„Teuer? Das Programm?“, wollte Lorentz wissen, „mir ist da gar keine signifikante Rechnung aufgefallen!“
„Nö“, sagte Thorben, „fünfhundert pro Lizenz…“
„Fünfhunderttausend?“, schnappte Dr. Lorentz nach Luft, „sie, Lüderitz, ich weiß ja nicht auf welch großem Fuß sie leben, aber das ist schon richtiges Geld, finde ich ...“
„Nö“, sagte Thorben wieder, „fünfhundert Mark.“
„Das geht ja“, meinte Lorentz jetzt entspannt, „und ich dachte schon …“, lachte er, „… und damit können wir zeigen, dass unsere Produkte preiswert sind?“
„Nein“, sagte Thorben jetzt verschmitzt lächelnd, „die bleiben so teuer wie sie sind – aber die Gesamttherapiekosten, die werden günstiger… Das ist der Trick: Wir berechnen die Gesamtkosten! Je nach Fragestellung die Therapiegesamtkosten oder die gesellschaftlichen Gesamtkosten.“
Dr. Lorentz schien beeindruckt. Von den Themen verstand er etwas. „Das müssen sie mir bei Gelegenheit einmal vorführen, aber bevor diese Journalistin kommt. Herr Lüderitz, das hört sich für mich verdammt gut an. Das müsste doch auch etwas für unsere Marketingfritzen sein, vielleicht sollten die einmal mit so etwas spielen? Ich werde darüber nachdenken, ob wir das nicht vielleicht sogar Frantzen präsentieren sollten?
Das könnte ihn, Frantzen, wirklich interessieren! Er macht ja gerne eine gute Figur im Konzern… Vielleicht macht er dann wieder eine Pressekonferenz, aber eine, die uns hilft?“ Er lachte leise, dann sagte er: „Aber auch das bleibt unter uns, nicht wahr? Zurück zu ihrer Idee …“
„Wo waren wir?“, fragte Thorben.
„Sie haben dem Programm gesagt …“, begann sein Vorgesetzter,
„… dass wir einhundert Patientenbögen haben wollen, die ein ganz bestimmtes Ergebnis erbringen, wenn man sie mit unserem Standard-Statistikprogramm wieder auswertet. Und genau die bekommen wir!“, ergänzte Thorben.
„In welcher Form?“, wollte Dr. Lorentz wissen.
„Jetzt hat er uns“, dachte Thorben, „Mist, der ist doch nicht so doof – der kommt sofort auf den Schwachpunkt.“ Laut sagte er: „Als Datenliste pro Patient und als Datensätze, die mit unserem Standard-Paket kompatibel sind.“
„Gut! Und wenn jetzt die Engländer kommen, zum Beispiel diese Lady Gailbraithwhistle? Die kommt auf die Idee, so etwas zu fragen, schon aus Boshaftigkeit, vor allem wenn sie ahnt, ahnen muss, dass wir getrickst haben, und die die Originalbögen sehen wollen? Das könnte eng werden für uns…“
„Tja …“, sagte Thorben und ließ die Antwort offen. Er schaute seinen Chef fragend an, um ihm die Antwort zu überlassen.
„Daran arbeiten wir noch, ist ja klar“, sagte Cagliari lässig und blickte versonnen aus dem Fenster. „Verdammt“, dachte er dabei, „daran haben wir noch nicht gedacht. Mensch, die Bögen! Die Audits 16! Ende der Fahnenstange!“
„Och“, sagte Thorben jetzt genauso lässig, „ich hätte da vielleicht eine Lösung … Aber die ist …, nun ja, sagen wir einmal … sehr kreativ!“
„Ja?“, fragten unisono Cagliari und Lorentz und schauten ihn gespannt an, „heraus damit, was immer es ist“, forderte ihn sein Chef auf.
„Wir lassen die Daten einfach mit der Hand in unsere normalen Prüfbogen übertragen, da brauchen wir nur ein paar Studenten oder so anheuern – allerdings einige, damit die Handschriften schön verschieden sind …“
„Lüderitz!“, rief sein Chef, „Nein! Manchmal sind sie ja wirklich gut, aber dieses Mal sind sie ja wohl wahnsinnig! STUDENTEN? Die Kerle halten doch nicht dicht, nie und nimmer, vergessen sie das!“
In dem Moment kam der Hauptgang.
„Genießen sie jetzt ihr Filet“, sagte Dr. Lorentz zu Thorben, „essen sie erst einmal, danach können wir weiterreden!“
Das Fleisch war perfekt – ein Hauch mehr medium als rosa , aber keinesfalls durch, das Gratin war knusprig und sahnig und das Gemüse – tournierte Broccoli-Rübchen – zerging auf der Zunge. Der Wein passte perfekt dazu.
Thorben achtete sehr darauf, dass er nicht zu viel von dem Wein trank und hielt sich ans Eiswasser. „Betrinke dich nie in Gegenwart deines Chefs“, hatte ein alter Vorgesetzter ihm geraten, der es gut mit ihm meinte. Deshalb hatte Thorben sich das zur Regel gemacht. Denn, hatte sein alter Chef noch gemeint, „die legen es doch nur darauf an!“
„Jetzt kann ich vielleicht einmal etwas Gutes zu ihrer im Grunde ja wirklich brillanten Idee beitragen“, sagte Lorentz nach dem durchkomponierten Mahl, „gehen sie einfach in die DDR für die Bögen! Ich meine, lassen sie sie in der DDR übertragen, abschreiben oder was. Die sind noch für die nächsten fünfzig Jahre oder so eh alle eingesperrt und können nichts verraten. Da stellt sich doch keiner hinter die Mauer und brüllt: „Ich weiß ´was! Ich habe Daten für GPF ge...“. Fast hätte Lorentz gefälscht gesagt, aber er beherrschte sich gerade noch.
„Wissen sie, der Schalck-Golodkowski, der verkauft ihnen alles für harte Westmark, alles! Sogar Schreibkräfte – wenn er sie bloß nicht rauslassen muss!“. Er musste laut lachen über seinen eigenen Witz, Cagliari fiel gleich darauf ein – Thorben nicht, er lächelte nur mühsam und leicht. Von wegen Chefs…
„Ehrlich“, sagte Dr. Lorentz, „denken sie beide einmal darüber nach.“
In dem Moment kam der Keller mit dem Nachspeisen-Wagen, auf dem lauter süße Verlockungen um die Gunst der Anwesenden buhlten. Es gab alles – von der schwarzen Mousse bis zum frischen Obstteller (die Orangen – im Juli! – waren filetiert!).
Thorben lehnte dankend ab – er hatte am Nachmittag noch zu tun… Die beiden anderen langten dagegen noch einmal richtig zu. Dann bestellten sie noch einen Kaffee und ein Gläschen Dessertwein, was Thorben ebenfalls ablehnte.
Thorben konnte stilvoll sein, wenn er wollte, deshalb bat er bald darauf höflich darum, für heute entlassen zu werden. Seiner Bitte wurde huldvoll stattgegeben und er konnte endlich wieder in die Bereiche der Firma entschwinden, in denen er sich eindeutig wohler fühlte.
Als er das Restaurant verlassen hatte, fragte Dr. Lorentz sein Gegenüber: „Glauben sie, dass das klappen wird?“
„Ja. Muss!“, sagte Cagliari, „sonst stecken wir bis hier“, er deutete auf seinen Hals, „in der Scheiße …“
„Nein“, sagte Lorentz ernst, „viel weiter – bis hier!“, und dabei hielt er die Hand eine Handbreit über den eigenen Scheitel! „Bis hier … dann ertrinken wir darin, Cagliari. Das wäre gar nicht witzig, überhaupt nicht. Können wir den Deckel drauf halten, ich meine, schaffen wir es, dass das unter uns bleibt?“
„Wir müssen natürlich den Kreis der Eingeweihten so klein wir möglich halten, das geht gar nicht anders“, sagte Cagliari, „und die wenigen müssen wir gehörig vergattern.“
„Hält der Lüderitz denn den Mund?“, fragte Dr. Lorentz, „und die neue Maus, die Hübsche, die in ihrer Abteilung jetzt rumläuft?“
„Lüderitz? Sicherlich!“, sagte Dr. Cagliari nachdenklich, „mit ein bisschen Druck und Geld werden wir die alle stumm halten können, glaube ich… Aber trotzdem, der Kreis muss klein bleiben. Um die junge Dame kümmere ich mich persönlich.“
„Ja, dann… Ihr Wort in Gottes Gehörgang“, seufzte Lorentz, „hoffentlich… was meinen sie übrigens mit „ein bisschen Geld“?“
„Nicht so viel. Ein eine Nummer größerer Firmenwagen hier, eine Gratifikation da, ´mal eine schicke Kongressreise mit Ehefrau – das übliche! Nichts Besonderes.“
„Was machen sie mit Lüderitz?“
„Ach der“, winkte Cagliari ab, „Lüderitz? Das ist einfach. Der ist der typische Wissenschaftler, der will nur das neueste technische Spielzeug, dann ist schon der zufrieden. Der möchte seit Monaten einen von diesen neumodischen PCs … Klar, das Allerneueste, so einen tragbaren von Compaq. Nettes Ding, würde meiner Sekretärin auch gefallen, die steht auch auf diesen technischen Schnick-Schnack. Alles in allem, mit zwanzig Megabyte-Festplatte, Software und Drucker und so schätzungsweise um die zwanzig Mille … Ich weiß gar nicht, was diese jungen Leute an den Computern so toll finden?“
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