Aber wie das so ist: wenn man mal einen braucht...
Außerdem hat der Flüchtling (John Belushi) noch ein As im Ärmel: Ausreden. Ja, ganz richtig. Einen ganzen Sack voller Ausreden. Nicht nur eine, die würde die junge, echauffierte Dame mit geschätzten 1.000 Schuss pro Minute problemlos beiseite fegen. Er muss also schneller sein. Und so wurde er zum Ausreden-König: »Oh bitte, töte uns nicht! Bitte, bitte, töte uns nicht! Du weißt doch, ich liebe Dich, Baby! Ich wollte Dich nicht sitzen lassen, es war wirklich nicht meine Schuld!«
»Du mieser Mistkerl!« Bisher ist die junge Dame mit der Knarre nicht überredet, von überzeugt ganz zu schweigen. »Denkst Du, Du kannst Dich da so einfach rausreden? Du hast mich ganz einfach betrogen!«
Er setzt wieder an, seine Stimme wird in Nuancen höher, ein wenig schriller, er spricht noch schneller: »Hab' ich nicht, ehrlich! Das Benzin war alle, ich hatte 'n platten Reifen, und dann hatte ich einfach nicht genug Geld für 'n Taxi! Mein Smoking ist nicht aus der Reinigung gekommen, und ein alter Freund von außerhalb kam zu Besuch, und dann hat da jemand mein Auto geklaut; da war ein Erdbeben, und dann kam eine furchtbare Flutwelle... - wirklich nicht meine Schuld, ich schwöre es Dir!«
Nun, Bockmist bleibt Bockmist, da kann man reden, was man will. Es liegt am Gegenüber, ob die Ausrede akzeptiert wird oder nicht. Die Frau mit der Bleispritze scheint jedenfalls nicht überzeugt und zu maximal 30 Prozent überredet. Das reicht also noch nicht. Bleibt noch der Kniefall in Verbindung mit einem tiefen, treuen Hundeblick.
Das war's. Sie schmilzt dahin, möchte ihm alle Sünden der Welt vergeben. Er nimmt sie in den Arm, gibt ihr einen dicken Kuss, seinem Kumpel einen Wink und lässt sie elegant zu Boden fallen. Plumps!
Der Weg ist frei. Die Flucht kann weitergehen.
Diverse Ausreden ersann auch Ryan O'Neal als leicht zerstreut wirkender Musik-Wissenschaftler Howard Bannister in der Slapstick-Komödie »Is' was, Doc?«, in der eindrucksvoll dargestellt wurde, was eine Tasche für eine Verwirrung anrichten kann. Auf den Inhalt kommt es eben an! Genau wie sich Elemente dieses Films in späteren Komödien und Filmen wiederfinden, so auch gewisse Ausreden, denn er konnte Barbra Streisand einfach nicht widerstehen, und auf die Frage seiner eigentlich zukünftigen Frau, seit wann er denn Schaumbäder nehmen würde, antwortete: »Es kam schon so aus dem Wasserhahn.«
Meine Ausrede war zugegebenermaßen nicht ganz so einfallsreich, sondern eher intellektuell-nüchtern, denn für alle Fälle hatte ich Französisch als dritte Fremdsprache, damit konnte ich zur Not eine schlechte Note ausgleichen. Und ich hatte dort immerhin eine Zwei! In Geschichte, Chemie und Sport eine Drei - alles nicht so schlimm. Das nächste Halbjahr werde ich bestimmt auch in den übrigen Fächern besser werden.
Ich wurde es insgesamt nicht. Laut Konferenzbeschluss vom 10. Juni 1987 hatte ich nur in Sport eine Aufwärtstendenz zu verzeichnen, aus der Drei war eine Zwei geworden. Dafür war aus der Zwei in Französisch eine Drei gewachsen, die Fünf in Physik hielt sich hartnäckig, und in den restlichen neun Fächern hatte ich eine Vier. Egal, die Hauptsache war, ich war versetzt. Und das war ich, in die Untersekunda. Zehnte Klasse.
Das Schuljahr 1987/88 begann ich im Alter von fünfzehneinhalb. Eine faszinierende Zeit. Man ist schon fast erwachsen, hat jede Menge Lebenserfahrung, kann alles, weiß alles - und leidet nur bedingt an Selbstüberschätzung. Doch das merkte und lernte ich erst einige Zeit später, damals lag mir die Welt quasi zu Füßen.
Dummerweise rollte sie etwas schneller, als ich laufen konnte, und der Stoff in der Schule musste ungefähr Lichtgeschwindigkeit haben. Die Fünf in den Klausuren wurde allmählich zum Dauergast, und längst bekam ich Nachhilfe bei einem älteren Jungen aus der Nachbarschaft. Seine Eltern waren Lehrer, und er hat den Stoff (und sogar einige Lehrer) vor wenigen Jahren selbst durchgemacht. Anfangs für Mathe verabredet, dehnte sich die ganze Angelegenheit im Laufe der Zeit auch auf andere Fächer aus. Und tatsächlich, ich werde punktuell besser und verstehe so einiges, was mir bisher (auch weil ich nicht darüber nachgedacht habe), nicht klar war. Doch eines Tages komme ich mal wieder mit einer Klausur nach Hause. Es ist (mal wieder) eine Fünf. Und die Lehrerin hat schon beide Augen zugedrückt und gewissermaßen nach Punkten gesucht. Meine Eltern sind nicht sehr begeistert. Es gibt eine lebhafte Diskussion zu Hause, doch ich weiß alles besser und habe einen ganzen Rucksack voll Ausreden. Als mein Vater schließlich einzelne Aufgaben und die Antworten durchgeht - die bei objektiver Betrachtung nicht viel mit der Frage zu tun haben -, kommt mir die rettende Idee: »Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir!«, und ich äußere mich entsprechend.
Ich überspringe die nächsten Tage an dieser Stelle und komme zu einem Punkt, an dem die Stimmung wieder etwas ausgeglichener ist. Es wird beschlossen, dass meine Eltern mich ebenfalls unterstützen. Beim Lernen, bei den Hausaufgaben, vor Klausuren. Jeder geht mit mir das durch, was er kann. Quasi eine Art doppelte Nachhilfe. Doch Teenager können mitunter recht bockig sein. Zu Hause ein paar Stunden (oder Minuten) seiner Freizeit opfern ist das eine, in der Schule nicht aufpassen das andere. Die Noten wurden nur bedingt besser, und schließlich gab es auch noch richtige Nachhilfe, in einem Arbeitskurs. Pffffff! Die haben doch alle keine Ahnung. Es ist nur eine Frage der Zeit! Schließlich wäre sonst aus einem Affen nie ein intelligenteres Wesen entstanden!
Am Ende des ersten Halbjahrs konnte ich mit meinem Zeugnis keinen Blumenpott gewinnen: Auch die Drei in Sport konnte den überzeugtesten Optimisten nicht davon ablenken, und um ganz sicher zu gehen, hatten die Lehrer bei den Bemerkungen dezent darauf hingewiesen: »Die Leistungen in Englisch und Latein sind schwach ausreichend. Die Versetzung ist sehr gefährdet.« Da waren sie wieder, meine sieben Vieren - sogar in Französisch war ich schlechter geworden. Die Vieren waren allerdings das kleinere Problem. Die Fünfen in Mathe, Physik, Chemie, Biologie und Musik das größere.
Ach, was soll das alles! Es ist nur eine Frage der Zeit. Das läuft jetzt schon über Jahre, und irgendwann werde ich das schon verstehen und dann schreibe ich eine Eins. Völlig klar! Wozu brauche ich das eigentlich alles hier? Ich bin inzwischen sechzehn, und also quasi erwachsen. Die anderen sollen bloß mal zusehen und sich um ihren eigenen Kram kümmern. Ich mach, was ich will! Und ihr werdet schon sehen, es ist nur eine Frage der Zeit!
Am Ende der zehnten Klasse, nach ausgiebigen Tests gewisser Theorien und hartnäckigem Ignorieren von Aussagen meiner Eltern und Lehrer hatte mich die Wirklichkeit eingeholt. Der Konferenzbeschluss vom 23. Juni 1988 brachte folgende Ergebnisse: Französisch 6, Mathematik 5, Physik 5, Chemie 5, Biologie 5, Englisch 5, Musik 5, Kunst 4, Erdkunde 4, Geschichte 4, Deutsch 4, Latein 4, Sport 2.
Nicht versetzt.
Ich hätte es wissen müssen. Man wird also doch nicht automatisch schlauer. Diese Erfindung wäre ja auch sonst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Deutschen Museum ausgestellt - und wäre fast unbezahlbar. Das perfekte perpetuum mobile. Ist es aber nicht. Und es ist auch irgendwie logisch, denn meine Hausaufgaben machen sich schließlich auch nicht von allein. Und überhaupt müsste man dann ja auch gar nicht in die Schule gehen. Und wir bräuchten nicht so viele Lehrer. Die viel Geld kosten. Gehen wir der Sache doch mal nach:
Im Schuljahr 2005/2006 gab es in Deutschland 667.711 hauptberufliche Lehrkräfte, von denen 150.554 in Nordrhein-Westfalen, dem einwohnerstärksten Bundesland, beschäftigt waren. Nach der Schule schließt sich ein Studium an, oder eine Ausbildung, eine Lehre. Im Sommer-Semester 2010 gab es zwei Millionen Studenten in Deutschland, dazu Professoren und andere Hochschullehrer. Von Aachen im Westen von NRW, wo es zum Beispiel an der RWTH Lehrstühle für Stadtentwicklung, Städtebau und Gebäudelehre gibt, bis nach Münster im Norden, wo an der dortigen Universität in acht verschiedenen Fakultäten ein reichhaltiges Angebot an Studiengängen zur Auswahl steht: Neben evangelischer und katholischer Religion kann man hier Jura, Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Sprachen, Philosophie, Erziehungs- und Sozialwissenschaften oder Fächer aus dem Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Bereich studieren. Das ist ein ganz ordentliches Angebot. Und die Schüler nehmen dieses Angebot an, überall. So gab es zum Wintersemester 2010/11 allein an der Uni Hamburg über 40.000 Bewerbungen für einen Studienplatz. Und nicht zu vergessen: Jedes Bundesland besitzt ein Bildungsministerium und der Bund ebenfalls eines. Dort sitzen viele Leute, die die Bildung organisieren, Lehrpläne gestalten, den Lehrer-Bedarf ermitteln und dementsprechend Lehrer einstellen.
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