„Einen Cagliari, der offenbar eine Idee hatte…“
„Dann haben sie wirklich ein Gespenst gesehen!“, erwiderte Miss Ketchup süffisant, „der und eine Idee? Das gibt Chaos.“
„Doch“, sagte Thorben immer noch ganz perplex, „ich ahne, dass der eine hatte.“. Er schaute sie an diesem Morgen erstmals bewusst an und deutete schmunzelnd auf einen dicken Stapel Kataloge unter ihren Arm und fragte: „Was haben sie denn da?“
„Urlaubskataloge“, sagte sie, „wir wollen dieses Jahr einmal richtig Urlaub machen. Wird das erste Mal, dass wir groß verreisen können, mein Max und ich. Er hat jetzt einen tollen Job, wissen sie“, lachte Fräulein Heinz ihn fröhlich an, „wird ganz toll: Mexiko oder USA, haben wir uns gedacht…“
„Das können sie knicken“, sagte Thorben im Wegdrehen, „Urlaub können sie dieses Jahr streichen, mindestens dieses Jahr.“. Hinter sich ließ er eine fassungslose Mitarbeiterin stehen.
Er ging in sein Büro, suchte nach der Büronummer vom Sören, wählte und hatte gleich darauf Frau Wolff am Telefon, Sören´ Sekretärin.
„MicroMed GmbH, mein Name ist Wolff, was kann ich für sie tun?“, meldete sie sich.
„Lüderitz, moin, Frau Wolff …“
Sie wollen den Chef?“, fragte sie, „sie, das ist gerade ganz schlecht, der telefoniert nämlich mit Rumänien. Da kann ich ihn nicht stören. Nicht einmal für sie. Das könnte noch dauern.“
„Er soll mich gleich zurückrufen, wenn er aufgelegt hat“, bat Thorben, „das könnte für euch eine größere Sache werden.“
„Ist gut“, sagte Frau Wolff, „ich sage ihm, dass sie angerufen haben, und mache ihm Dampf, dass er sich meldet.“
Zehn Minuten später klingelte Thorbens Telefon.
„Was ist so dringend?“, fragte Sören, ohne zu grüßen, „dass ich nicht einmal erst zum Klo gehen darf?“
„Könnte sein, dass wir CliSSim kaufen“, antwortete Thorben, „und zwar zu jedem Preis!“
„Oha“, fragte Sören erfreut, „das höre ich gerne. Habt ihr etwa ein Problem?“
„Könnte sein“, gab Thorben zur Antwort, „kann ich nachher einmal, so gegen zwölf Uhr, zu dir kommen?“
„Na klar, gehen wir essen?“
„Gerne, wo?“
„Zum Bögner ? So gegen zwölf?“
„Bin da“, sagte Thorben und legte den Hörer ohne ein weiteres Wort auf die Gabel.
Kaum hatte Sören seinen Platz im Restaurant eingenommen und seine Bestellung aufgegeben, kam Thorben herein, setzte sich wortlos zu ihm und bestellte, ohne einen Blick in die Karte geworfen zu haben, beim Keller: „Das gleiche wie er“ und deutete auf Sören.
„Moin. Was ist so dringend?“, fragte der.
„Moin. Ganz einfach. Ein großer brauner Haufen ist am Dampfen: Wir haben ein neues, nagelneues Produkt und müssen in zwölf Monaten die ersten Unterlagen für die Zulassung einreichen ...“
„Dann ist also Hektik im Laden“, sagte Sören und beugte sich zur Seite, damit der Kellner den Teller Erbsensuppe mit Hummer vor ihm abstellen konnte. „Danke“, dann schaute er Thorben fragend an. „Und?“, fragte er seinen alten Freund.
„Ich soll die klinischen Studien machen“, sagte Thorben, „und ich sage dir, das geht nicht. Nicht in der Zeit ...“. Jetzt machte er dem Kellner etwas Platz und wartete einen Moment, bis der wieder verschwunden war.
Dann nahm er den ersten Löffel, probierte und meinte: „Seltsame Erbsensuppe, mit Scherengetier ... aber klasse. Gute Wahl“, lobte er, „das muss man dir lassen, also, selbst mit einem klasse Medikament würde die Zeit nicht reichen. Aber unser Zeug ist reiner Mist, schwache Wirkung und daher miese klinische Werte, weißt du, und die Bosse versprechen den Analysten das Blaue vom Himmel. Gerade jetzt läuft eine Pressekonferenz, auf der unsere Gauner den anderen Gaunern etwas vorflunkern, dass sich die Balken biegen. Und morgen steigen natürlich die Aktienkurse… Ich sage dir.“. Er aß etwas von der Suppe, legte den Löffel für einen Moment beiseite, nahm die Serviette, tupfte sich den Mund ab und fuhr fort, „ich wette unser Mittagessen ist besser als deren ... Die lügen und betrügen, sage ich dir, das glaubst du nicht.“
„Inwiefern?“
„Ich, also wir, haben 110 Patientenbogen fertig.“
„Wenn ich bedenke, wann du angefangen hast, ist das doch verdammt gut. Wann hast du mit dem Herz-Kreislauf-Zeug begonnen? Vor einem Jahr?“
„Fast, nicht ganz ...“
„Da sind 110 doch verdammt viele.“
„Ja, aber ich habe gehört, der Boss erzählt heute etwas von 3.000 Bögen ...“
Sören pfiff leise. „Und lass mich raten, alle mit klasse Ergebnis!“
„Darauf kannst du einen lassen!“
„Mutig!“
„Mehr als das. Wenn du mich fragst, ist das Harakiri!“
„Na gut, aber das ist schließlich deren Bier, oder?“
„Nicht ganz ...“
Sören schaute Thorben fragend an.
„Naja, mein Boss, weißt du, dem musst du vor ein paar Wochen, als du HEAD präsentiert hast, etwas von CliSSim erzählt haben.“
„Ist dein Boss der Idiot, der mich so hat abfahren lassen, von wegen, das versteht eh kein Doktor, weil er das ja nicht einmal versteht?“
„Genau der!“
„Und was will der mit CliSSim ? Neue Leute schulen? Die dir dann den Job wegnehmen sollen? Das kann er vergessen. Punktum. Nicht mit mir!“
„Ich glaube nicht, dass der mir den Job wegnehmen will.“
„Was dann?“
„Der will, so habe ich ihn verstanden, damit Patientenbögen generieren.“
„Dafür ist das Programm ja da. Dann hat er ja zumindest das verstanden, erstaunlich…“
„Wie weit seid ihr denn mit der Entwicklung?“
„So gut wie fertig, die Jungens in Cluj sind einfach spitze. Die testen jetzt auf einer VAX an der Uni in Timisoara. Die dort scheinen nämlich die einzige VAX in Rumänien zu haben, oder so. Eine echte, keine Robotron-Clone aus der DDR.“
„Und was könnt ihr jetzt?“
„Naja, zuerst einmal den Patientenbogen designen, also generieren, du weißt schon welche, wie viele Messwerte werden wann erfasst? Das können übrigens beliebig viele sein. Dann können wir die Normalwerte erfassen, natürlich mit den pathologischen Abweichungen.“
„Also, welches sind die Werte von Gesunden, was ist normale Abweichung und was ist krankhaft?“
„Genau. Und das für Placebo, für Verum, also die Testsubstanz, und für ein Vergleichspräparat.“
„Kann man die Anzahl der Patienten festlegen ...“
„Klar.“
„... und kann man bestimmen, wie viele Prozent der Patienten die Studie nicht beendet haben ...“
„Klar“
„... wegen Versagen der Testsubstanz, weil der Patient abgebrochen hat oder wegen Todesfällen etc.?“
„Klar, jeweils!“
„Stark ...“
„Zum Schluss kannst du noch eingeben, welche Erfolgsrate Placebo, Verum und Vergleichssubstanz haben sollen, damit der Unterschied statistisch signifikant ist.“
„Was kommt heraus?“
Sören schaute Thorben verwirrt an, „wie meinst du das?“
„Ganz einfach, was kommt hinten raus aus der Maschine?“
„Pro Patient eine Liste mit den Werten und eine Gesamtdatei, die du in dein Statistikprogramm einspielen kannst ...“
„Hhm“, machte Thorben gerade, als der Kellner ihm den zweiten Gang servierte, „warte ´mal ...“
Als der Kellner sich wieder entfernt hatte, sagte er, „klar, eine Liste, aber wir brauchen Patientenbögen ...“
„Da musst du eben die Daten abschreiben, ihr habt doch genug Leute, die eh nichts Vernünftiges tun ...“
„Stimmt“, lachte Thorben, „geht hier aber nicht. Aber ich habe eine bessere Idee: Die Patientenlisten schicken wir an einen Professor in der DDR, der soll vierzig oder fünfzig Leute dransetzen, die die Daten per Hand in unsere Patientenbögen übertragen und Kugelschreiber schicken wir auch gleich mit, erlaubt ist ja nur schwarz.
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