"Miriam, bitte tu das nicht. Das ist unfair."
Miriam erstarrt in der Bewegung, dann dreht sie sich um, geht mit schnellen Schritten ins Wohnzimmer zurück, die nackte Wut im Gesicht. Dicht vor Kostrow bleibt sie stehen. "Ach, das ist unfair? Willst du wirklich mit mir über Fairness diskutieren?"
"Ich meinte doch nur ..."
"Du siehst in mir wohl so eine Art Mischung aus Stofftier und Hauskatze, oder? Angenehm im Haus zu haben, immer flauschig, gut fürs Seelenleben und andere Dinge, aber nicht wirklich ein Mensch."
"Das ist doch blühender Unsinn!"
"Ist dir schon einmal in deinem egozentrischen Seelenpalast die Idee gekommen, dass ich auch Bedürfnisse habe?"
"Natürlich weiß ich, dass du Bedürfnisse ..."
"Ach wirklich? Ach wirklich?" Miriam schäumt vor Wut.
"Miriam, Kätzchen, bitte beruhige dich doch!"
"Offenbar glaubst du, dass du jedes Problem mit deinem Schwanz lösen kannst."
"Das ist jetzt wirklich unfair", sagt Kostrow leise.
Das beruhigt Miriam etwas. "Ja, vielleicht. Aber es ändert nichts daran, dass ich es bald nicht mehr aushalte. Ich komme mir vor wie im offenen Strafvollzug."
"Immerhin offen", versucht es Kostrow mit einem schmalen Lächeln. Falsche Entscheidung.
"Nun werde bloß nicht komisch, du Idiot. Das ist kein Spaß."
"Ja, das ist mir sehr deutlich geworden."
Miriam blickt ihn schwer atmend an. "Wenigstens etwas", sagt sie schließlich.
"Kätzchen, ich habe nicht geahnt, dass dich mein Verhalten so verletzt. Es tut mir wahnsinnig leid. Ich verspreche dir, dass ich mich ernsthaft, wirklich ernsthaft, in dieser Richtung bessern werde. Ich habe nur eine Bitte. Gib mir einen Tag Zeit. Ich kann mich nicht in Lichtgeschwindigkeit umstellen. Lass uns heute noch hier bleiben, in Ordnung?"
Wieder blickt Miriam ihn lange schweigend an. "In Ordnung." Sie legt sich wieder auf die Couch.
"Dann bestelle ich jetzt etwas, okay? Was wäre dir lieber – Pizza, asiatisch, Texmex?"
Miriam greift nach der Fernsteuerung, schenkt den eifrigen Talkgästen eine Stimme, die sich dissonant mit den Klängen des Tango Nuevo mischt.
"Mir egal", sagt sie.
Phase 8 \\ 7. August – 12:22 Uhr
Die mittägliche Sonne heizt das Pflaster auf. Auf seinem Weg zur U-Bahn schreckt Kostrow aus seiner Grübelei auf – das Stück Erinnerung seit dem Verlassen von Miriams Wohnung scheint zu fehlen. Der Gedankensturm um Enzo Milano und seine Kois dominiert seine geistigen Prozesse. Habe ich mich überhaupt verabschiedet? Es sind nur kostspielige Zierfische, nichts weiter. Ich werde doch nicht grußlos aus der Wohnung gestolpert sein? Auch Stephan glaubt, dass mehr hinter den Kois steckt als es den Anschein hat. Habe ich ihr wenigstens einen Kuss gegeben? Stephans Intuition darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden, das hat sich in der Vergangenheit schon oft erwiesen. Wie konnte mir derart entgehen, was ihr auf dem Herzen liegt? Japanisches und italienisches Design sind artverwandt, Milanos Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Ich scheine ein ziemlicher Gefühlsklotz zu sein. Trotzdem gibt es da etwas. Möglicherweise bedeutet mir Miriam nicht so viel wie ich angenommen habe.
Die Kois sind plausibel. Ihre Anwesenheit im Tartufo Nero ist plausibel. Was nicht erklärbar scheint, sind die beiden Elemente in Verbindung mit Milano. Es liegt an ihm. Es sind nicht die Kois, die da nicht hineinpassen. Es ist Enzo Milano.
Kostrow kommt an der Bar Grande Monaco vorbei. Der Duft aus der chromblitzenden Espressomaschine steigt ihm in die Nase. Die mit Vanillecreme gefüllten Bomboloni in der Glasvitrine lassen ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Haben wir überhaupt gefrühstückt? Verwirrt nimmt er zur Kenntnis, dass die Erinnerungslücke größer ist als angenommen. Natürlich, sagt sein Verstand. Nein, sagt sein Magen. Er betritt die Bar, bestellt an der Theke einen Café Macchiato und lässt sich einen Bombolone geben, den ihm der Barista in einer Serviette reicht. Genussvoll beißt er in die süße Sünde. Ein Schluck des mit geschäumter Milch aufgefüllten Espresso weckt seine Lebensgeister. Milano hin, Kois her, ich sollte mich nicht verrückt machen.
Kostrow verlässt die Bar und bemerkt sofort die schwarze Stretchlimousine, die fünf Meter weiter in Richtung U-Bahn-Station in einer Einfahrt parkt. Kostrow seufzt. Unerwartete Auftritte seines mächtigen Klienten wie diesen ist er bereits seit einiger Zeit gewöhnt.
Er öffnet die hintere Tür und lässt sich auf die wuchtige Lederbank sinken. Er zieht die Tür zu und blickt auf den Passagier neben sich. "Sie sind auch am Wochenende aktiv, Herr Mossner?“
Dorian Mossner lächelt. "Es gibt viel zu tun.“
"Da haben Sie wohl recht.“
Mossner, wie üblich im schwarzen Anzug mit hellblauem Hemd und gestreifter Krawatte, nimmt einen in glänzend lackiertem Wurzelholz gehaltenen Humidor von der Seitenkonsole und hält ihn Kostrow geöffnet entgegen. Die Cohiba Robusto schimmern verführerisch, doch Kostrow fühlt noch den Nachgeschmack des Kaffees und des Bombolone am Gaumen. "Vielen Dank, aber dafür ist es noch etwas zu früh für mich."
Der zweiundfünfzigjährige Manager bei Global Automotive stellt den Humidor zurück und wendet sich wieder Kostrow zu. "Es gibt neue Entwicklungen.“
"Das hatte ich schon vermutet."
"Zunächst einmal: Ihre beiden laufenden Aufträge sind storniert.“
Ein eisiger Schreck durchzuckt Kostrow. Noch ein Kunde, bei dem er minderwertige Arbeit abgeliefert hat?
Mossner sieht seine Reaktion und lächelt wieder. "Beruhigen Sie sich, das hat nichts mit Ihnen zu tun. Wir haben die Bearbeitung der Vorgänge unserer Internen Division übergeben, weil wir Sie für etwas Wichtigeres brauchen.“
"Wichtiger als die Werkspionage in Ihrer Wasserstoff-Entwicklungsabteilung?“
"Erheblich wichtiger.“
"Aber ein Informationsleck bei der Entwicklung eines massentauglichen Wasserstoffantriebs kann sich existenzgefährdend auswirken!“
"Das bekommen wir schon in den Griff.“
"Sie wissen, dass wir bereits erste Spuren nach Südchina ausmachen konnten.“
"Allerdings. Angesichts der kurzen Zeit, die Sie erst ermitteln, eine ausgezeichnete Leistung.“
"Dann wäre es vielleicht sinnvoll, uns auf dieser Schiene weitermachen zu lassen.“
"Mit Hilfe des Materials, das Sie uns geliefert haben, können wir den Fall selbst zum Abschluss bringen.“
"Was Sie noch nicht wissen – oder wissen Sie es schon? – wir konnten ein zweites Informationsleck lokalisieren, dass nach Rumänien weist.“
"Sie haben das in Ihrem Zwischenbericht angedeutet. Auch das haben wir in unseren Interventionsplan eingearbeitet."
"Ich weiß nicht, ob ich Sie schon darauf hingewiesen habe – gerade in Fällen verzweigter Informationslecks wenden wir eine besondere Form der rekursiven Informationskopplung an, die in der Regel zu spürbar beschleunigten Ermittlungserfolgen führt.“
Mossner lacht. "Herr Kostrow, Sie müssen nicht für sich werben, uns sind Ihre besonderen Fähigkeiten wohlbekannt. Wir wissen, dass Sie die Ermittlungen in Sachen Wasserstoffantrieb schneller als wir zum Abschluss bringen könnten, aber wir nehmen die Verzögerung bewusst in Kauf, um Sie in einer anderen Sache einsetzen zu können.“
"Und das ist auch beim Rekrutierungsangriff von Derelco Logistics der Fall?“
"Damit sind Sie doch ohnehin schon fast durch, oder? Was Sie uns bisher gebracht haben, genügt eigentlich schon, um die Klage zu entwerfen.“
"Aber das Ganze ist noch nicht wasserdicht. Wir haben zwar Unterlagen sichergestellt, die die erfolgreiche Abwerbung von sieben Executives Ihrer Führungsebene beweisen. Aber was noch fehlt, ist der Nachweis, dass die Abwerbeaktivitäten auch heute noch andauern und sogar an Intensität zugenommen haben. Das erst würde die Klage substanziell aufwerten.“
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