
Ich fuhr herum, als ich Jackys Stimme hinter mir hörte. Aber sie schimpfte nicht mit mir, sondern mit dem Kind. Und sie schimpfte nicht einmal. Sie sprach liebevoll mit ihm.
„Sorry, liebe Emma!“, sagte der Kleine mit niedergeschlagenem Blick. Und dann sah er mich wieder an, mit seinen großen, braunen Kulleraugen und diesen seidigen Wimpern. Es war um mich geschehen! Ich liebte dieses Kind. Ich hockte mich vor ihm nieder.
„Schon gut. Jetzt können wir ja gehen, okay?“ Er sah mir in die Augen. Sein Blick war genauso durchdringend, wie der seiner Großmutter, nur dass er mir keine Angst machte. Er schenkte mir ein Lächeln. Und ich lächelte ihn an und reichte ihm die Hand.
„Freunde? Mike?“
Nun strahlte er über das ganze Gesicht und seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Yehaa! Freunde mit Emma!“ Dann stürmte er los durch den Flur und durch irgendeine Tür nach draußen. Ich bemühte mich, mir zu merken, wo er hingelaufen war.
Jacky lachte. „Er ist ein Wirbelwind. Ich dachte vor seiner Geburt, quirliger als Devon und Dylan zusammen könnte niemand sein. Und dann wurde Michael geboren. Es ist eine Ehre für dich, wenn er dich bittet, ihn Mike zu nennen, das dürfen nur ganz ausgewählte Menschen.“ Sie legte ihre Hand auf meinen Oberarm. „Herzlichen Glückwunsch, Emma! Liebe Emma!“ Sie ging hinter Mike her. Die letzten beiden Worte betonte sie bewusst so, wie er.
Was ging hier vor? Ich bekam einen Auftrag, erledigte ihn nicht zufriedenstellend und mein Boss lachte mit mir? Ich kannte nur das System mit Sanktionen. War man gut, bekam man Lob und Vergünstigung, war man schlecht, bekam man Tadel und Strafe. Ich hatte meinen Auftrag in meinen Augen schlecht erledigt, bekam aber weder Lob, noch Tadel, als wäre es kein Auftrag gewesen.
Etwas irritiert folgte ich meiner Chefin durch die Tür und fand den Ausgang aus dem Haus.
Emma stieg zu Jacky ins Auto. Jacky brachte den Jungen auf dem Rücksitz in einem Kindersitz unter. Er quasselte munter weiter, als würde ihm die Welt gehören.
„Er ist ein Sonnenschein, aber er kann sehr anstrengend sein. – Hast du viel mit Kindern zu tun gehabt, ich meine, vor Maricopa?“
Emma schüttelte den Kopf. Jacky runzelte leicht die Stirn, in der Hoffnung, das Mädchen würde es nicht sehen. Aber sie starrte nach vorn aus dem Fenster und schwieg, während Jacky den Wagen die Auffahrt hinunter steuerte. Sicher brauchte sie eine Weile, bis sie wirklich auf der Ranch angekommen war. Das Kopfschütteln verwunderte Jacky, denn Black Yvi hatte ihr erzählt, dass Emma viel Zeit mit anderen Kindern auf der Straße verbracht hatte. Wahrscheinlich hatte sie dort die Kinder nicht betreut. Vielleicht beschützt, wenn sie jünger waren.
„Was war dein Lieblingsfach in der Schule?“
„Sprachen und Literatur.“
„Ah, und in welchen Sprachen wurdest du unterrichtet?“
„Spanisch und Französisch. Und in Literatur wir haben Shakespeare gelesen.“ Jacky sah kurz in Emmas Gesicht und registrierte zum ersten Mal den Anflug eines Lächelns. Shakespeare! Deshalb also.
„Hat Shakespeare dir gefallen?“
„Er, Hemmingway, Twain, und andere. Ich musste viel Zeit auf meinem Zimmer verbringen, wenn meine Mutter arbeitete.“
„Wir sollten jetzt über deine Finanzen reden“, wechselte Jacky das Thema, nach einer Weile des Schweigens. „Ich weiß nicht, ob Yvi darüber mit dir gesprochen hat.“ Sie sah kurz zu Emma hinüber. Diese schüttelte den Kopf. Sie durchfuhren gerade den Ort Camp Verde, zu dessen Bezirk das Diamond Valley gehörte. Jackys Blick fiel auf den roten 68er Ford Mustang, der vor dem Diner stand. Er gehörte Freddy Sander. Jacky holte tief Luft und wandte sich wieder Emma zu. Sie wollte jetzt nicht über die Sanders nachdenken. „Okay. Dann erkläre ich es dir. Du arbeitest bei uns und wohnst bei uns. Was du arbeiten wirst, werden wir uns in den nächsten Tagen überlegen. Zuerst ist es wichtig, dass du hier ankommst, Maricopa hinter dir lassen kannst. Der Staat zahlt dir eine Resozialisierungsprämie wegen der vier Monate, die du unschuldig inhaftiert warst. Dafür werden wir dir gleich bei der Bank ein Konto einrichten. Die Daten werden an das State Departement weitergegeben. Du bekommst von denen monatlich einen festen Betrag, der dir gehört und den du frei verwenden kannst. In drei Monaten, wenn du im Ranchbetrieb integriert bist, werden wir einen Anteil dazulegen. Du wohnst kostenfrei bei uns, beteiligst dich dafür etwas im Haushalt, neben deiner eigentlichen Aufgabe. Die Resozialisierungsprämie bekommst du, solange du bei uns wohnst. Wenn du gehen möchtest, bist du auf dich gestellt. – Was ich damit sagen wollte, ist, was auch immer du gleich kaufen möchtest, es ist dein Geld.“
„Aber ich kann doch nichts von dem Konto bezahlen, wenn noch kein Geld darauf eingezahlt wurde?“
Jacky lächelte. „Das regeln wir. Wir strecken dem Staat eine Summe vor, mit der du in diesem Monat auskommen solltest. Aber das klären wir bei der Bank.“
„Wie viel bezahlt der Staat?“
Die Kleine kam zur Sache, dachte Jacky. Aber genau das waren die Dinge, die sie selbst interessiert hätten.
„Du bekommst fünfhundert Dollar im Monat. Und nach drei Monaten zahlen wir dir zusätzlich vierhundert Dollar.“
Emma schluckte. Jacky beobachtete das. War es ihr zu wenig? Sie bezweifelte, dass Emma je so viel Geld verdient hatte.
„Was hast du gemacht, bevor du nach Maricopa kamst? Ich meine, hast du gearbeitet?“
Emma schüttelte den Kopf.
„Wovon hast du gelebt?“
„Ich wohnte bei meiner Mutter.“
Jacky nickte. Und fragte nicht weiter. Sie bekam das Gefühl, das Gespräch war Emma unangenehm. Die Botengänge für die Mafia, von denen sie wusste, erwähnte sie nicht.
Sie gingen in Prescott zuerst zur Bank. Emma richtete ein Konto ein, Jacky transferierte die Summe von der sie gesprochen hatten. Der Bankangestellte erklärte, dass Emma in den nächsten zwei Wochen eine Kreditkarte zugeschickt bekam. Er zahlte ihr einen Betrag aus, damit sie jetzt schon einkaufen konnte.
Читать дальше