„Ach so“, unterbrach ich ihn, „deshalb hat sie sich nicht mehr sehen lassen. Hast du sie nicht kennengelernt? Die macht schon was her!“
Manolo schmatze sein Schinkenbrötchen hinunter, ohne auf meine Schilderungen einzugehen.
Vielleicht macht er sich nichts aus Frauen , kam mir in den Sinn. Falls es so sein sollte, war das für mich in Ordnung.
Ob er den Kaffee laut schlürfte, weil dieser zu heiß, oder es eine blöde Angewohnheit war, nervte mich nur mäßig. Ich tat es ihm gleich. Da Manolo nach dem Frühstück immer noch nicht fit war, machte ich mich allein auf den Weg in ein Bekleidungsgeschäft. Nachdem ich eine neue Hose, ein Hemd und ein dazu passendes Sakko gekauft hatte, beschloss ich, meine Frau anzurufen und ihr die Neuigkeiten zu schildern.
Sie war überrascht von mir zu hören und wünschte sich zum wiederholten Mal, dass wir es bald schaffen sollten, einen Teil des „Camino de Santiago“, zu pilgern.
„In Gedenken an unsere Tochter Yandra“, ermahnte sie mich.
Wie viele Male zuvor, versprach ich es ihr möglichst glaubhaft wieder. Ich hörte den Zweifel in ihrer Stimme, als sie sich von mir verabschiedete. Als ich aus dem Postamt trat, kam mir Manolo mit vollen Einkaufstaschen entgegen.
“Jesus schau!“, er zeigte mir voller Freude den Inhalt einer der Taschen.
Der Ledergeruch brauner Cowboystiefel stieg mir in die Nase. Ich schnalzte mit der Zunge, um ihm meine Bewunderung zu zeigen. In Wahrheit machte ich mir nichts aus solchen Stiefeln, ich wollte höflich sein, was er sichtlich genoss.
„Schlangenleder „, erklärte er mir, „… und der Padre hat das bezahlt! So kann es gerne weiter gehen.“
Imitat dachte ich ohne Schadenfreude.
„Nun sollten wir uns aufmachen zu „Padre Orson “, schlug ich vor.
„Orson? Wieso nennst du ihn Orson?“, fragte Manolo.
Ich erklärte ihm, dass der Padre dem englischen Schriftsteller Orson Welles zum Verwechseln ähnlichsehen würde.
„Okay, ich kenne den zwar nicht, aber wenn du meinst?“
Am Himmel versuchte die Sonne, die Überhand über das Wolkenmeer zu bekommen, was ihr nicht gut gelang. Es tröpfelte, als wir in der Casa Debrisette eintrafen.
Um Viertel nach zehn klopften wir an Orsons Türe. Diese wurde uns von einem Mann mittleren Alters geöffnet. Orson rollte unruhig hin und her, der Grund dafür wurde uns schlagartig bewusst.
„Zehn Uhr war ausgemacht! So geht das nicht Señors! In meinem Zustand und dann keine verlässlichen Partner, wie stellt ihr euch das vor“?
Wir sahen uns verdutzt an, bevor ich unseren Fauxpas mit den verschiedenen Besorgungen rechtfertigte. Degradiert gaben wir die Dinge, die für ihn bestimmt waren, ab.
„Señors, das ist einer meiner Mitarbeiter. Er hat heute die Schiffskarten besorgt. Morgen 16 Uhr ist Abreise, pünktlich versteht sich! Solltet ihr noch etwas benötigen, könnt ihr euch an meinen Mitarbeiter wenden, ansonsten ist morgen 14 Uhr 30 euer offizieller Dienstbeginn, und zwar hier!“
Ich beobachtete Orsons Mitarbeiter, der den Inhalt der Einkaufstaschen leerte, insbesondere die „Lucky Beast“ Präservative schienen sein Interesse zu wecken.
„Alles in Ordnung?“, fragte Orson.
Der Typ nickte kurz.
„So Señors, dann bis morgen!“, Orson schien uns loswerden zu wollen.
„Bis Morgen!“, antworteten wir. Manolo war genauso erleichtert wie ich, dass wir uns verziehen durften.
Nachdem ich ein Nickerchen gehalten hatte, checkte ich meine Sachen, indem ich sie aufs Bett legte. Was nicht mehr benötigt wurde, packte ich in eine Reisetasche. Die Hose, das neue Hemd und Unterwäsche hängte ich sorgfältig über eine Sessellehne.
Als ich fertig war, ging ich zum Fenster, öffnete es und sog genussvoll die frische Luft ein. Ich überlegte, ob ich mein Auto in eine Werkstätte bringen, oder besser einen Platz zum Unterstellen suchen sollte, bis ich wieder im Lande war und hoffentlich genug Geld für die Reparatur haben würde.
Ich machte mich auf dem Weg. Als ich an Orsons Zimmer vorbeikam, hörte ich durch die einen spaltweit, offenstehende Türe, dass er telefonierte. Soweit ich verstand, sprach er englisch. Neugierig geworden, konnte ich mich dem Reiz nicht entziehen, blieb stehen und lauschte. Er sprach über „zwei neue Praktikanten“, die er als naiv und unbedarft einstufte und falls das nicht funktionieren würde, gäbe es immer noch einen „Plan B“. Ich tat das Gehörte als geschäftliche Angelegenheiten ab und ging zu meinem beschädigten Auto.
Dort angelangt, setzte ich mich hinein, schaute mich um und öffnete das Handschuhfach. Ich durchforstete den Inhalt, der aus alten Strafbelegen für falsches Parken und einem kleinen, halb leeren Fläschchen Wodka bestand. Bei meinem Versuch, den Wagen zu starten, fiel mir die Hülle der Demo Kassette in die Hände. Sie war leer! Diese verdammten Ganoven, haben die etwa? ... Saubande! Mein Blick flog förmlich zu meinem Autoradio. Mit einem Schmunzeln wusste ich, wenn ich jetzt auf die Auswurftaste drückte dann … und genau so war es, die Kassette sprang fast freudig heraus.
Ich schob sie wieder hinein, schaltete das Gerät ein, stellte die Rückenlehne nach hinten und genoss ein paar Songs.
„ Hasta Manana, Vida, Corazon y Apasionado”…
Den Nachmittag verbrachte ich wieder in der Fischermission. Der Besitzer schlug mir vor, mein Auto kostenlos unterzustellen. Dankend nahm ich an.
„Eine Ansichtskarte wäre nett“, dabei zeigte er auf eine beachtliche Sammlung hinter ihm.
„Klar, das ist wohl das Mindeste, das ich als Gegenleistung machen kann!“, versicherte ich ihm.
Bei meinem letzten Besuch hatten wir über das Zeitungsinserat, auf das ich mich bewerben wollte, gesprochen. Der Wirt erkundigte sich, ob ich den Job bekommen hatte. Ich beschloss, ihn über den Padre auszuhorchen. Leider wusste er über Orson nicht viel zu berichten.
„Der Padre, wie sie ihn alle nennen, den sieht man so gut wie nie, aber solange ist er hier noch nicht ansässig. Die Casa Debrisette ist seine Niederlassung!“, fügte er noch hinzu.
Als ein Gast sich zu uns an die Bar setzte, wollte ich nicht mehr darüber sprechen und versuchte sofort, das Thema in eine andere Richtung zu lenken. Ich wählte das Übliche, wenn man nichts zu fragen oder zu sagen hatte … Wetter, Politik und sonstiger Firlefanz, der mich nicht interessierte. Der neue Gast sprang dennoch erfreut darauf an und schimpfte mit Feuereifer über die Regierung, als gäbe es kein Morgen mehr. Aus seinen Tiraden ging hervor, dass ihm etliche Zulagen gestrichen worden waren.
Ich wollte wissen, in welcher Branche er tätig ist.
„Ich bin Pensionist und arbeite nebenbei als Hundefänger“, war seine knappe aufgekratzte Antwort.
„Ja und was passiert mit den Tölen?“, hakte ich nach.
„Ab und zu nimmt ein Tierheim einen der armen Köter, aber die sind meist überfüllt! Wenn sich gar nichts anderes auftut, dann muss man sie leider beseitigen, es ist eine Schande! Schuld sind nur diese verantwortungslosen Leute, zuerst muss ein Hund her und wenn sie keine Lust mehr darauf haben, werden die armen Tiere ausgesetzt.“
Seine Stimme wurde immer zorniger.
„Ich fahre mit denen, die nicht krank sind umher und versuche, sie irgendwo unterzubringen.“
Je energischer seine Schilderungen wurden, desto mehr sah ich in ihm einen kläffenden Köter. Er legte aufgeregt nach.
„Was waren die froh darüber, dass ich mich darum gekümmert habe, als immer mehr Touristen in die Gegend kamen und ihre Köter hier aussetzten. Ich konnte zu meiner kläglichen Rente einige Peseten dazuverdienen, aber auf einmal hieß es, dass kein Geld mehr zur Verfügung stehen würde, alles politisch … diese Lumpen! Eine Schande ist das! Verstehst du das überhaupt?“
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