1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 „Tjaaa“, sagte Thorben lang gedehnt, „das wird problematisch.“
„So klug war ich schon lange, Lüderitz, das weiß ich selber…“
„Sehr problematisch“, ergänzte Thorben. Er hätte am liebsten den Stachelbeerkuchen genommen, der sah gut aus, am besten, fand er. Aber genau deshalb würde der Chef den auch haben wollen.
Dr. Cagliari musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen.
Thorben kannte den Blick – noch einen Moment zu lange und Cagliari würde platzen. Nein, das brauchte er jetzt nicht und deshalb nahm er auch nicht das Stück Stachelbeerkuchen.
„Darf ich mal das Flipchart benutzen?“, fragte er stattdessen.
„Bedienen sie sich“, entgegnete Dr. Cagliari, „dafür ist sie da.“
Thorben erhob sich, zog die Kappe vom Filzstift ab, stellte sich an die Tafel und begann zu dozieren: „ Ich habe das einmal ausgerechnet“, begann er, „ich und meine beiden Mitarbeiter können laut Plan in einem Jahr 750 Studienpatienten betreuen.“ Links oben auf das Flipchart schrieb er siebenhundertfünfzig und darunter ergänzte er einhundertzehn.
„Einhundertzehn“, sagte er, „haben wir schon, dazu haben wir ein halbes Jahr gebraucht.“
Dr. Cagliari japste: „Weiß ich doch – weiß ich, das reicht aber nicht!“
„Genau“, sagte Thorben, „klar, aber wir haben uns die Zahl ja nicht aus der Nase gezogen, nicht wahr? Da steckt ja Überlegung dahinter. 750 Patienten bei im Schnitt 20 Patienten pro Prüfzentrum macht das siebenunddreißigeinhalb Prüfzentren, nehmen wir round about 35, das rechnet sich leichter. Hinterher müssen wir nur im Kopf haben, dass es in Wirklichkeit ein klein bisschen länger dauern wird.“
Dr. Cagliari nickte zustimmend, also fuhr Thorben fort: „Im Prüfplan aus Birmingham ist eine Studiendauer von neunzig Tagen pro Patient vorgesehen, das macht ja auch Sinn. Nun fangen aber nicht alle Patienten am Tag eins einer Studie an, die Patienten müssen ja den Einschlusskriterien genügen, sie müssen zustimmen und so weiter.“.
Thorben machte eine kurze Pause, nur um gleich darauf fortzufahren: „Ich gehe von den Erfahrungswerten in anderen Studien aus. Pro Studienzentrum werden wir wohl mit insgesamt 9 Monaten Studiendauer rechnen können. Neun Monate, das macht circa 270 Tage.
Zwanzig Patienten in sechs Monaten… da brauche ich … wenn ich nichts anderes mache … weil ich ja noch ein paar Altstudien abzuwickeln habe, denke ich …
„Denken sie daran, was wir denen anbieten können!“, fiel ihm Cagliari ins Wort, „Frantzen meint, dass ein Kurztrip mit dem Volk in die Karibik helfen könnte. Mit einer kompetenten Einführung in Steuersparmodelle oder so, Lüderitz, wir können denen das Honorar dort gleich auf neu eröffnete Konten einzahlen… Meinen Sie, das hilft bei der Akquise?“
„Das sind eher Marketing-Methoden“, sagte Thorben, der sich als Wissenschaftler betrachtete und das, was er als Marketing-Methoden bezeichnete, häufig als etwas Anrüchiges empfand. Er lehnte so etwas nicht vollständig ab – aber das sollten lieber andere machen: Produktmanager, Außendienstler, solche Leute.
Er wiegte den Kopf, „die verfangen bei meinen Leuten nicht immer … Könnte bei einigen Chefs eventuell hilfreich sein – bei den ganz Gewieften vielleicht… bei anderen eher nicht. Kann bei einigen für uns aber auch nach hinten losgehen. Muss man sehen… Das kommt auf die Situation an, glaube ich.“
„Sie machen das schon“, meinte Dr. Cagliari, „die Betreuung vor Ort kann ich übernehmen, dann müssen sie nicht aus der Betreuung der Zentren raus und sie können ihre Youngster im Auge behalten, Lüderitz, das ist mir wichtiger, als sie da drüben in der Hitze rumfliegen zu sehen!“
Thorben musste innerlich über die letzte Bemerkung seines Chefs grinsen, machte wieder eine kurze Pause, auch um sich zu konzentrieren, spielte einen Moment mit dem Schreiber, dann schaute er seinen Zuhörer an und führte weiter aus:
„Bis ich die ersten 20 Zentren unter Vertrag habe, das werden die sein, die ich mit dem Auto anfahren kann, also sagen wir einmal bis zu zweihundert Kilometer rund um München, brauche ich, ich denke, zwanzig Tage. Den Erstkontakt muss ich selber machen, die Folgebesuche können meine beiden Youngster übernehmen. Bis ich alle 35 Zentren festgemacht habe, sind vierzig oder sechzig Tage um. Arbeitstage, wohlgemerkt!“
„Dann würde die Reise auf die Caymans also irgendwann im Herbst stattfinden, oder? Überstunden für sie und ihre Leute sind kein Problem, da können sie auch am Wochenende hin…“, wandte Dr. Cagliari mit einer Hand abwinkend ein.
„Könnte ich zwar… prinzipiell“, sagte Thorben abwägend, „aber es geht da weniger um mich, mehr um die Ärzte, die Chefs – und ob die bereit sind, mich am Sonntag auf dem Golfplatz zu treffen…? Und jetzt ist praktisch schon Urlaubszeit, wir haben Juni!“ Als Thorben den dunklen Blick seines Vorgesetzten sah, schob er ein: „Vielleicht nicht bei uns, Chef – aber bei denen ganz bestimmt. Und zwar noch bis Ende August!
Ich habe da meine Zweifel. Lassen sie uns lieber realistisch rechnen: Sechzig Arbeitstage sind zwölf Wochen oder ein viertel Jahr. In deren Urlaubszeit“, er betonte „deren“, „kann ich die Vorbereitungen treffen, da verlieren wir nicht so viel.“
Cagliaris Miene hellte sich ein wenig auf. „Puh“, stöhnte er trotzdem.
„Naja“, gab Thorben zu bedenken, „die allerersten Prüfärzte können ja – mit etwas Glück – schon in drei bis vier Wochen beginnen, die anderen folgen dann zeitversetzt. Die Studienbögen sind ja schon fertig, denn ein paar Studien laufen ja schon. Der nachdruck auf 3000 geht schnell, die prüfmuster kommen.
Im allerschnellsten Fall beginnt somit der erste Prüfer in vier Wochen. Selbst wenn die erste Therapie beim ersten Patienten dann schon am nächsten Tag beginnt – und die dauert mindestens neunzig Tage, also drei Monate – dann ist der erste Patient in vier Monaten fertig. Und wenn der Prüfer schnell ist, sehr schnell, richtig verdammt schnell sogar, dann brauchen die vier bis sechs Wochen, bis der zwanzigste Patient „drin“ ist, also mit der Therapie begonnen hat. Also, ich denke, in sechs Monaten ist der erste Prüfarzt fertig mit der Studie.“
„Naja“, sagte Cagliari, „das hört sich doch nicht so schlecht an, oder?“
„Ich weiß nicht“, entgegnete Thorben, „der letzte Prüfarzt beginnt nach dieser Kalkulation in zwei bis drei Monaten.
Dann beginnt sie… Die gesamte Studie wird 250 bis 270 Tage dauern, also knapp neun Monate. Plus die zwei Monate Vorlaufzeit bis die alle begonnen haben. Macht also elf Monate. Im Idealfall! Immer noch ohne Wochenenden, hohe Feiertage, Krankheit, Schwangerschaft oder Urlaub zu berücksichtigen.“
„Urlaub ist gestrichen“, sagte Cagliari betont, „Schwangerschaften sind verboten…“. Er meinte das offenbar ernst, glaubte Thorben, das war ihm anzusehen.
„Ja“, sagte Thorben, „aber Weihnachten, Ostern, Pfingsten und nicht zu vergessen in halb Deutschland Karneval kommen, ob sie wollen oder nicht, die können sie nicht verbieten. Vielleicht, wenn es mal einen deutschen Papst geben sollte… Aber auch dann nur mit guten Beziehungen von Gottvater zum Papst“, versuchte Thorben einen Scherz.
„Papperlapapp!“ winkte Dr. Cagliari ab, „bleiben sie ernst, Lüderitz, mir ist nicht zum Lachen zumute…“
„Gut“, sagte Thorben“, „aber ich garantiere ihnen: Unter dem Stress wird es zu krankheitsbedingten Ausfällen kommen, keine Frage. Und das meine ich verdammt ernst.“
„Sagen Sie einmal, Lüderitz, sind sie ein Defätist? Ich habe gesagt, die werden verboten!“
„Ihr Wort in Gottes Ohr…“, murmelte Thorben.
„Was haben sie nur immer mit ihrer Religion, Lüderitz, was hat Gottvater damit zu tun? Er hat mir völlig freie Hand gegeben, Urlaub etc. können sie von mir aus später nachholen… – wenn es denn unbedingt sein muss!“
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