"Wie kann ich jemals eine Einstellung zu ihm gewinnen, wenn ich ihn nur aus deinen Erzählungen kenne?"
"Stimmt auch wieder."
"Weißt du was? Lade ihn nächstens zu uns zum Abendessen ein."
Erstaunlicherweise empfindet Kostrow ausgeprägten Unwillen bei der Idee, die beiden zusammen kommen zu lassen. "Meinst du, dass das eine gute Idee ist?"
"Was spricht dagegen?"
"Nichts, nur ..."
"Hmm?"
"Ich habe ein wenig Angst, dass er bei dir auch eine kleine Phantasie auslöst."
Scheppernd wirft Miriam das Messer auf die Ablage. "Jetzt ist aber Schluss damit! Ein bisschen Eifersucht ist ja ganz süß, aber jetzt geht der Spaß eindeutig zu weit."
"Schon gut, schon gut. Wir machen es genauso. Ein Abendessen bei uns."
Mit dem Messer schiebt Miriam die gehackten Kräuter in die auf dem Herd blubbernde Sauce. "Willst du Wein?"
Phase 13 \\ 10. August – 11:54 Uhr
Enzo Milano folgt einem Glasflügel der langsam rotierenden, automatischen Drehtür des The Charles Hotel in die langgestreckte Eingangshalle. Über die großen, diagonal verlegten Bodenfliesen geht er zielstrebig auf die Lifts zu. Während er wartet, macht sich Unruhe in ihm breit. Merkwürdig, dass zu diesem Zeitpunkt ein Treffen anberaumt wurde. Die Lifttür öffnet sich. Milano betritt die geräumige Kabine und drückt die Taste für den achten Stock. Kaum wahrnehmbar setzt sich der Aufzug in Bewegung. Eigentlich ist bereits Kontaktsperre angeordnet, so kurz vor dem Ereignis. Der Aufzug hält, gibt hinter den sich öffnenden Türen den Weg frei zur Monforte Royal Suite.
Milano klopft sanft an die Tür. Nach einer Viertelminute hört er leise Schritte aus dem Inneren der Suite. Kurz darauf öffnet ihm Alessandro Marchetti. "Kommen Sie, kommen Sie!" Der kleine, dickliche Finanzchef des Forcone-Clans winkt ihn mit einer ungeduldigen Bewegung ins Innere. Milano betritt die weitläufige Suite. Hinter sich hört er das Zuschnappen der Tür.
Ein Geräusch lasst ihn nach links blicken. Durch die geöffneten Türen der zweihundert Quadratmeter großen Suite sieht er aus dem übernächsten Raum Chiara Marchetti auf sich zugehen. Die knorrigsten Bäume tragen die schönsten Früchte, kommt ihm in den Sinn, während die rassige Schönheit mit geschmeidigen Bewegungen durch das luxuriöse Appartement schwebt. Unter ihrem halbtransparenten, mit großem Blumendekor versehenen Strandkleid zeichnet sich ein schwarzer Bikini ab.
"Ah, Chiara, meine Liebe, schau, wer gekommen ist. Warum bietest du Enzo nicht etwas an?"
Das tut sie bereits, schießt es Milano durch den Kopf, dann ruft er sich zur Ordnung. Mit einem contabile sollte man nicht in Konflikt geraten.
"Kann ich Ihnen einen Drink einschenken?" fragt sie lächelnd, während sie auf das Barschränkchen zugeht.
"Probieren Sie den Grappa Anfora von Marzadro", hört er den contabile hinter seinem Rücken. "Wir haben ihn selbst mitgebracht. So etwas gibt es nicht einmal in diesem Hotel."
"Bitte."
Chiara gießt aus der einer Amphore nachempfundenen Glasflasche etwas in ein schmales Glas und reicht es Enzo mit einem Lächeln. "Salute."
Milano nickt ihr dankend zu und wendet sich ab, bevor seine Hormone wieder die Kontrolle übernehmen können. Aus dem Nebenraum lenkt ein Gemälde seine Aufmerksamkeit auf sich, das den Anschein erweckt, ein Lenbach zu sein. Er zeigt darauf. "Darf ich?" fragt er den contabile.
"Natürlich, fühlen Sie sich wie zu Hause."
Milano tritt vor das Bild. Neben ihm nimmt Marchetti Aufstellung. "Eine hervorragende Reproduktion", sagt Milano anerkennend.
Marchetti rückt seine modische Brille zurecht. "Das ist ein Original, wie die anderen".
"Ein echter Franz von Lenbach? Tatsächlich?"
"Wenn man dem Hoteldirektor glauben darf, ja."
"Und glauben Sie dem Hoteldirektor?"
"Ich hatte noch nie Grund zur Klage, seit ich hier absteige."
Chiara hat sich an den Bechstein-Flügel gesetzt und beginnt zu spielen. Milano erkennt Puccinis La Rondine, etwas aus dem zweiten Akt. Die romantische Melodieführung verschafft ihm schließlich Klarheit. Nella dolce carezza della danza.
Er tritt an den Flügel, betrachtet die anmutige Frau. "Sie spielen hervorragend." Sie dankt mit einer lächelnden Verbeugung, während sie ihr Spiel fortsetzt. Was sucht ein solcher Paradiesvogel bei einem so ungeschlachten Mann? Er lässt wieder den Blick durch die luxuriöse Suite gleiten. Natürlich, er weiß, was sie sucht. Aber ist sie sich über den Preis klar, den sie dafür zu zahlen hat?
Alessandro Marchetti hat sich auf einer der beiden gewölbten Couchen niedergelassen, die mitten im zentralen Raum vor den raumhohen Glastüren zur privaten Dachterrasse stehen. "Chiara, mein Liebling, würdest du uns bitte entschuldigen? Enzo und ich müssen uns unterhalten. Du weißt, Geschäfte, Geschäfte."
Chiara beendet ihr Spiel mitten im Takt. "Natürlich, mein Lieber." Sie erhebt sich, und geht mit einer letzten lächelnden Verbeugung zu Milano auf die Dachterrasse zu. Marchetti weist mit der Hand neben sich auf die Couch. "Si sieda, si sieda."
Milano nimmt auf der drei Meter breiten Couch Platz und richtet den Blick auf Marchetti. An ihm vorbei beobachtet er Chiara, die auf der Dachterrasse die Glastür hinter sich schließt, das Strandkleid abstreift und sich im Bikini auf der Sonnenliege ausstreckt. Das kann ja heiter werden, stellt er unbehaglich fest.
"Jetzt dauert es nicht mehr lang, Enzo. Sind Sie aufgeregt?"
"Eigentlich nicht, Alessandro. Wenn mich etwas beunruhigt, ist es höchstens der Zeitpunkt unseres Treffens."
"Ah ja, die Kontaktsperre." Marchetti lacht. Er greift nach einer offenen Packung Benson & Hedges, die neben ihm auf der Couch liegt, zieht ein goldenes Dupont Feuerzeug mit Schildpattdekor aus der Hosentasche und zündet sich eine Zigarette an. "Immer in Alarmbereitschaft, was?"
"Diese Regelung gibt es nicht ohne Grund."
"Natürlich, natürlich. Allerdings hatte Raphaele den Wunsch, dass einige Punkte noch einmal erläutert werden. Wir wissen alle, was diesmal auf dem Spiel steht, da sollte es keine Fehler geben."
"Gerade, weil so viel auf dem Spiel steht, sollten alle Sicherheitsstandards unbedingt eingehalten werden."
Marchetti nimmt einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. "Sie können sicher sein, dass alle Vorsichtsmaßnahmen ergriffen wurden."
"Die Gegenseite schläft nicht. Und die Behörden haben ihre Observationstechniken im Laufe der letzten Jahre stark verfeinert. Es ist gut möglich, dass Ihre Reise nicht unbemerkt geblieben ist."
Marchetti lacht. "Natürlich ist sie nicht unbemerkt geblieben! Warum auch? Jeder in der Gemeinschaft weiß, dass München Forcone-Gebiet ist. Warum sollte der contabile nicht in sein Geschäftsgebiet reisen?"
"Aber so kurz vor dem Ereignis ..."
Marchetti beugt sich zu Milano, klopft ihm mit einer Hand freundschaftlich auf den Oberschenkel. "Calmati, amico mio, calmati. Das Projekt ist bei Ihnen in besten Händen."
Milano beobachtet, wie sich Chiara auf den Bauch legt. Kannst du nicht endlich verschwinden? Ich habe schon Probleme genug. "Ich bezweifle, dass Paolo diese Kontaktaufnahme gut geheißen hätte."
"Es geschieht auf Raphaeles Anweisung."
"Noch ist er nicht capobastone."
"Aber er wird es bald sein. Seine Entscheidungen werden unsere Zukunft bestimmen, ob er sie jetzt trifft oder später."
Das ist ja das Problem. Milanos Zweifel an der Wahl Paolo Forcones, seinen Nachfolger betreffend, erwachen aufs Neue. "Ja, so ist es wohl." Schon vor langer Zeit hat er beschlossen, mit seiner Skepsis in Bezug auf Raphaele Campovallo hinter dem Berg zu halten. Das letzte, was er auslösen will, ist der Verdacht von Rivalitätsneid. Meine Zeit wird kommen, nur Geduld.
Wieder nimmt Marchetti einen tiefen Zug. "Paolo Forcone ist einer der besten capibastone, die unsere `ndrina je hatte, ja, die es unter allen cosche je gegeben hat."
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