"Sie sind doch Wolf Strickmann?"
Ein Basler Geldsack, sein Dialekt war nicht zu überhören.
"Wenn ich Wolf Strickmann wäre, wäre ich für Sie Herr Strickmann."
"Nichts für ungut, Herr Strickmann. Ich habe einen Auftrag für Sie."
Dazu legte er sein Köfferchen auf den Tisch, ließ die Schlösser aufschnappen. Es war angefüllt mit 20-Euro-Scheinen, durcheinander gewürfelt, ohne Ordnung.
"Ich habe nicht gesagt, dass ich Strickmann heiße und Interesse habe ich auch nicht."
Der Mann zog einen Stapel Geldscheine aus der Hosentasche, legte ihn in das Köfferchen:
"Das waren 30.000. Jetzt sind es 40 – Euro, versteht sich."
An den Nachbartischen verstummten die Gespräche.
"Sind Sie taub? Ich habe gesagt, ich habe kein Interesse. Kann ich jetzt in Ruhe mein Bier trinken?"
"Kommen Sie, jeder hat seinen Preis. Sie wissen ja gar nicht, was für ein Angebot Sie ausschlagen."
"So ist es, ich schlage es aus."
Der Dicke erhöhte um einen weiteren Stapel und fragte mit einem siegessicheren Lächeln:
"Und was sagen Sie zu 50.000? Mein letztes Wort."
Strickmann lächelte zurück:
"Hoffentlich. Nein – mein letztes Wort."
Die Gäste um seinen Tisch herum reagierten mit Erstaunen und Pfeifen, einer rief so laut Hierher !, dass es im ganzen Raum zu hören war.
"Das gehört Ihnen, wenn Sie für mich arbeiten."
"Ich arbeite nicht für Sie."
Der Mann wurde wütend, legte aber eine Visitenkarte mit einer Handynummer auf den Tisch:
"Falls Sie es sich anders überlegen."
Sichtlich verärgert verließ er die Kneipe. Auch Strickmann war jetzt nicht mehr bester Stimmung:
"Ich werde heute Abend einfach nicht in Ruhe gelassen."
"Wundert dich das? Wenn einer gut ist, dann spricht sich das herum."
Das Hintergrundgemurmel pegelte sich wieder auf seine normale Lautstärke ein, es waren mehrere Sprachen zu hören. Am Nebentisch sagten zwei Französinnen etwas von einem beau gar ç on 4.
Sara hatte beschlossen, sich auf ein Gespräch einzulassen:
"Entschuldige meine schlechte Laune. Ich bin arbeitslos und vor ein paar Tagen ist mein Freund bei mir ausgezogen. Es ist mir schon besser gegangen."
"Scheiße."
"Es hat schon lange geschwelt. Und jetzt hat er eben eine andere kennen gelernt. Sie hat Geld. Die würde auch gut zu dem Typ mit dem Köfferchen passen."
"Wieso auch ?"
"Bevor du gekommen bist, hat er mit dieser aufgetakelten Tussi an der Theke Blicke getauscht. Der war nicht allein da. Danach hat sie dich angesprochen. Und du?"
"Ich komme gerade von einer Kurierfahrt nach Marseille zurück, bin ein bisschen kaputt."
"Hast du im Hafen etwas abgeholt?"
"Etwas hingebracht."
"Sagst du mir, was das war?"
"Ich weiß es selbst nicht, habe das Zeug nur hingefahren. Ich glaube, es war ein Gemälde. Wo hast du denn gelernt, so genau zu beobachten?"
"Ich bin gerade ziemlich unten und heute hat sich auch noch mein erster Freund umgebracht."
"Das ist heftig. Hast du noch eine enge Beziehung zu ihm gehabt?"
"Es war eine Sandkastenliebe. Danach waren wir gemeinsam bei den Jungen Pionieren und irgendwie zusammen. Als unsere beiden Familien dann in den Westen gegangen sind, waren wir plötzlich ein festes Paar, wir kannten ja sonst niemanden."
"Wie lange wart ihr getrennt?"
"Sechs Jahre."
"Und da tut es immer noch so weh?"
"Lörrach ist eine kleine Stadt, wir haben uns nie aus den Augen verloren. Ich wusste immer, was er gerade macht – bis er gesprungen ist."
"Weißt du auch, warum er gesprungen ist?"
"Eben nicht. Das ist ja das Komische – es muss da etwas gegeben haben, das er vor mir versteckt hat."
"Wo ist er gesprungen? Von der Autobahnbrücke?"
"Nein, vom Röttler Schloss. Er kannte sich da aus, hat ehrenamtlich bei der Restaurierung mitgearbeitet."
"Hast du ihm noch nachgetrauert?"
"Nein, aber er war noch so jung, hatte sein Leben noch vor sich."
Es entstand eine längere Gesprächspause mit Tränen und Seufzern. Keiner bemühte sich, das Gespräch in Gang zu halten.
Strickmann stellte fest, dass daran nichts Seltsames war, schon gar nichts Peinliches.
"Ganz schön riskant. Was, wenn er jetzt im Rollstuhl säße?"
Die Frage war etwas pietätlos, Sara bekam sofort feuchte Augen:
"Ernst hatte den Sprung sorgfältig vorbereitet, hatte ein paar Flaschen Benzin dabei. Und das hier."
Sie zog eine Plastikhülle mit ein paar Papierschnipseln aus der Tasche.
"Ich war vorhin an der Stelle, an der er gesprungen ist. Da war nicht mehr viel zu erkennen. Aber ein paar Reste habe ich gefunden. Es ist die Handschrift von Nicole."
Sie legte sie vor Strickmann auf den Tisch.
"Gibt es einen Abschiedsbrief?"
"Angeblich. Aber den kennt keiner, der liegt bei der Polizei."
"Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Meistens klingt das, was als Trost gemeint ist, ziemlich schal."
"Ist schon gut. Du musst ja nichts sagen."
Wieder eine Pause.
"Gab es Probleme mit seiner Familie, seiner Freundin?"
"Auch das weiß ich nicht, ich habe meine eigenen Baustellen. Vielleicht hat er noch Tagebuch geschrieben. Früher hat er das gemacht, allerdings mit großen Abständen."
"Wer kümmert sich jetzt um den Verwaltungskram?"
"Wahrscheinlich seine Mutter. Aber ich weiß nicht, ob sie der Sache gewachsen ist. Vielleicht fahre ich morgen mal zu ihr nach Weil . Wir haben uns früher gut verstanden und sie wäre immerhin meine Schwiegermutter geworden."
Strickmann nutzte das neuerliche Schweigen, um sich noch etwas zu trinken zu holen. Als er zurückkam, war es Sara, die das Gespräch wieder aufnahm:
"Und du, was läuft bei dir so?"
"Ich habe nicht das Gefühl, dass bei mir viel läuft. Die meiste Zeit brauche ich für meine Arbeit, irgendwie müssen die Brötchen ja verdient werden. Zurzeit kann ich mich nicht retten vor Aufträgen, ich könnte arbeiten ohne Ende. Aber jetzt mache ich erst einmal ein paar Tage Pause, ich muss mal wieder durchschlafen."
"Was für Aufträge denn?"
"Ich bin selbstständig, habe eine Kurierfirma."
Sara reagierte schnell:
"Wäre es möglich, dass ich ab und zu für dich eine Fahrt übernehme? Ich könnte die Kohle gut gebrauchen."
"Arbeit genug wäre da. Welche Sprachen sprichst du denn?"
"Englisch ganz leidlich, ein bisschen Französisch. Und Russisch natürlich."
"Kommst du in einer fremden Großstadt zurecht, kannst du dich orientieren?"
"Klar, habe ich schon ein paar Mal gemacht, in London und in Paris."
"Ich lasse es mir durch den Kopf gehen. Aber wenn wir schon beim Fragen sind: Was für Gerüchte sind denn über mich im Umlauf?"
Sara versuchte, das Thema herunterzuspielen:
"Dies und das, nichts Konkretes. Außer eben, dass du da einen schwierigen Job souverän erledigt hast. Das spricht sich herum unter Kollegen."
"Unter was für Kollegen denn?"
"Na, die Bruderschaft der Privatdetektive."
"Und was sagt sie so, die Bruderschaft?"
"Es sei ziemlich schwierig gewesen und habe lange nach einem Flop ausgesehen. Aber dann müsse dir irgendetwas aufgefallen sein … Und die Firma gibt es heute ja nicht mehr."
"Gerüchte. Der neue Vorstandsvorsitzende war eine Pfeife, das ist alles."
Sara schaute zweifelnd:
"Was liest du zurzeit?"
"Ein Standardwerk über die Geschichte Karthagos. Ich war über den Jahreswechsel in Tunis – richtig spannend. Die Römer kommen dabei nicht so gut weg."
"Spannend? Die Karthager haben die drei Punischen Kriege verloren. Cato hat sich durchgesetzt. Ende der Durchsage."
Ihre Stimme klang resigniert, die alten Römer gehörten wohl nicht zu ihren Freunden.
"So einfach war es wohl nicht. Selbst der römische Offizier, der mit der Vernichtung der Stadt beauftragt war, konnte angesichts des Massakers seine Tränen nicht zurückhalten. Und noch heute können sich die Leute dort nicht damit abfinden, dass ihre Vorfahren dem Gott Moloch kleine Kinder geopfert haben sollen. Das kratzt an ihrer Ehre, schon das macht sie mir sympathisch. In den letzten Jahren haben sie Säuglingsleichen untersucht, die sie im Tofet, einer Art Friedhof, gefunden haben."
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