1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 Der dritte Schnaps wird ausgeschenkt, eine willkommene Pause, in der es nicht auffällt, dass wir nicht antworten. Mit gefüllten Gläsern sitzen wir nun wieder da, blicken aufmerksam in Martas strahlendes Gesicht und warten auf ihr Finale. Doch Marta denkt gar nicht daran, uns jetzt zu erlösen.
Es ist Fredo, der wagt, das Unaussprechliche zu formulieren: „Stellt Euch das mal vor!“ Er spitzt seine Lippen. „Wir sitzen auf einem Stapel echter Banknoten. Einem Schatz. Wir bräuchten nur zuzuschlagen. Es reich ein Kopierer. Oder noch besser: Wir setzen die Druckmaschine im Hof in Gang und in Kürze schwimmen wir nur so in Millionen.“
Ruprecht antwortet wie immer mit seiner unschlagbaren pragmatischen Art: „Im Geld schwimmen ist gut. Deinen Fahrtenschwimmer kannst Du dann gleich im Gefängnis-Pool machen. Dafür bekommen wir alle mindestens fünf Jahre ohne Bewährung. Das ist Dir, meine lieber Fredo, klar?“
Fredo scheint das nicht wirklich zu schockieren. Ihm gefällt der Gedanke einfach zu gut. Ja, je mehr er darüber nachdenkt, sogar vorzüglich.
So trötet er Ruprecht entgegen: „Falschgeld auf echtem Bankpapier, mit allem Drum und Dran, das ist doch ein Geschenk des Himmels.“ Und an uns alle gewendet fügt er hinzu: „Leute, überlegt doch mal!“
„Allein schon der Versuch, selbst wenn noch nicht ein einziger Schein in dem Umlauf gebracht wäre, reicht für eine Verurteilung. Bei Falschgeld grundsätzlich ohne Bewährung.“ Ruprecht könnte jetzt auch im Gerichtssaal stehen und wendet sich direkt an Marta, „Und es ist eine Todsünde, Marta. Hörst Du: eine T-o-d-s-ü-n-d-e! Du kommst für immer in die Hölle!“
Fredo schüttelt den Kopf. Er findet, wir sollten ein wenig über diese Möglichkeit nachdenken. Kalli hat das Papier schließlich auch nicht entsorgt, er wird vielleicht nur auf den richtigen Augenblick gewartet haben. Die Chance liegt doch einfach auf der Hand. Ein Wink des Schicksals, des Himmels – von ihm aus auch der Hölle. Egal!
Marta steht auf. Ihre Fröhlichkeit ist gewichen und sie ist wieder ganz Mutter: „Meine Liebsten. Ich denke, Fredo macht nur Spaß und will uns lediglich ein wenig auf die Probe stellen. Schluss jetzt mit diesen Hirngespinsten. Geht alle zu Bett und morgen ist ein neuer Tag.“
Sie steht auf, kippt ihren Schnaps mit einem Schluck weg, knallt das Glas auf den Tisch und geht festen Schrittes aus der Tür.
Die aufgehende Sonne wirft einen ersten hellen Schein auf die Stadt, deren Menschen jetzt aufwachen. Die leichte Kühle der Nach weicht vorsichtig den zu dieser Stunde immer noch rötlichen Sonnenstrahlen. Ein neuer Tag beginnt, ein weiterer, an dem sie alle nicht wissen, was geschehen wird. Noch kurz zuvor, in der Dunkelheit, durchzuckten helle Blitze die Nacht, gefolgt von dem bedrohlichen Grollen der immer näher kommenden Einschläge. Mit dem Morgenlicht tritt nun aber erstmals wieder Ruhe ein. Selbst der Terror muss einmal schlafen.
Es wird wieder Tote zu beklagen geben. Noch mehr Vermisste. Einen gnädigen Gott haben die gefunden, die sofort gestorben sind. Einige werden vielleicht aber erst in diesem Moment erlöst, haben die Nacht mit einem abgerissen Bein oder mit aufgerissenem Bauch in den Trümmern nach ihrer Mutter geschrien. Sie verstummen endlich mit dem Anbruch des neuen Tages.
Die Verdammten aber tragen jetzt Fesseln und einen Sack über dem Kopf. Sie riechen bereits den Tod und sie hören das Wimmern, das gequälte, stumpfe Gurgeln derjenigen, die aus ihrer Mitte zur Hinrichtung bestimmt wurden. Es ist der grausame Alltag, der mit dem Anbruch des Tages, mit den ersten wärmenden Strahlen der Sonne über Kobane, seinen gewohnten Lauf nimmt.
Der alte Mann schaut durch die schützenden Bretter vor seinem Fenster. Er sieht über die einst so herrliche Stadt und die Hügel dahinter. Er schaut auf die andere Seite, auf das türkische Gebiet, dort, wo die Kurden sind, wo es Hilfe gäbe. Alles nur einen Steinwurf entfernt. Er bräuchte nur kurz herüberspazieren, an der einen Hand seine Tochter, an der anderen seine liebe Frau. Vielleicht aber würde er auch sein kleines Enkelkind tragen, es so besser beschützen, den Kopf des Kindes an seiner Brust, abgewandt von allem Leid umher. Er könnte einfach so losgehen und alle damit retten. Doch so nah es scheint, so unerreichbar ist dieses Ziel.
Auch heute werden seine Augen wieder nass und seine Hände zittern. Hat Gott das so gewollt? Kann das alles der Wille des Herrn sein?
Er wendet seinen Blick ab und dreht sich um. In das kahle, noch etwas düstere Zimmer tritt seine Frau und reicht ihm wortlos ein Glas Tee. Zucker haben sie schon lange nicht mehr und der Tee stammt aus dem dritten Aufguss. Er setzt sich auf eines der Kissen und trinkt in kurzen Schlucken das lauwarme Getränk. In seiner Tasche ist immer noch der Rosenkranz mit dem kleinen silbernen Kreuz. Beten aber will er nicht mehr. Wozu? An wen soll er seine Bitten richten? An den, der diesem Terror und dem unsäglichen Leid all der Menschen hier zusieht? Und so sitzt er auch jetzt nur da und wartet darauf, dass das Zittern seiner Hände wieder für einige Zeit aufhört.
Kindliches Getrampel schallt in den Raum. Die Kleine ist wach und die Vierjährige setzt sich neben ihren Großvater. Gleich darauf kommt auch ihre Mutter. Die junge Frau geht langsam. Als sie hereinkommt, lächelt sie, weil sich ihre Tochter so eng an ihren Großvater geschmiegt hat, die Arme fest um ihn verschlungen hält. Die junge Frau ist Mitte Zwanzig, hat ein schönes, grazil gezeichnetes Gesicht, und ihre schwarzen Augen funkeln wie Feuer. Sie trägt eine zierliche Goldkette am Hals, die ein massives Kreuz im Ausschnitt ihres Kleides zum Vorschein kommen lässt. Mit ihren schönen Händen und den langen Fingern streicht sie sich durch ihr langes, dunkles Haar und bindet dieses gleichdarauf geschickt mit einem Gummi zusammen.
Ihre Mutter reicht nun auch ihr ein Glas Tee. Dem kleinen Mädchen drückt sie liebevoll einen Rest Maisbrot in die Hand. So sitzen Sie still in dem immer heller werdenden Raum, trinken den dünnen Tee und schauen auf das Kind, das an seinem Brotstückchen herumknabbert. Es ist die nun schon gewohnte morgendliche Schweigsamkeit der Familie, nach einer Nacht mit dröhnenden Granateneinschlägen, bellenden Schüssen, dumpfen Donner und dem immer näher rückenden Tod. So dicht ist alles, dass sie manchmal sogar die Kämpfer schreien hören können, wie sie Befehle geben, wie sie laufen, fallen, aufschlagen, sterben. Sie glauben manchmal sogar das Atmen der Männer hören zu können, deren Schnaufen und immer wieder auch deren Röcheln, wenn sie im Dreck der zerschossenen Häuser verbluten.
Die Straßenkämpfe und das Ringen um jedes Haus, jede noch so zerstörte Ruine, nimmt kein Ende. Fehlende Munition wird durch blanken Hass ersetzt. Hass auf die Ungläubigen, Hass der Verteidiger auf jeden Kämpfer des IS. Menschlichkeit und Gnade werden weder gesucht, noch gegeben. Jeder Tote bedeutet einen kleinen Sieg, jeder Kopf des Gegners eine Trophäe. Und Köpfe werden dieser Tage viele abgeschlagen.
Als die junge Syrerin noch vor kurzer Zeit inmitten der friedlichen Demonstrationen gegen das Assad-Regime teilnahm, sich der arabische Frühling in vielen Gebieten und Städten dieser weiten Region Syriens und der Nachbarländer über alle Grenzen hinweg abzeichnete, wären sie und ihre Freunde nie auf den Gedanken gekommen, dass sie wenig später auf der Flucht vor marodierenden Mördern sein werden. Auf einer Flucht vor Ermordung, Schändung und Folter. Auf der Suche nach einer Möglichkeit des Überlebens für sich, ihre Familie, ihre Tochter und das ungeborene Kind in ihrem Bauch, verfolgt von wütenden, die Menschlichkeit verachtenden Anhängern eines zweckentfremdeten und fehlgeleiteten Islams.
Das morgendliche Schweigen hier und jetzt unter ihnen wird noch eine Weile vorhalten. Mit dem Anbruch des neuen Tages wird der Vater wieder das Haus verlassen müssen. Dieser Stadtteil von Kobane ist noch ein wenig intakt und es gibt Möglichkeiten, das Notwendigste zu beschaffen. Wenn er Glück hat, dann ergattert er sogar etwas aus den Hilfslieferungen, falls diese dann durchgekommen sind. Vielleicht kann er auch etwas tauschen. Er hat ein paar Wertsachen auf der Flucht aus Hama mitnehmen können, und wenn die Not groß ist, dann versucht er einen guten Tausch. Wenn er noch mit seinem Gott sprechen würde, dann würde er ihn auch bitten, einen mitleidigen Menschen zu finden, über dessen Mobiltelefon er eine Nachricht an einen seiner Söhne schicken könne.
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