"Im Grunde ist alles klar. Nur eine Kleinigkeit, wenn es Ihnen nichts ausmacht."
"Bitte."
"Es könnte sein, dass die Gegend um das Restaurant nach dem Ereignis einige Zeit für den Publikumsverkehr unzugänglich ist, was sich natürlich auf den Geschäftsbetrieb auswirkt. Wäre in diesem Fall eine Entschädigung denkbar?"
Marchetti sieht ihn überlegend an.
"Das ist selbstverständlich nur eine unverbindliche Anfrage", sagt Milano schnell. "Wenn das nicht vorgesehen ist, bin ich natürlich einverstanden."
Auf Marchettis Gesicht zeigt sich ein Lächeln. "Immer ganz Geschäftsmann, was? Aber Sie haben Recht, diesen Aspekt haben wir bisher nicht bedacht. Ich werde mit Raphaele darüber sprechen."
"Bitte übermitteln Sie ihm meine Grüße und richten Sie ihm aus, dass ich in keinem Fall darauf bestehe."
"Das werde ich gerne tun."
Die Terrassentür öffnet sich wieder. "Alessandro, mir ist langweilig." Chiara zieht eine Schnute.
"Mein armer Schatz, habe ich dich vernachlässigt? Komm herein, leiste uns Gesellschaft."
Chiara streift ihr Strandkleid über und lässt sich zwischen den beiden Männern auf der Couch nieder.
Milanos Atem beschleunigt sich. Komm mir bloß nicht zu nahe, du, mit deinem Parfum. "Gefällt es Ihnen in München?"
Chiara blickt ihn an. "Ja, die Stadt ist ganz hübsch, besonders die Architektur. Aber wenn es ums Einkaufen geht, habe ich andere Vorlieben. Ich finde beispielsweise Milano recht schön."
Enzo Milano glotzt sie an. Ist das eine Einladung? "Ja ... da mögen Sie Recht haben ... ist recht schön."
Chiara lächelt.
"Und ... waren Sie schon in der Oper?"
"Dieses Mal nicht, es ist einfach zu wenig Zeit dafür."
Milano fühlt, wie auf seinem Rücken Schweiß ausbricht. Regt mich das Weib auf, oder die Aussicht auf die Kugel zwischen den Augen, wenn ich sie mir hole? "Oh, wie schade, in dieser Saison steht Tosca auf dem Spielplan."
"Tosca habe ich 2008 in Bregenz gesehen."
"Auf der Seebühne?"
"Richtig. Es war traumhaft."
Wie alt warst du da? Sechzehn? Mit einem Mal findet er einen Ausweg aus der verführerischen Notlage. "Wollen Sie nicht noch etwas für uns spielen? Es war so wunderbar."
"Ja, mia cara, spiel für uns", bekräftigt Marchetti.
Chiara schwebt auf den Flügel zu. Gleich darauf erklingt wieder die romantische Arie aus La Rondine.
Milano entspannt sich. So ist es richtig, meine Süße. Spiel schön weiter. Hauptsache, du kommst nicht in meine Nähe.
Phase 14 \\ 10. August – 22:09 Uhr
"Merkwürdig hier", sagt Jannik Bornemann und blickt um sich.
Kostrow lächelt. So hatte er es beim ersten Besuch auch empfunden, war dann aber immer wieder gekommen. Das Fleur du Mal, die Oase der Stille über dem hektischen Grundrauschen in Schumann's Bar, ist keine Cocktailbar wie die anderen.
Die beiden Freunde sitzen an dem voll belegten, neun Meter langen Tisch und beobachten den Barmann, der die Drinks wie zuvor miteinander besprochen zubereitet. Bornemann streicht mit der Hand über die Tischplatte. "Schönes Holz."
"Nussbaum", erläutert Kostrow. "Eine ganz spezielle Sorte." Er bemerkt Charles Schumann, der, aus der unteren Bar kommend, den Raum betritt. Der Reihe nach begrüßt er seine Gäste, kommt schließlich zu Kostrow. "Wenn ich Sie fragen darf, dieses Holz, das ist doch Nussbaum?"
Schumann schenkt ihm eines seiner seltenen Lächeln. "Ganz genau. Ich habe die Sorte selbst ausgesucht, in Portland."
"Wirklich schön."
"Wir haben den ganzen Baum nach Bremerhaven transportiert, von da nach Österreich, ihn da erst einmal ein Jahr lang trocknen lassen, und dann die Tischplatte aus einem durchgehenden Stück gefertigt."
Der Barmann stellt die Drinks vor ihnen ab. "Viel Spaß noch", sagt Charles Schumann und wendet sich dem nächsten Gast zu.
Bornemann sieht ihm nach. "So gut möchte ich in dem Alter auch aussehen."
"Wem sagst du das."
Sie probieren ihre Drinks. Bornemann blickt anerkennend auf sein Glas. "Ich verstehe, warum du hierher wolltest."
"Die Atmosphäre ist einfach entspannend."
"Finde ich auch." Beide trinken genussvoll. Von den anderen Gästen treiben Gesprächsfetzen herüber, überlagern sich, um sich letztendlich gegenseitig auszulöschen.
Kostrow blickt auf seinen Freund. "Was treibst du eigentlich in München? Dein Anruf hat mich überrascht."
"Rein privat. Schließlich war ich vier Jahre nicht mehr hier. Alte Freunde besuchen."
Kostrow lächelt schief. "Rein privat? Wirklich?"
"Sicher. Was ist daran so komisch?"
"Nichts. Garnichts. Ist nur ein seltsamer Zufall."
"Zufall?"
"Stephan hat mir vor drei Tagen geraten, dich zu kontaktieren."
"Stephan ist dein neuer Partner, nicht wahr?"
"So neu nun auch wieder nicht."
"Und warum solltest du Kontakt mit mir aufnehmen?"
Kostrow nimmt einen Schluck aus seinem Glas. Mildes Unbehagen breitet sich in ihm aus. "Wegen einer Sache, an der wir gerade dran sind. Aber lass uns nicht von beruflichen Dingen reden. Schön, dich wieder einmal zu sehen."
"Geht mir auch so." Bornemann nippt an seinem Cocktail.
Die Freunde lassen die friedvolle Atmosphäre der Bar auf sich wirken, den beruhigenden Klangteppich aus Geplauder und leiser Musik, die gedämpfte Beleuchtung, das entspannende Farbsignal, das von dem in dunklem Violett gehaltenen Teppichboden ausgeht.
Bornemann lehnt sich in seinem Stuhl zurück. "Fehlt dir eigentlich deine Zeit beim BKA?"
Gute Frage. Kostrow blickt seinen Freund nachdenklich an. Kommt wohl auf die Tagesform an. "Kann ich nicht eindeutig beantworten."
"Du bist nicht zufrieden mit deiner Entscheidung, in den privaten Sektor zu wechseln?"
"Das kann man auch nicht sagen."
"Also was nun?"
"Ich fand die Zeit in Wiesbaden wunderbar. In gewisser Hinsicht die beste Zeit meines Lebens. Und wir zwei waren ein hervorragendes Team."
"Das kann man wohl sagen."
"Ich weiß heute gar nicht mehr, was eigentlich den Anstoß zu meiner Entscheidung gegeben hat, mich selbständig zu machen."
"Na, das ist doch nicht schwer nachzuvollziehen, wenn man deinen heutigen Lebensstil sieht."
"Ja, das Geld war sicher ein wichtiger Impuls, aber das kann eigentlich nicht der entscheidende Faktor gewesen sein. Wem Geld wichtig ist, der geht nicht zum BKA."
Bornemann lacht. "Da ist wohl etwas dran."
"Es muss noch einen anderen Grund gegeben haben, aber ich weiß beim besten Willen nicht mehr, welchen."
"Und deshalb ist dir nicht wohl in deiner Haut."
Kostrow streicht unbewusst über die Tischplatte. Fühlt sich wirklich gut an. "Nein, Jannik, so ist das nicht. Ich bin glücklich mit meiner Tätigkeit. Wenn du wüsstest, an was für Fällen ich dran bin ... Es ist faszinierend. Und Stephan ist ein Weltklasse-Analyst, fast noch besser als du, nichts für ungut."
"Schon in Ordnung. Während unserer Zusammenarbeit warst ohnehin du derjenige mit der besonderen Analyse- und Profilingkompetenz."
"Das kann man nun auch nicht sagen."
"Doch, kann man. Aber dann verstehe ich nicht, woher dein Unbehagen kommt."
"Von Unbehagen habe ich nicht gesprochen."
"Du hast gesagt, dass dir nicht klar ist, ob dir deine Zeit beim BKA fehlt. Das verstehe ich unter Unbehagen."
Missmutig denkt Kostrow über die Worte seines Freundes nach, beschließt einen Themenwechsel. "Wie ist dein aktueller Partner?"
"Oh, der ist in Ordnung. Sehr effektiv. Sehr kooperativ. Guter Teamplayer."
"Freut mich zu hören." Jeder ist ersetzbar, damit sollte ich mich langsam einmal abfinden.
Das Gespräch versiegt. Die Freunde hängen ihren Gedanken nach, jeder entlang des Pfads seiner eigenen Erinnerungen. Der Barmann kommt herüber. "Alles gut bei Ihnen?"
Kostrow lächelt ihn an. "Ja, vielen Dank. Es ist perfekt, wie immer." Der Barmann nickt kurz und wendet sich einem neu angekommenen Paar zu, um die Drinks mit ihnen zu besprechen.
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