„Ist das denn nun Falschgeld … oder … ?“ fragt Fritz als Erster.
Fredo ist sich sicher: „Darauf kannst Du einen lassen …“ Er setzt sich auf die Lehne meines Sessels. „Und zwar einen, der richtig stinkt.“
Ruprecht nimmt seine Geldbörse aus der Tasche und holt einen Fünfziger heraus. Wir alle greifen in unsere Portemonnaies. Nur Willi und ich haben noch Fünfziger. Wir vergleichen unsere mit den Noten aus dem Schließfach. Es dauert einige Minuten, bis wir alle einmal darauf geschaut haben. Dabei fühlen wir jeweils in der einen Hand den Schein von mir, in der anderen den aus dem Schließfach, halten beide nebeneinander gegen das Licht, fahren mit der Fingerspitze über die Scheine, drehen sie um und wiederholen das Gleiche für die andere Seite.
Willi scheint besorgt: „Wir müssen uns merken, welcher Schein von uns ist.“ gib er zu bedenken.
Und er hat Recht. Die beiden Scheine ähneln sich nicht nur, wie ein Ei dem anderen, sie sind für uns Laien überhaupt nicht auseinander zu halten. Wir haben kein geschultes Auge für die Echtheitsprüfung von Banknoten und das bisschen Wissen über die Sicherheitsmerkmale reicht nicht, um eine verlässliche Expertise abgeben zu können. Ich habe mir den Silberstreifen angesehen: absolut identisch. Dann das Wasserzeichen: ebenso exakt, wie das auf dem Originalschein. Farben und Druck sind nicht wirklich zu unterscheiden und selbst das Hologramm wirkt auf mich bei beiden nahezu gleich.
Ich nehme meine Leselupe zur Hand und mache das Oberlicht an. Ich suche mir eine Stelle auf dem Schein von mir, die ich sofort darauf mit der gleichen Stelle des anderen Scheines vergleiche. Ich wechsele dabei schnell hin und her. Ich will mir kleine Details merken, die vielleicht unterschiedlich sind. Ich kann nichts feststellen. Beim Hologramm allerdings fällt mir auf, dass das auf dem Schein aus meinem Portemonnaie in der Vergrößerung anders schimmert, nicht ganz so metallisch, finde ich. Darüber hinaus kann ich nichts Auffälliges entdecken.
Fredo nimmt die mitgebrachten Scheine nochmals in die Hand und sieht sich diese nacheinander einzeln an. „Sie haben alle unterschiedliche Nummern.“ bemerkt er. „Auch das hat Kalli bedacht.“
„Moment einmal“, sage ich, „Du sagst also, dass die Scheine aus dem Schließfach Blüten von Kalli sind? Dass er demnach Falschgeld produziert hat?“ Ich bin immer noch entrüstet und will es nicht fassen.
„Mein Freund“, antwortet Fredo und richtet sich an alle, „ich sage das nicht nur, es ist für mich eine klare Sache. Warum wohl sollte man so viel Geld in ein Bahnhofsschließfach legen? Gleich neben ein paar Druckplatten, die auf den ersten Blick, dann aber auch sehr deutlich zu erkennen, das Muster von einem Fünfziger aufweisen? Und nebenbei liegt im Hofgebäude ein Haufen Banknotenpapier – ebenso Fünfziger?“ Er macht eine rhetorische Pause. „Für mich ist eins und eins gleich zwei. Hat jemand eine andere Erklärung zu bieten?“
Keiner von uns kann dem etwas entgegen setzen. Fredo hat es auf den Punkt gebracht – auch wenn wir es als schmerzlich empfinden, dass sich unsere Vorahnungen in dieser Sache zu bestätigen scheinen.
Fritz versucht dennoch eine andere Überlegung zu platzieren: „Geld im Schließfach, aber selbst hohe Schulden?“ Er ist dabei nachdenklich, aber bestimmt. „Das wäre doch irgendwie idiotisch…“
Ruprecht fährt dazwischen: „Es sei denn, der liebe Kalli hatte einen gewichtigen Grund dafür – oder einfach nur ein sauschlechtes Gewissen.“ Dann fährt er fort: „Im Karton ist übrigens noch etwas. Ein schwarzes Schulheft mit Notizen. Ich konnte zwar nicht lesen, um was darin stand, aber ich habe eine Vermutung.“
„Denke bitte laut …“ flehe ich.
Ruprecht ist hochkonzentriert. „Nun ja, es werden möglicherweise Hinweise zu der Druckweise sein, die er sich da notiert hat. Vielleicht so etwas, wie eine Verfahrensanleitung oder Hinweise, wie er bestimmte Dinge gemacht hat, damit es bei einer Wiederholung gleich wird und er anfängliche Fehler vermeiden kann. So würde ich das jedenfalls gemacht haben. Und das würde ich dann auch in das Schließfach packen.“
Ich denke weiter: „Vielleicht hat er aber auch notiert, wo er bereits Falschgeld in den Umlauf gebracht hat.“
Die anderen schauen verdutzt und ich stelle fest, dass meine Vermutung tatsächlich wohl nicht auszuschließen ist. Es ist Zeit für etwas Alkoholisches. Ich stelle Schnapsgläser auf den Tisch und schenke Wodka ein. Wir haben uns jetzt alle einen Schluck verdient. Da sitzen wir nun, vor uns ein Schlüssel und ein paar Geldscheine, die offensichtlich von unserem verstorbenen Freund gefälscht wurden, und zwar so gut, dass es uns schwerfällt, das auch wirklich zu glauben.
Fredo kippt seinen Schnaps in einem Zuge weg. „Die Dinger sind eine Wucht!“ ruft er fast ein wenig begeistert. „Um nicht zu sagen: eine Riesenwucht!“
Ruprecht schüttelt den Kopf: „Wer hätte das gedacht? Wie lange hat Kalli wohl schon die gefälschten Scheine in den Umlauf gebracht?“
Meinen Glauben an das Gute will ich nicht so leicht aufgeben. „Ich denke, nicht lange.“ sage ich schnell. „Ich glaube eher, er hat das ausprobiert und am Ende hat ihn der Mut verlassen.“
„Oder das schlechte Gewissen hat ihn eingeholt.“ Entgegnet mir Fritz.
Ruprecht verlangte einen zweiten Wodka. „Wie auch immer. Ich glaube aber auch nicht, dass er – wenn überhaupt – viel davon unter die Leute gebracht hat.“
Wir denken nach und es ist wieder still unter uns geworden. Wir haben heute etwas Ungeheuerliches entdeckt und dennoch sind wir letztlich nicht so tief bestürzt, wie es anständige Menschen in einer solchen Situation eigentlich sein sollten. Auf die Idee, in diesem Moment zur Polizei zu gehen, ehe es zu spät dafür ist, ist bisher auch niemand gekommen und ich selbst wische diesen Gedankenansatz gerade wieder weg, ohne zu wissen, warum ich das eigentlich tue. Die mangelnde Betroffenheit in Bezug auf unsere scheinbar doch leicht brüchige Moral und Sittlichkeit ist unübersehbar.
Wir sind zwar irgendwie betroffen, doch es scheint, dass der Grund hierfür darin zu suchen ist, dass wir uns eher mit der Frage zu plagen begonnen haben, was wir nun mit all diesen Erkenntnissen anstellen sollen. Was bedeuten diese jetzt für uns alle, für jeden einzelnen? Ich fühle mich ein wenig hin- und hergerissen. Bin ich denn schon so abgestumpft, dass ich nicht aufspringe und eine Moralpredigt vom Stapel lasse? Bin ich etwa latent kriminell und bereit, das, was Kalli getan hat, gutzuheißen und vielleicht sogar für mich zu verwerten?
Was ist mit Ruprecht, unserem Erzengel der Gesetzestreue? Er müsste jetzt doch eine flammende Rede über tugendhaftes Bürgertum und gnadenlose Strafjustiz halten, uns alle auffordern, sofort und mit aller Macht dem Unrecht Einhalt zu gebieten. Er ist aber ebenso still, wie wir alle hier. Keiner mag eine Brandrede halten. Aber so richtig bestürzt ist auch keiner von uns. Wir sitzen eher da, mit aufkeimender Faszination, lassen die Scheine immer wieder kreisen und blicken fast ein wenig diebisch lauernd in die Runde. Wer wird wohl als Erster etwas sagen? Wer wird den Mut haben, das auszusprechen, was wir alle denken?
Wenn Marta jetzt hier säße, dann würde sie uns donnerhaft die Köpfe waschen und uns mit zischenden Stockhieben zur nächsten Polizeistation treiben. Mindestens aber würde sie so lange nicht Ruhe geben, bevor nicht alle Fundstücke, Scheine wie Platten, das noch unbenutzte Papier unwiederbringlich vernichtet wären. Sie würde selbst das Benzin über den Scheiterhaufen schütten und den Streichholz zünden. Ohne eine einzige Millisekunde dabei zu zögern, das vernichtende Feuer höchst persönlich zu entfachen. Sie würde warten, bis alles bis zur Unkenntlichkeit verglüht ist, uns dann zu einem fulminanten Abendessen einladen, um ab diesem Moment nie wieder ein Wort über die ganze Sache zu verlieren.
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