Die Verbreitung des Islam beschränkte sich bis zum achten Jahrhundert nach Christus auf die Iberische Halbinsel, Nordafrika, die Arabische Halbinsel, den Nahen Osten und im Ansatz bis in den Westen Chinas. Innerhalb der nächsten 800 Jahre verdoppelte sich das Einflussgebiet, in Afrika in etwas südlicher gelegene Staaten wie Mauretanien, Niger, den Sudan und Somalia, Teile der südlichen Sowjetunion, Pakistan, Teile von Nord-Indien sowie Indonesien.
Bald nach Mohammeds Tod kam es jedoch noch im siebten Jahrhundert zu Streitigkeiten und Unstimmigkeiten unter den Gläubigen. Es herrschte ein Machtkampf um die Herrschaftsnachfolge, und es erfolgte eine Spaltung der Gläubigen in Sunniten und Schiiten. Weitere, zum Teil kaum mehr nachvollziehbare, Absplitterungen sorgten für anhaltende interne Probleme. Heutzutage sind rund 90 Prozent der Muslime Sunniten. Doch die Spaltung tat der Verbreitung keinen Abbruch. Die neue Religion breitete sich rasant aus. Schließlich von Portugal am Atlantik bis nach Indien.
Geopolitisch sind Christentum und Islam sehr miteinander verwachsen, wie sich vielleicht am trivialsten in Spanien zeigt. Der Film »El Cid« mit Charlton Heston und Sophia Loren spielt im elften Jahrhundert, in dem große Teile Spaniens im islamischen Einflussbereich lagen. Al-Andalus, Andalusien, im Süden Spaniens, war und ist ein Land der drei Kulturen, der islamischen, der jüdischen und der christlichen. Es war eine Kultur der Dichter und Denker, der Kaufleute und Philosophen, und der Entdecker Amerikas, Kolumbus, ist in Andalusien, in Sevilla begraben. Im Süden Spaniens wurden über Jahrhunderte Religion, Wissenschaft und Kultur gepflegt, und Christen, Juden und Moslems wohnten gemeinsam in dem Land, das durch die Reconquista bis 1492 offiziell christliches Einflussgebiet wurde. In dem Jahr, als Kolumbus Amerika entdeckte, fiel das letzte maurische Gebiet, Granada. Die Reconquista war zu Ende, Spanien galt als christlich. Für die Statistik.
Heute gibt es praktisch überall Muslime, eine dominierende Rolle spielen sie aber nach wie vor in den nordafrikanischen Ländern, im Nahen und Mittleren Osten, auf der arabischen Halbinsel und in Persien, teilweise in Indien, in Südostasien und in Indonesien, das mit 180 Millionen vor Pakistan mit 140 Millionen die meisten Moslems aufweist.
Der islamische Extremismus, den Alistair MacLean in seinem Roman »Goodbye Kalifornien« bereits in den 1970er Jahren darstellte, ist eine andere Seite der Medaille. Auch heutzutage ein sehr aktuelles Thema, und es stellte sich damals wie heute die Frage: Ist das von Gott so gewollt? Und was ist mit den Ungläubigen? Im Grunde müsste ja jeder Mensch aus Sicht eines Menschen einer anderen Religionszugehörigkeit ein Ungläubiger sein.
Ich merke, ich frage zu viel, halten wir uns also an die Fakten, denn unsere Reise durch das Kapitel der Religionen neigt sich allmählich dem Ende entgegen. Gott werden im Islam verschiedene Attribute beigelegt, wie »Der Allbarmherzige«, »Der Absolute«, »Der Schöpfer«, »Der Wissende«, »Der Hörende«, »Der Sehende«, »Der Lebensspender«, »Der Ewige«, und im Koran ist die Rede von sieben Himmeln, wobei es sich um die Bahnen der Engel und der Himmelskörper handeln soll. Also auch der Islam kennt Geister oder Engel und unterscheidet sich gewissermaßen damit vom Buddhismus, in dem diese keine so große Rolle spielen. Nur scheint auch der Islam letztendlich unsere Fragen, denen wir in diesem Kapitel immer wieder begegnet sind, nicht beantworten zu können: Haben die Religionen jeweils nur zeitliche und geographische Bezüge? Warum gibt es verschiedene Religionen? Und was nützt Religion heutzutage, wenn es verschiedene gibt und sich einige Anhänger an die Regeln halten und andere nicht?
Am 06.01.2011 sprach die FAZ von »Religionsfreiheit" und davon, dass die Autorität und die Moral auf das Individuum übertragen worden sind. Tja, da stehen wir nun mit all unseren Religionen, und was ist dabei herausgekommen? Kann im Grunde jeder machen, was er will, um das Leben, sein Leben, zu bewältigen? Was hat es mit dem Bezug zur geistigen Welt, mit den Göttern, Engeln und sonstigen Lebewesen auf sich?
Als Fazit lässt sich nach unserer Reise durch mehrere Jahrtausende sagen, dass es nach wie vor auf zwei Ansätze hinausläuft: Entweder gibt es Gott, trotz aller in diesem Kapitel aufgezählten Greueltaten, die von Menschen begangen wurden. Dann muss er einen sehr wichtigen Grund haben, dieses zuzulassen. Und es bliebe zu klären, wessen Gott er denn nun ist? Der der Moslems, der Christen, der Juden, der Buddhisten, der Taoisten, der Parsen, der Hindus, der Naturvölker...? Und warum gibt es manchmal mehrere Götter, und dann doch nur wieder einen? Unter diesem Aspekt muss man wohl tatsächlich daran glauben, kann es aber nicht mit letzter Gewissheit sagen, dass es ihn gibt. Im Grunde also in Anlehnung an das Modell, das im Orient praktiziert wird, in dem die Ansicht herrscht, dass Gott in das Weltgeschehen nicht eingreift und die Menschen durch ihre eigene Entwicklung aus den Wirren des Daseins in den Himmel streben können.
Doch diese Version würde immer noch nicht unsere Fragen klären, und sogar der Gottesbegriff, ja sogar der Religionsbegriff blieben unvollkommen, verschwommen. Und Prinzipien, mit denen wir die W-Formel untermauern könnten, haben wir auch nicht in ausreichender Weise gefunden. Bliebe also die andere Version: Es gibt ihn nicht. Weder bei der Entstehung des Menschen noch des Universums war ein Eingreifen einer höheren Macht notwendig, sondern das Leben entwickelte sich ganz ohne göttliches Zutun, und der gesamte Ablauf der Evolution funktioniert auch ohne ihn. Und diese These wollen wir jetzt einmal näher untersuchen. Dabei wird uns wiederum eine Schöpfungsgeschichte begegnen, und die Frage, ob der erste Mensch ein Mann, wie in der Bibel beschrieben, oder eine Frau war. Unsere Reise führt uns dabei allerdings sehr viel weiter zurück, mehrere Milliarden Jahre. Aber wie wir gleich sehen werden, ist das kein Problem. Gedanklich kann man immer überallhin reisen.
»Damit Sie da sein können, mussten sich zunächst einmal ein paar Billionen Atome auf raffinierte, verblüffend freundschaftliche Weise zusammenfinden und Sie erschaffen. ... Warum Atome so viel Mühe auf sich nehmen, ist eigentlich ein Rätsel.«
(Bill Bryson, Eine kurze Geschichte von fast allem)
Wahrscheinlich hat sich jeder schon einmal mit dem Gedanken auseinandergesetzt, wie das Leben entstanden ist. Auch Helen Keller, die uns bereits begegnet ist, wollte dieses Rätsel lösen und beschäftigte sich damit. Zunächst im zarten Kindesalter jedoch auf allgemeiner Ebene. Den Eintragungen ihres Tagebuchs »Ich möchte über Dinge schreiben, die ich nicht verstehe. Wer schuf die Erde und die Meere und alles? Was macht die Sonne heiß? Wo war ich, ehe ich zur Mutter kam? Wie groß ist der Weltenraum? Wer hat ihn erschaffen?« sind wir bereits begegnet, und Anne Sullivan gab die entsprechenden Antworten gemäß dem damaligen Stand der Wissenschaft und Religion. Als sie aufhörte, fragte Helen: »Aber jetzt sagen Sie mir endlich - wer hat Gott geschaffen?«
Es wurde ein Pfarrer hinzugezogen.
Nun, die religiöse Seite haben wir auf unserer Reise soeben betrachtet, halten wir uns jetzt an die Wissenschaft: Im Bereich der Physik, Meteorologie, Anthropologie, Medizin, Astronomie, Geographie, Chemie, Biologie, Geologie und der Mathematik sollten in den letzten Jahrhunderten ausreichend Erkenntnisse gesammelt worden sein, um die Welt zu verstehen und zu erklären. Angefangen bei Newtons Principia von 1687: das Gravitationsgesetz und die drei Bewegungsgesetze: Dass sich alles in die Richtung bewegt, in die es gestoßen wird, und sich solange in gerader Linie bewegt, bis irgendeine Kraft es abbremst. Was uns unmittelbar zu dem dritten Gesetz führt: Zu jeder Aktion gibt es eine ebenso große, entgegengesetzte Reaktion; des Weiteren das im Jahr 1869 von Mendelejew produzierte Periodensystem der Elemente - mit dem sich heutzutage jeder Chemie-Schüler auseinander setzen muss. Damals galt es Ordnung zu schaffen in der Chemie und den Elementen, und Dmitrij Iwanowitsch Mendelejew, Professor an der Universität von St. Petersburg, hatte die goldene Idee: Bisher wurden die Elemente nach gleichen Eigenschaften wie Metall oder Gas oder nach dem Atomgewicht geordnet. Er vereinigte beide Systeme und schuf das, was wir alle aus dem Chemie-Unterricht kennen: das Periodensystem der Elemente. Was wir ebenfalls alle kennen, und zwar aus dem Physik-Unterricht, ist die wohl berühmteste Formel der Welt, Einsteins Gleichung E=mc², die 1907 das Licht der Welt erblickte, und aus der hervorgeht, dass Masse und Energie einander äquivalent sind. »Energie ist freigesetzte Materie, und Materie ist Energie, die auf ihre Befreiung wartet«, stellte Bill Bryson fest. In Fortführung und zur Ergänzung aller bisherigen Errungenschaften der Wissenschaft wurde im September 2008 die größte Maschine aller Zeiten in Betrieb genommen. Mit ihr wollen die Physiker herausfinden, was die Welt im Innersten zusammenhält. Der größte und teuerste Teilchenbeschleuniger der Welt LHC im Europäischen Teilchenforschungszentrum CERN bei Genf, in der Schweiz, ist in einem 27 Kilometer langen, unterirdischem Tunnel beheimatet. Hiermit versuchen Wissenschaftler, die Kernfragen zu lösen. Denn die Kernfragen können von einzelnen Disziplinen wie der Physik, der Biologie oder der Chemie nur zum Teil beantwortet werden.
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