Während also Sie, die Auserwählten, mit der Tötung des Imperators beauftragt sind, werden wir an anderer Stelle zuschlagen. Auf Bétha werden wir mit der Flotte des Peneplain einen Gegenangriff auf die Uwore und das große Schlachtschiff der Gestaltwandler starten. Mehr als dreihundert Schiffe stehen uns zur Verfügung. Wenn wir Erfolg haben, wird die Flotte weiter nach Fahros fliegen, um dort die Versorgungslager der Uwore zu zerstören.
Auf Truchten werden wir unterdessen versuchen, den eingekesselten Largonen zu helfen, indem wir die Sieben entsenden werden.«
»Die Sieben? Das sind doch die Titanen, oder?«, sprach Gilbert zu seinem Meister. Der nickte nur.
»Die Titanen sind vollendet?«, fragte Terius erstaunt. »Ich dachte, ihre Konstruktion sei fehlgeschlagen.«
»Auch das ist eine Falschmeldung, die der Feind glauben soll. Das Titanen-Projekt ist nicht gescheitert. Ganz im Gegenteil. Der erfindungsreiche Rätselmacher hat es irgendwie geschafft, die Steine zum Denken zu bringen. Die Fertigstellung der Sieben liegt schon eine Weile zurück, aber erst jetzt sind wir in der Lage, sie auch für unsere Zwecke mittels der denkenden Steine einzusetzen. Die Titanen werden den Feind zertrampeln.
Es ist ein riskanter Plan mit vielen Unwägbarkeiten. Aber wenn wir siegreich sind, stehen die Inselwelten Bétha, Truchten, Fahros und Brigg wieder unter unserer Kontrolle. Danach werden wir uns darauf konzentrieren, die Sortaner auf Panthea von den Schattengeistern zu befreien.«
»Und was ist mit dieser Inselwelt? Was ist mit Arbrit und all den Menschen und Arboranern, die hier leben?«, wollte Terius wissen. Eine Antwort auf diese Frage war ihm am wichtigsten, schließlich lebten hier seine Frau und seine Freunde, von denen er und sein Bruder sich gerade verabschiedet hatten.
»So wenig es Ihnen und mir gefallen wird, aber die Stadt Eventum wird als Köder herhalten müssen. Der Feind glaubt, dass Ilbétha hier ist. Also gilt es, diesen Bluff solange aufrecht zu erhalten wie nötig. Doch keine Sorge: Sollte die Lage zu brenzlig werden, wird der Vogt die Stadt rechtzeitig evakuieren.«
Der König schaute in sorgenvolle Mienen, die so gar keine Zuversicht erkennen lassen wollten.
»Ich verstehe Ihre Sorgen. Ich teile sie. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass unser Plan funktionieren wird. Und ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Sie alle überleben werden. Aber wir sind jetzt gezwungen, etwas zu tun, da wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Wir sind es unseren Angehörigen schuldig. Wir sind es all denen, die dem Feind zum Opfer fielen, schuldig. Wir dürfen Thalantia nicht aufgeben. Wir werden siegreich sein und diese Welt wieder von Neuem aufbauen. Ich glaube daran.«
Terius sah in die Runde und nickte seinen Schülern aufmunternd zu. »Wir glauben auch daran. Wir werden Euch nicht enttäuschen, mein Herr.«
Antilius erinnerte sich, dass auch er an einen Sieg geglaubt hatte. Aber aus heutiger Sicht kamen ihm die Worte von Artorius bloß wie Durchhalteparolen vor.
»So sei es«, sagte der König. »Der Vogt wird Sie jetzt zu Ilbétha führen. Weitere Auserwählte warten dort bereits.«
»Weitere Auserwählte?«
»Ja, aber die anderen werden wir auf den übrigen Inselwelten einsetzen, wenn es denn notwendig werden wird. Sie sind quasi unsere Geheimwaffe.«
Terius und die Adepten folgten dem Vogt zur Tür. Antilius blieb hintenan, um sich mit Gilbert über das Erlebte zu besprechen.
»Äh, Meister? Sag mal, sind wir nicht eigentlich hier in der Vergangenheit, um etwas über den Dunkelträumer und dich zu erfahren? Dieser Imperator jedenfalls, den ihr töten sollt, ist kein Uwor. Der Dunkelträumer dagegen schon. Warum hat uns die Siobsistin also hierher geschickt? Ich sehe da keinen Zusammenhang.«
»Oh doch! Es gibt einen Zusammenhang. Am Einsamen Turm wird die Wahrheit ans Licht kommen. Ich ahne, was geschehen wird. Ich fürchte mich davor, wenn ich ganz ehrlich bin. Aber endlich ist es soweit, Gilbert. Wir werden die Wahrheit über den Dunkelträumer erfahren.«
»Glaubst du, dass wir Ilbétha zu Gesicht bekommen werden?«, fragte Gilbert.
»Ihr wahres Antlitz wird sie nicht preisgeben«, sagte Antilius nachdenklich. Und er sollte recht behalten. Sie wurden in eine große dunkle Halle geführt. Er, sein Bruder und die Adepten sollten einen Kreis bilden, die Augen schließen und einander die Hände reichen.
»Konzentriert euch alle auf ihre Stimme. Mehr müsst ihr nicht tun«, sprach der Vogt und verließ die Halle.
Gilbert sah mit einiger Verwunderung dem Treiben zu. Er schaute um sich, konnte aber niemanden außer den Auserwählten sehen. Antilius wollte er jetzt nicht schon wieder mit Fragen löchern, da dieser Moment offenbar für ihn sehr wichtig war, und er ihn nicht unnötig stören wollte.
Wo steckt sie bloß?, fragte er sich. Er konnte nicht sagen, ob Ilbétha hier in dieser Halle war oder nicht. Er vermutete daher, dass sie sich ähnlich wie die Siobsistin hinter dem ominösen Schleier, der die verschiedenen Dimensionen voneinander trennte, verbarg.
Antilius spürte, wie eine Stimme aus der Ferne zu ihm und den anderen Auserwählten sprach. Es war mehr wie ein Flüstern. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass er zwar die Worte hören, sie aber nicht in seinem Gedächtnis abrufen konnte. Ein äußerst verstörendes Gefühl. Dann war ihm, als wenn sich fremde Gedanken mit seinen Gedanken vermischten. Es waren die Gedanken der Weltenerschafferin Ilbétha und die Gedanken seiner neun Mitstreiter. Ihre Gedanken bildeten eine Art Kollektiv. Und plötzlich, wie aus dem Nichts, war alles vorbei. Die Auserwählten öffneten die Augen und sahen aneinander an. Ihre Blicke verrieten, dass sie verstanden hatten, was Ilbétha ihnen übermittelt hatte. Alle sahen die Welt nun mit anderen Augen. Sie alle waren nun fähig, hinter den Schleier zu blicken. Es war ganz schnell gegangen. Unmöglich aber dennoch real. Hier an diesem Tag also hatte Antilius jene Fähigkeit erlernt. Und Xali war es, die kurz vor ihrem Tod genau das erkannt und ihn wieder an diese Fähigkeit herangeführt hatte.
Aber die Gruppe um Terius hatte heute noch mehr gelernt: Ein Blick unmittelbar hinter den Schleier offenbarte das Geheimnis hinter der Materie. Diese zu beherrschen war von nun an mit bloßen Gedanken machbar. Es fühlte sich für sie an, als wenn es sich um einen sechsten Sinn handelte, über dessen Anwendung man nicht nachdenken musste. Man konnte ihn automatisch einsetzen, wenn es erforderlich war.
»Das ist unheimlich«, sagte Antilius, und sein Bruder pflichtete ihm bei.
»Und?«, fragte Gilbert. »Hat es funktioniert?«
»Ich glaube schon.«
Der Vogt betrat wieder die Halle. »Sie werden jetzt sofort aufbrechen. Das Schiff wartet.«
Die Umgebung verdunkelte sich. Nach einem kurzen Moment der Verwirrung begriffen Antilius und Gilbert, dass für sie beide dieses Kapitel der Reise in die Vergangenheit schon abgeschlossen war. Die Siobsistin schickte sie nun in die Schlacht zum Einsamen Turm. Dorthin, wo der Dunkelträumer erscheinen würde.
Der Transfer zog sich hin. Beide standen sie harrend in absoluter Finsternis, in der es kein Oben und kein Unten gab. Gilbert achtete darauf, sich nicht von Antilius zu entfernen. Er fühlte sich äußerst unwohl.
»Warum dauert das so lange?«
»Bleib ruhig. Es wird gleich vorbei sein.«
»Die Leere und diese Stille sind einfach unerträglich!«
Gilbert schaute ständig über die Schulter, weil ihn das ungute Gefühl beschlich, beobachtet zu werden.
Dann glaubte er, etwas gehört zu haben. Eine Stimme.
»Hast du das gehört? Was war das?«
»Ich habe nichts gehört. Deine Fantasie hat dir nur einen Streich gespielt«, sagte Antilius, dem das beklemmende Gefühl der Leere nicht weniger zu schaffen machte.
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