„Suche? Wonach?“ fragt Willi kauend.
Wir schauen uns an. Ja, wonach eigentlich?
Ich bin aufgestanden und will mich aufmachen. „Das werden wir sehen, wenn wir es gefunden haben.“
„Was ist mit Marta und Julius?“ fragt Ruprecht.
Ich kann beruhigen: „Die sind gerade los. Zum Friedhof. Ich gehe davon aus, dass Sie mindestens zwei Stunden unterwegs sein werden.“
Fredo denkt bereits schon wieder strategisch: „Wir brauchen noch einen Alarmposten.“ Er schaut in die Runde. Fritz meldet sich. Er hatte bislang nichts zu alledem gesagt. Er würde sich vor dem Haus postieren und uns warnen, wenn Marta und Julius zu früh wieder zurück sein sollten.
Wir anderen eilen militärischen Schrittes in die Druckerei und ich habe Mühe, mitzuhalten. Fredo kommt als Erster an. Er steht im Raum, schaut sich um, hat dabei eine Hand am Kinn und murmelt vor sich hin.
„Hmm! Wenn ich Kalli gewesen wäre …“
„… dann wärst Du jetzt in einer Urne auf dem Friedhof.“ kontere ich. In mir wächst die Ungeduld und plötzlich bin ich es, der Anweisungen erteilt: „Los, fangen wir an. Zwei links, ich rechts. Und Ruprecht bleibt an der Tür zum Aufpassen.“
Fredo schaut erstaunt: „An Dir ist ein Decks Maat verloren gegangen.“ meint er sodann recht spöttisch, ist aber bereits dabei überall herumzustöbern.
Ich weiß nicht, wonach ich suchen soll. Ich vertraue auf meinen Instinkt – nein, wohl besser auf mein Glück, denn ein Kriminologe war ich noch nie. Fredo ist recht geschickt, denn er sucht erst gar nicht oberflächlich, sondern er schiebt gleich die Sachen in den Regalen hin und her und klopft auf die hinteren Wände, ob diese vielleicht hohl wären. Er ruft mir zu, dass er sich bei seinen Matrosen an Bord auch immer damit hervorgetan hätte, bei den Kabinendurchsuchungen jedes Mal gewusst zu haben, wo die Jungs ihr Haschisch oder das Kokain-Briefchen versteckt haben würden. Ich tue mich hier ganz offensichtlich deutlich schwerer damit, in den Sachen eines toten Freundes nach Dingen zu kramen.
Im hinteren Bereich steht eine kleine blaue Werkbank. Diese hat einige Schubladen, die ich nun nacheinander aufziehe und hinein schaue. In der ersten finde ich verschiedene Zangen und einige Hämmer, z.T. mit einer weichen Schlagauflage. Eine Schublade tiefer ein vollständiges und sehr ordentlich gepacktes Sammelsurium von Gummiplatten unterschiedlichster Stärken. In der letzten Schublade liegen einige Bleistifte und Blöcke und ein großes Schlüsselbund mit alten Bartschlüsseln. Alles nichts Besonderes, so schließe ich die Lade wieder, um an anderer Stelle weiterzusuchen. Doch es gelingt mir irgendwie nicht so recht, diese wieder in ihre Ausgangsposition zurückzuschieben. Etwas hakt und ich probiere es noch einmal, jetzt mit etwas mehr Kraft. Es hakt immer noch und ich versuche es mit hörbarer Gewalt.
„Wo rohe Kräfte sinnlos walten … Was rüttelst Du denn da?“ fragt Fredo leicht genervt.
Ich verzichte darauf, ihm eine Antwort zu geben und probiere es erneut. Ich möchte diese Schublade auch nicht halboffen zurücklassen. Ich fasse vorsichtig hinein und taste, ob ich etwas finden kann, dass sich vielleicht verklemmt hat. Man kennt das von Besteckschubladen. Ich finde aber nichts, will schon aufgeben, da fasse ich von innen hinter die Rückseite der Lade. Dort klemmt in der Tat etwas. Es scheint aber auch irgendwie festgeklebt zu sein.
„Fredo, es könnte ein …“ ich habe das Ding jetzt zwischen den Fingern und ziehe es aus der Schublade hervor, „…Schlüssel sein!“
Fredo guckt verdutzt zu mir herüber.
„Schau mal.“ sage ich ruhig in seine Richtung. „Was hältst Du davon?“
„Das wird irgend ein verlorengegangener Schlüssel sein.“ sagt er mit offensichtlich vorgetäuschter Langeweile. Seine Spannung aber ist deutlich in seinen Augen zu lesen.
Der Schlüssel scheint mir etwas ungewöhnlich und deshalb schaue ich ihn mir doch noch genauer an. Auch als Laie kann ich auf den ersten Blick erkennen, dass es ein Sicherheitsschlüssel ist, einer von denen, die man nur mit Schlüsselschein nachmachen lassen kann. Er hatte zudem eine rote Schutzkappe aus Plastik, die über den Schlüsselkopf gezogen war. Auf dieser war eine Zahl eingeprägt.
Fredo grabscht zu und reißt mir den Schlüssel aus den Fingern. „Mensch, das ist sicher nicht der Klo-Schlüssel. Sieht mehr danach aus, dass er eher zu einem besonderen Schloss passt.“ Er dreht das Objekt langsam im Licht hin und her. Nach wenigen Sekunden vermutet er die Lösung: „Wenn mich jetzt nicht alles täuscht, dann ist das ein Schließfachschlüssel.“ Er zeigt auf den Kopf des Schlüssels. „Hier – da ist die Prägung mit der Nummer. Siehst Du? Nummer 1220!“
Auch Ruprecht steht jetzt bei uns und schaut auf den Schlüssel. Fredo ist sich mit seiner Analyse absolut sicher. „Schließfachschlüssel, eindeutig! Ich kenne die Dinger aus hunderten von Häfen. Darauf kannst Du wetten. Bleibt jetzt die Frage, zu welchem Schließfach er passt. Hast Du noch mehr gefunden?“
Ich bin noch ziemlich verdutzt. „Nur den Schlüssel.“ antworte ich und zucke mit den Schultern.
Fredo entscheidet, dass wir uns alle wieder zusammenfinden sollten und so gehen wir gemeinsam erneut zu mir in meine Wohnung und nehmen unsere alten Plätze ein.
Ruprecht stellt die entscheidende Frage: „Wo gibt es Schließfächer, Jungs?“
„In der Bank!“ antworte ich prompt.
„Richtig!“ sagt Fredo. „Aber Schließfachschlüssel einer Bank sehen anders aus. Die haben so kleine Bärte zu jeder Seite und sind länger, dünner, als dieser hier. Eben mehr wie Tresorschlüssel.“
Mir fehlt die Kenntnis, wie Tresorschlüssel auszusehen haben. Ich habe noch nie einen Geldschrank besessen – was den Umstand mit sich bringt, einen solchen somit auch nie verschlossen zu haben.
Ruprecht nickt zustimmend. „Schließfächer gibt es natürlich auf Bahnhöfen und Flughäfen.“ Dann runzelt er die Stirn. „Und … einen Bahnhof haben wir gerade einmal kurz um die Ecke, meine Freunde.“
„Du meinst den Altonaer Bahnhof?“ fragt Willi naiv und wir anderen müssen spontan lächeln.
Fredo ist bester Laune: „Warum denn in die Ferne schweifen, oh sieh, das Gute liegt so nah …“ beginnt er trällernd.
Ich ergänze sofort: „ … lerne nur das Glück zu greifen, denn das Glück ist immer da.“
„Jawoll!“ ruft unser Seemann mit bebender Stimme. „Genau. Also: auf geht´s, Kameraden!“
Der Kämpfer links neben ihm war schnell gestorben. Ein glatter Kopfschuss. Das Projektil ist kurz unterhalb der Mütze nahezu mittig in die Stirne eingetreten und mit einem platzenden Geräusch am Hinterkopf wieder herausgeschnellt. Ein Stück Schädelknochen flog dabei mit und wird jetzt irgendwo, einige Meter hinter dem Toten, zwischen den Steinen liegen. Der Mann ist leicht zur Seite gesackt und sein Kopf liegt in einer Lache seines eigenen Blutes.
Der junge Mann neben dem Toten schaut unbeirrt weiter über den Lauf seines Gewehres. Er hat Glück, weil er eine neue Schnellfeuerwaffe bekommen hat. Die ist zuverlässig und schießt sehr genau. Rechts neben ihm hat sich eine junge Frau positioniert. Sie hat sich gerade auf den Rücken gedreht und ist außer Atem. In ihrem Militäranzug sieht sie sehr maskulin aus und man muss schon zweimal hinsehen, um festzustellen, dass sie ein noch recht junges Mädchen von vielleicht gerade einmal siebzehn Jahren ist. Sie hat ihr Kampfmesser genommen und ritzt damit einen Strich in den Kolben ihrer Kalaschnikow. Es ist die dreiundzwanzigste Kerbe.
Eine nahe Explosion einer Granate zwingt beide dazu, die Köpfe zwischen die Schultern zu nehmen. Der junge Mann nimmt nochmals eine bessere Deckung ein. Das war nah, denkt er. Und auch der Blick des Mädchens drückt aus, dass hätte jetzt auch schief gehen können. Gleich darauf haben beide ihre Gewehre wieder im Anschlag und feuern in die ihnen in circa achtzig Metern gegenüberliegende Häuserfront.
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