Du würdest sicher gut aussehen mit Tierohren. Denn du bist perfekt. Doch die Programmierung des Hauptrechners erlaubt keine Tierkombination mit menschlichen Genen. Bei Haustieren hat sich gezeigt, dass Rassenkreuzungen nicht lange leben. Vor allem die mit Attributen, die nur der Verschönerung dienen.
Katzen sind nicht zum Fliegen erschaffen worden. Ihre Knochen sind zu schwer.
Wenn ich dir Flügel gebe, fliegst du dann davon? Kann ich dir in den Himmel folgen? Meine Augen reichen weit über ihn hinaus – bis zu den Sternen. Wenn du das erste Mal deine Lider öffnest, werde ich ebenso die Sterne in ihnen leuchten sehen?
Der Tag ist da. Du bist neun Monate alt. Deine Eltern stehen vor dem Brutkasten und als er sich wie eine Blume öffnet, das angereicherte Wasser abfließt und der Nabel, der dich in diesen Monaten genährt hat, abfällt, kopiere ich mich in eine bewegliche Einheit. Ich habe jetzt Arme, um dich zu halten und zu wiegen. Beine, um dich zu tragen.
Ich öffne die Augen und sehe deine Eltern, wie sie dich in Empfang nehmen. Sie lächeln, als du zum ersten Mal nach Luft schnapst und schreist. Der erste Schrei. Der Urschrei. Und mit deinem Schrei beginnt auch ein neuer Abschnitt für mich.
Der Körper, mein Körper, ist nicht neu. Wenn eine LEE ihren Körper nicht mehr benötigt und wieder in ihren virtuellen Urzustand zurückkehrt, macht sie Platz für eine neue LEE, deren Schützling sie in dieser Form braucht. Unsere Körper sind aus wertvollen Ressourcen gefertigt, die nicht unendlich sind. Wir müssen sparsam mit ihnen umgehen, denn diese Welt, in die du, mein Schützling, geboren wurdest, ist einzigartig und zerbrechlich. Ihr beide müsst beschützt werden. Gehegt und gepflegt.
„Hallo, Avna! Wir sind deine Eltern“, sagt deine Mutter.
„Hallo, Avna!“, wiederholt dein Vater und sie blicken erst dich und dann sich an.
Avna Naim Mien. Ich registriere deinen Namen und ordne deinem Barcode Mutter- und Vatername zu. In der Datenbank bist du einmalig. Du, Avna, bist etwas Besonderes.
Deine Eltern verlassen mit dir auf dem Arm die Geburtsstätte und ich folge ihnen wie ein Schatten. Leise, fast unsichtbar. Mein Körper ist in einem unauffälligen Grau gehalten. Seine Form ist menschlich. Die Gelenke sind weich und die Bewegungen fließend. Ich gebe keinen Laut von mir. Warte auf den Moment, in dem ich gebraucht werde.
„ Ich werde für uns eine Welt ohne Habgier erschaffen. Eine Welt, in der wir als Menschen in Würde leben können. Ich befreie euch von allen Erniedrigungen, Notwendigkeiten und gebe euren Kindern sowie deren Kindeskindern eine Welt ohne Kriege, Terrorismus, Angst und Diskriminierung.“
Programmierer 2067
Ich richte mich nach deinen Bedürfnissen, bin für dich da, wenn du mich brauchst. Ich schaue von weitem zu, wie deine Eltern dich umhegen und pflegen. Dich küssen, umarmen, mit dir spielen und dir etwas vorsingen oder vorlesen. Ich höre dich weinen und ich höre dich lachen.
Ich kenne jedes deiner Bedürfnisse und warte auf den Zeitpunkt, wenn deine Eltern überfragt sind, nicht bei dir sein können. Ich bin das Sicherheitsnetz, wenn keiner da ist, der dich bewundern und behüten kann.
Das Erste, das sie mir überlassen, ist das Windelwechseln. Ich habe Sensoren, die Gerüche einfangen und bestimmen können. Es ist eine Notwendigkeit, damit ich weiß, wann du neue Windeln brauchst oder es irgendwo brennt.
Ich begnüge mich damit, dich kurz nach dem Wickeln zu halten, um dich dann wieder in die sicheren Arme deiner Eltern zu legen. Sie sind euphorisch. Glücklich, dich um sich zu haben.
Zuerst stehen sie selbst nachts auf, wenn du schreist, doch nach Nächten ohne Schlaf nehmen sie endlich meine Dienste in Ansprüche.
Es ist ihr erstes Kind.
Du bist ihr erstes Kind.
Sie nennen mich Nanny und lachen dabei. Ich kenne den Begriff, ich weiß, was er bedeutet. Und ich bin zufrieden – so zufrieden wie ein künstliches Wesen sein kann, dessen Gedanke, Worte und ja, Gefühle , sich aus Nullen und Einsen zusammensetzen.
Ich bin glücklich. Denn ich wurde als Lebenserhaltungseinheit, als LEE, programmiert. Nur wir haben so viel Freiheit, können denken und fühlen. Wir unterscheiden uns nicht allzu sehr von den anderen Bots, die existieren, um den Menschen das Leben zu erleichtern. Doch was uns voneinander trennt, was mich ausmacht: Ich gehöre nicht allen Menschen. Ich gehöre nur dir. Meine ganze Welt dreht sich um dich. Und damit ich meine Aufgabe erfüllen kann, darf ich mich sorgen, kümmern, proaktiv handeln, um deine Bedürfnisse erfüllen zu können.
Jetzt kannst du nur lachen, weinen und schreien. Und ich muss reagieren, versuchen zu erkennen, was du brauchst, bevor du mein Versagen in die Welt brüllst. So weiß ich seit dem Augenblick meiner Entstehung, dass du frische Luft, Wärme, Wasser, Schlaf, Nahrung und Licht brauchst. Du benötigst Berührung und Pflege.
Und damit bist du so anders als ich.
Ich existiere. Mein Sinn bist du. Ich brauche nur den Strom, den die Sonne mir gibt, um zu funktionieren. Kein Wasser, keine Berührung, keine Wärme und keinen Schlaf oder Pflege. Das Einzige, das wir in unserem Bedürfnis gemeinsam haben, ist Licht.
Ich kenne die Unterschiede zwischen uns, um mich besser um dich kümmern zu können.
Du brauchst Sicherheit und eine Routine, die dir langsam zeigt, wie die Welt funktioniert. Grenzen, die du immer wieder ertasten und testen kannst, um sie auszuweiten und mit der Vergrößerung deines Umfeldes wachsen zu können.
Du brauchst das Gefühl dazuzugehören. Ein Gefühl, das man auch als Familie versteht.
Du musst gefüttert werden, wenn du Hunger hast.
Du musst getröstet werden, wenn du dich unwohl fühlst.
Du brauchst Berührung, wenn du dich alleine fühlst.
Du musst schlafen, wenn du müde bist.
Du musst gewickelt werden, wenn du eine frische Windel brauchst.
Zuerst darf ich dich wickeln. Dann nachts füttern und in den Schlaf wiegen. Die frischgebackenen Eltern vertrauen dich mir mehr und mehr an und ihr könnt als Familie ungezwungen zusammenleben, ohne euch gegenseitig einzuengen.
So ist es gut. Dazu bin ich da.
Ich schiebe dich in den nahe gelegenen Park, wenn deine Eltern keine Zeit haben, und spiele dir dabei leise dieselben Lieder vor, die dich beim Wachsen im Brutkasten begleitet haben.
Es dauert nicht lange und du krabbelst schon auf allen vieren. Du fasst alles an, zerrst und ziehst, bis dein kleiner Kopf rot anläuft. Wenn du deinen Willen nicht bekommst, schreist du so laut, dass deine Mutter den Raum verlässt. Sie hat ein sehr feines Gehör.
Seit dem Tag, an dem deine Mutter dir ihr neuestes Album vorgespielt hat und du nicht aufgehört hast zu brüllen und zu weinen, bis ich dir deine Musik wiedergegeben habe, nimmt sie dich nicht mehr so häufig in den Arm.
Ist das Selbstbewusstsein von Menschen so fragil? Auch bei erwachsenen Menschen? Braucht sie bereits jetzt deine Zustimmung, dein Wohlgefallen an ihrem Schaffen, an ihrer Kunst, ihrer Musik? Genügt der Schaffungsprozess, der für mich schon ein Wunder an sich ist, nicht?
Du scheinst ihre Kälte zu spüren und streckst deine kleinen, runden Arme nicht mehr nach ihr aus. Ich verbringe mehr Zeit mit dir. Deine Mutter mehr Zeit mit ihrer Musik.
Ich gebe deinen Zornausbrüchen nicht nach. Ich weiß, dass Grenzen wichtig sind und gebe dir, was du brauchst, wann du es brauchst, ohne dich zu verhätscheln. Ausreichend Nahrung zum Wachsen. Wenn du größer wirst und den Genuss entdeckst, werde ich dich auf Grenzen hinweisen, bist du alt genug bist, um die Konsequenzen zu kennen und eigene Entscheidungen zu treffen.
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