Matthias glaubte ihr kein Wort. Eindringlich betrachtete er sie und überlegte, was vorgefallen sein könnte. Schließlich hielt er die Ungewissheit nicht mehr aus und verschränkte die Arme vor seiner Brust.
„Jetzt sag schon“, forderte er sie mit ernster Miene auf. „Ich dachte, du freust dich darüber, dass ich dich für ein paar Wochen besuchen komme, bevor du nach Deutschland zurückmusst.“
„Natürlich freue ich mich, dich zu sehen“, sagte sie schnell und sah ihn mit einem schwachen Lächeln an. „Ich weiß nur nicht, wie ich es meiner Familie beibringen soll, dass ich nicht mit dir zurückfliegen kann.“
„Wie meinst du das?“, fragte Matthias verwirrt. „Es ist doch alles abgesprochen. Schließlich läuft dein Vertrag mit der Firma aus.“
„Das stimmt“, gab Sophie zögernd zu und sah ihn nachdenklich an. „Doch sie haben mich gebeten, noch etwas länger zu bleiben. Die Eröffnung der Filiale, um die ich mich in den letzten Monaten gekümmert habe, wurde verschoben. Es gibt ein paar Probleme, die noch beseitigt werden müssen. Kurz bevor ich zum Flughafen gefahren bin, hat es mir mein Chef mitgeteilt“, ergänzte sie angespannt und sah ihren Cousin mit ernster Miene an. „Ich habe bis Montag Zeit, es mir zu überlegen.“
„Können sie das so einfach von dir verlangen? Du hast an diesem Projekt doch bestimmt nicht alleine gearbeitet“, erwiderte Matthias verwirrt. „Außerdem ist deine Arbeitserlaubnis in Amerika nur begrenzt.“
„Das ist nicht das Problem“, gab Sophie zögernd zu und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Die Erlaubnis gilt für drei Jahre. Ich könnte also bleiben. Aber ich habe meinem Bruder versprochen, in der Wiener Verkaufsfiliale beim Umzug zu helfen. Alexander möchte nämlich, dass jemand von der Familie dabei ist.“
Überrascht sah Matthias seine Cousine an. Von diesem Umzug hörte er heute zum ersten Mal. Aber warum hätten sie es mir auch sagen sollen?, ging es ihm gleich darauf durch den Kopf. Schließlich hatte er mit dem Verkauf der de-Luca-Kollektionen rein gar nichts zu tun.
„Kann sich nicht jemand anderes darum kümmern?“, fragte Matthias nach kurzem Schweigen, als er sah, wie seine Cousine wieder zu grübeln begann. „Unsere Familie ist schließlich sehr groß.“
Sophie schüttelte mit dem Kopf.
„Leider nicht“, gab sie angespannt zu und berührte mit einer Hand ihre Schläfe. „Die Einzigen, die infrage kommen würden, sind meine Brüder. Aber Raphael kann die Vertriebsfiliale in München nicht solange alleine lassen. Und Alexander muss sich um die Leitung der Firma kümmern.“
„Verstehe“, erwiderte Matthias nachdenklich. „Eine blöde Situation.“
„Das kannst du laut sagen“, sagte Sophie traurig und seufzte auf. „Egal, wie ich mich entscheide, einen muss ich enttäuschen. Dabei wäre es mir so wichtig, die Arbeit ordentlich abzuschließen. Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren. Aber ich will auch meinen Bruder nicht im Stich lassen. Immerhin soll ich nächstes Jahr die Leitung des Onlineversands in Wien übernehmen.“
Eindringlich betrachtete Matthias seine Cousine. Eine schwere Entscheidung , ging es ihm durch den Kopf und er wünschte, er könnte ihr helfen. Plötzlich hatte er eine Idee.
„Wann genau sollst du denn in Wien anfangen?“, wandte er sich an Sophie, während sein Herz vor Aufregung schneller schlug. Möglicherweise gab es für ihn doch noch einen Weg, seinen Arbeitsbeginn auf der Farm zu verzögern.
„Gleich nach Christians Hochzeit“, gab sie verwirrt zu. „Alexander dachte, es wäre eine gute Idee. Da ich schon in Österreich bin. Wieso?“
„Na ja“, gab er zögernd zu. „Was hältst du davon, wenn ich dich vertrete? Jedenfalls so lange, bis du mit deiner Arbeit hier fertig bist.“
„Du?“, fragte sie ungläubig. „Aber du verstehst doch gar nichts von Betriebswirtschaft oder dem Verkauf.“
„Muss ich ja auch nicht“, erwiderte er gelassen und beobachtete den Kellner, der mit einem Lächeln auf dem Gesicht den Tisch abräumte. „Du hast selbst gesagt, dass nur jemand aus der Familie anwesend sein soll“, ergänzte er, nachdem sie wieder alleine waren, und sah Sophie eindringlich an. „Und ich muss sowieso noch einmal nach Wien, um meine Wohnung leer zu räumen.“
„Das würdest du wirklich für mich tun?“, fragte Sophie hoffnungsvoll und Matthias nickte.
„Jedoch geht es erst, wenn mein Bruder von seiner Hochzeitsreise zurück ist“, warf er ein. „Außerdem bin ich noch bei einem Freund zum Geburtstag eingeladen. Aber ab Ende August hätte ich Zeit. Natürlich nur, wenn Alexander einverstanden ist.“
„Mein Bruder hat bestimmt nichts dagegen“, erwiderte Sophie erfreut. „Ich werde ihn später gleich anrufen. Vielen Dank. Dafür schulde ich dir etwas.“
„Das tust du nicht“, erwiderte Matthias lachend und griff nach ihrer Hand. „Ich mache es wirklich gerne. Also hör auf zu grübeln und fang endlich an zu essen. Sonst denkt der Besitzer des Restaurants noch, es schmeckt dir heute nicht.“
Lachend sah seine Cousine ihn an und zum ersten Mal, seit seiner Ankunft in Amerika, hatte Matthias das Gefühl, die alte Sophie vor sich zu haben. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass sein Cousin zustimmen und sein eigener Bruder nicht allzu sauer reagieren würde.
Vier Wochen später.
Ein Lächeln huschte über Matthias´ Gesicht, als er seinen Wagen auf dem Parkplatz seiner Eltern zum Stehen brachte, und er stieg aus. Endlich zu Hause, ging es ihm durch den Kopf und er sah sich zufrieden um. Auch wenn er es nicht gerne zugab, er hatte das zweistöckige weiße Herrenhaus seiner Familie mit dem roten Ziegeldach und dem großen Garten vermisst. Ebenso wie die Ruhe, die die Farm verströmte, und die gute Landluft.
Langsam holte er seine Sachen aus dem Kofferraum, während er über die letzten Wochen nachdachte, und ging zum Haus. Die Stadt war hektisch, laut und immer voller Menschen und Autos gewesen. Teilweise hatte es Stunden gedauert, um von einem Ort zu einem anderen zu gelangen. Kein Wunder also, dass er sich jetzt nach etwas Ruhe sehnte. Und er beneidete Sophie nicht darum, dass sie sich diesem Lärm noch ein paar Monate länger aussetzen musste.
Plötzlich fiel Matthias das Versprechen wieder ein, welches er seiner Cousine gemacht hatte, und er hielt mitten in der Bewegung inne. Konsequent hatte er das Angebot in den letzten Wochen verdrängt, um sich nicht den Urlaub zu ruinieren. Doch jetzt konnte er dieses Gespräch nicht mehr länger vor sich herschieben, sondern musste endlich mit Christian sprechen. Schließlich war alles mit seinem Cousin Alexander abgesprochen. Und sogar den Filialleiter Mario Hebbeler hatte man bereits über seine Ankunft informiert.
„Christian wird ganz schön sauer sein“, sagte Matthias leise vor sich hin, während er weiterging, und stöhnte laut auf.
Dieser hatte nämlich geplant, dass Matthias nach seinem Studium die Leitung des Tierbereiches übernehmen sollte, um selbst mehr Zeit für seine Frau zu haben. Denn durch Christians Arbeit auf der Farm und Jessicas Ausbildung in Kindergartenpädagogik waren beide beruflich ziemlich eingespannt.
Für Matthias war dies am Anfang auch kein Problem gewesen. Er hatte sich gerade von seiner Freundin Valentina getrennt und war froh, Wien verlassen zu können. Aber mit der Zeit waren Zweifel in ihm aufgestiegen, ob er diesen Weg wirklich gehen wollte. Ob er tatsächlich jahrelang hart studiert hatte, nur um sich anschließend um die Aufzucht von Angorakaninchen zu kümmern. Leider konnte er jetzt nicht mehr zurück. Er hatte ein Versprechen gegeben und würde es auch halten. Doch dieser Job in Wien gab ihm wenigstens die Möglichkeit, das alles noch ein bisschen hinauszuzögern.
„Mattias!“
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