GPF machte in Deutschland Umsätze in Höhe von mehreren Hundert Millionen Mark – aber keine Gewinne. Und das ging – stark vereinfacht – so:
Ein Gramm eines Antibiotikums kostete in der Herstellung in der Fabrik in Indonesien circa 7 US Cent. Es musste nach Deutschland transportiert werden, im Hamburger Freihafen zwischengelagert werden, durch den Zoll gebracht und schließlich zur Fabrik in Nürnberg transportiert werden. Hier wurde es zu Tablette, Kapsel oder Saft verarbeitet.
Dasselbe Gramm Wirksubstanz kostete die Fabrik in Nürnberg jetzt schon 2,50 DM. Die Differenz von 93 Cent (= 1.300 %) waren „gute“ Kosten, denn für jeden einzelnen Schritt war eine eigene Firma zuständig: Die GPF Transport Ltd., die die erforderlichen Container bei der GPF Container Ltd. Mietete, und die Fracht bei der Blue Funnel Line Ltd. (sie erinnern sich an die Reederei, an der sich die GPF Ltd. beteiligt hatte) bezahlte, in Hamburg war die GPF Freihafen Logistik Ltd. für Lagerung, Verzollung und evtl. Weitertransport in andere europäische Tochterfirmen in Mailand, Madrid und Paris zuständig.
Überall fielen Premiumkosten an. Und die beteiligten Firmen waren größtenteils nicht in Deutschland registriert und steuerpflichtig, sondern in Guernsey oder in der Karibik.
Wenn das Penicillin in der Fabrik in Nürnberg ankam, kostete es also bereits 2,50 DM pro Gramm. Jetzt musste man in Nürnberg aus der Grundsubstanz die Tabletten herstellen. Also entstanden noch Verarbeitungskosten in Nürnberg: Die Verpackung und der Transport zum Großhändler waren auch nicht umsonst zu haben. Alle hatten Mitarbeiter, die ihr monatliches Gehalt auf dem Konto sehen wollten. Forschungs- und Marketingkosten müssen auch noch eingerechnet werden – und, und, und ... Schließlich kostete die 1-Gramm-Tablette 3,40 DM. Ausgeliefert wurde für 3,65 DM. Da blieb für Steuern in Deutschland „leider“ nichts mehr übrig… Aber das ist ja nicht so schlimm, schließlich blieb für den Staat doch noch etwas übrig, denn wenn das Medikament über den Tresen des Apothekers ging, fiel ja noch die Mehrwertsteuer an. Also?
1983 hatte man sich in Birmingham das erste Mal in ein wirtschaftliches Abenteuer in den USA eingelassen – das ging gründlich in die Hose. Die Aktienkurse fielen ins Bodenlose. Plötzlich brauchte der Konzern Geld, viel Geld. Banken zogen sich ängstlich zurück.
Und dann geschah ein Wunder: GPF Ltd. bekam schnelles Geld aus dubiosen Quellen (die Presse munkelte von zig Millionen von der Mafia, die über die Vatikanbank geflossen seien). Den Finanzmenschen war´s egal. Bald strahlten die GPF-Sterne wieder heller denn je.
1985 zog die Firmenverwaltung in ein neues repräsentatives Domizil in München um. Inzwischen zählte sie knapp 200 Mitarbeiter in der deutschen Zentrale, und ca. 600 Außendienstmitarbeiter bewarben die Produkte bundesweit.
Die ehemaligen Mitstreiter aus Mainz hatte Gottvater nach und nach durch andere ersetzt.
Wenn Frantzen Gottvater war, waren das firmenintern die Halbgötter: Der Finanzchef Dr. Lorentz, Personalchefin Frau von Reventlow, der Leiter der internen Verwaltung, Herr Peters, Marketingchef Dr. Schmölders, der Chef der Medizinischen Abteilung, Dr. Cagliari. Direkt beim Geschäftsführer war in Person von Fräulein Gramlich eine ganz neue Abteilung installiert worden, Internal Affairs hieß sie. In anderen Firmen hieß die entsprechende Abteilung Controlling. Fräulein Gramlich war jung, aber unerbittlich, niemand mochte sie, die Produktmanager, die sie vor allem überwachte, schon einmal gar nicht. Sie war die rechte Hand Gottes, fand sie. Obwohl sie jung war, schien sie jeden Trick zu kennen, jede Finte zu ahnen. Die anderen fanden eher, dass sie eine fiese, kleine Teufelin war. Ihr war das egal, Gottvater stand ja hinter ihr.
In der obersten, der 6. Etage, des toprenovierten Firmensitzes in Münchens Leopoldstraße residierte Gottvater mit seinen wichtigsten Adlaten in eleganter Atmosphäre, mit Dr. Lorentz, Frau von Reventlow und Fräulein Gramlich.
Die anderen Halbgötter regierten eine Nummer weniger elegant, aber immer noch sehr schick, eine Etage tiefer.
Gottvater und die Halbgötter trafen sich mittags im kleinen Restaurant im sechsten Stock, das vom ehemaligen Sternekoch Jamie Roche betrieben wurde. GPF verfügte über die einzige Kantine in Deutschland, die im Gault-Millau geführt wurde. Gottvater leistete sich diese kleine Extravaganz, um den anderen Chefs in deutschen Pharmakonzernen zu zeigen, was er unter „Klasse“ verstand und was GPF sich leisten konnte.
Die Idee des Geschäftsführungs-Restaurants hatte er von einem der Basler Pharmariesen übernommen. Hier waren Gottvater und seine Halbgötter unter sich, hier konnte man offen reden, hier wurden die gemeinsten Pläne geschmiedet, wenn wieder einmal eine Firma eingegliedert werden sollte. Hier ging es sehr leise und sehr gesittet zu.
Von den Mitarbeitern der GPF-Zentrale waren die meisten noch nicht „im Himmel“ gewesen, wo Gottvater residierte. Von den über sechshundert Außendienstmitarbeitern der Firma würde es mit sehr großer Wahrscheinlichkeit niemand schaffen, dieses Stockwerk je zu betreten. Hierher konnte man sich auch nicht einmal verlaufen – das Treppenhaus war abgeschlossen und die Sicherheitstür mit einem Code gesichert, im Fahrstuhl gab es keinen Knopf mit einer Sechs, wer dahin wollte, benötigte einen speziellen Schlüssel. Und selbst die Chefsekretärinnen hatten die Nase so hoch, dass sie mit den anderen Mitarbeitern kaum je sprachen.
Wenn die Chefs aus England kamen, wurde hier das Beste vom Besten aufgetischt, was Küche und Keller hergaben. Dass GPF nicht wie Hoechst und Bayer über eigene Weinberge oder ein eigenes Gästehotel verfügten, wurmte Gottvater. Aber noch war die Erfolgsgeschichte von GPF ja nicht zu Ende geschrieben, dachte er bei sich.
Mitarbeiter aus den anderen Etagen konnten dieses kleine Chef-Restaurant nur bei zwei Ausnahmen betreten: Wenn sie von den Göttern eingeladen wurden oder wenn sie einen besonders wichtigen Gast bewirten wollten.
Einer der wenigen Mitarbeiter, die hier selten aber regelmäßig Gäste bewirten durften, war Dr. Thorben Lüderitz, ein, nein, der wichtigste Senior Clinical Research Officer von GPF Deutschland . Er war der Mann, der die wichtigen klinischen Studien betreute, der den Kontakt zu den meinungsbildenden Professoren und Universitätskliniken hielt oder aufbaute. Sein Budget war größer als das der wichtigen Produktmanager – und die konnten schon viel Geld ausgeben. Denn die beginnenden Achtziger waren das goldene Zeitalter des Pharmamarketings. Es gab keine Beschränkungen dafür, was die Firmen den Ärzten zukommen lassen durften.
Einzige Beschränkung war das Budget. So konnte es vorkommen, dass Produktmanager 3000 Stereoanlagen oder Spiegelreflexkameras bestellten und über den Außendienst an Ärzte abgaben. Die Gegenleistung bestand darin, eine wenig aufwendige Anwendungsbeobachtung eines Präparates bei 5 bis 10 Patienten durchzuführen, der entsprechende Patientenbogen war in maximal zehn Minuten pro Patient auszufüllen. Es kam nicht auf den wissenschaftlichen Gehalt an, das war Pharmafirma, Außendienstmitarbeiter und Arzt klar. Es war einfach ein für beide Seiten erfreuliches Geben und Nehmen – „Ich gebe dir die Kamera, du verschreibst „mein Zeugs“…“ – bis die nächste Firma mit einer attraktiveren Prämie kam. So war das Spiel.
Der Senior Clinical Research Officer kam nicht mit solchen „Kleinigkeiten“. Die Prüfärzte erwarteten mehr und bekamen mehr. Ein bisschen mehr „Wissenschaft“ war gefordert, vielleicht sogar etwas mehr als „ein bisschen“ – dafür war das Honorar auch höher. 1000 DM oder mehr waren da schon drin. Kein Wunder, dass der „Senior Clinical Research Officer“ ein gern gesehener Gast in den Chefetagen der Kliniken war.
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