„Ich habe nicht Herrn Frantzen gemeint, ich habe IHN gemeint, „ihn“ in Versalien, den großen Lenker, den Herrn!“
„Sind sie etwa gläubig, Lüderitz?“, fragte Cagliari entsetzt.
„Das tut hier nichts zur Sache“, befand Thorben.
Für Cagliari war das Thema noch nicht beendet: „Urlaub, möglichst noch Grippe, das klingt ja fast so, als ob sie in der Gewerkschaft wären, Lüderitz…“. Aus Cagliaris Mienenspiel und Körpersprache sprach größte Abscheu. „Lüderitz“, sagte er noch einmal, „ich dachte, ich könnte mich auf sie verlassen, sozusagen, von Mann zu Mann!“
Insbesondere was die letzte Bemerkung anging, verstand Thorben nichts.
Doch dann kam für Cagliari der eigentliche Hammer.
„Also, mit meinen zwei Leuten kann ich maximal 750 Patienten pro Jahr in Studien betreuen. Das ist das Ende der Fahnenstange, 3.000 geht einfach nicht. Das ist Fakt.“.
Das Flipchart war nicht wirklich benutzt worden als Thorben wieder Platz nahm. Er blickte auf das fast leere Blatt, stand noch einmal auf und schrieb oben rechts die Zahl 3.000 hin. Darunter 110 und wieder einen Strich und 2890 und wieder einen Strich und dann 2.140 und machte einen Kreis um diese Zahl.
Er ging wieder zu seinem Platz und sagte „Das ist das, was wir nicht schaffen, nicht mit den Bordmitteln, die wir haben.“
„Malen sie nicht den Teufel an die Wand“, kommentierte der Chef diese Zahl, „Sie kriegen zusätzliche Leute, drei oder fünf…“, sagte Cagliari, „nun nehmen sie schon von dem Kuchen, bedienen sie sich, freie Wahl“, quetschte er bedrückt hervor.
„Na gut“, dachte Thorben und nahm sich das Stück Stachelbeerkuchen.
„Ach“, sagte der enttäuscht dreinschauende Dr. Cagliari, „den hatte ich mir eigentlich…“
„Das wusste ich nicht“, krümelte Thorben mit vollem Mund und hielt Dr. Cagliari seinen Teller hin, „wenn sie wollen…“
„Schon gut“, entgegnete Cagliari beleidigt, „ich hatte gedacht, sie nehmen den Apfelkuchen oder so eine Plundertasche oder wie die Dinger da heißen.“. Er deutete auf die trockenen Stückchen.
„Und wenn sie die Neuen kriegen, wie sieht es dann aus?“. Er schaute Thorben kauend an. „Gar nicht so schlecht der Apfelkuchen, nicht zu vergleichen mit Stachelbeeren, wissen sie, das ist nämlich mein Lieblingskuchen, naja, können sie ja nicht wissen, wie sollten sie auch. Da hätte die Peters auch zweimal Stachelbeere bringen können…“
„Wenn es gute Leute sind, müssen wir die woanders abwerben, dann können die frühestens in – sagen wir – Quartalsende plus 3 Monaten anfangen, also in ziemlich genau einem halben Jahr. Die werden dieselbe Kündigungsfrist haben wie ich: Drei Monate zum Quartalsende. Also haben die noch ein halbes Jahr – und wir nicht! Wenn es drei sind, macht das die Rechnung einfach. Dreihundertfünfundsiebzig Patienten! Einarbeitungszeit nicht eingerechnet, aber das geht schnell – zwei Wochen oder so, das können wir vernachlässigen.“
„Häh“, fragte Cagliari, „wieso dreihundertfünfundsiebzig?“
„Drei Mann, ein halbes Jahr, das ist die bestehende Mannschaft für den halben Zeitraum – macht genau die Hälfte von dem, was ich eben ausgerechnet habe: Dreihundertfünfundsiebzig!“
„Ach so, ja, klar!“
„Macht zusammen dreihundertfünfundsiebzig plus siebenhundertfünfzig gleich zwölfhundertfünfundzwanzig…“
„Nein“, sagte Cagliari, „leider nur elfhundertfünfundzwanzig, einhundert weniger.“
„Stimmt“, sagte Thorben und schaute etwas konsterniert, „wo sie recht haben, da haben sie recht: Elfhundertfünfundsiebzig.“
„Da fehlen noch eintausend…“, sagte Dr. Cagliari.
„…achthundertfünfundsiebzig“, ergänzte Thorben schnell, der sich immer noch ärgerte, dass er sich eben verrechnet hatte.
„Eintausendachthundertfünfundsiebzig“, murmelte Cagliari während Thorben die neuen Zahlen an die Tafel malte und wiederholte das noch einmal: „Eintausendachthundertfünfundsiebzig!“. Nach einer Weile sagte er leise: „dafür brauchen wir noch einmal zwei Jahre…“
„Naja, vielleicht eineinhalb“, verbesserte ihn Thorben, „aber dann muss alles wie am Schnürchen gehen!“
„Das interessiert dann doch niemanden mehr, Lüderitz,“ sagte Cagliari laut, „wir haben ein Jahr und keinen Tag länger…, Scheiße, Mist, Dreck…!“
„Naja“, sagte Thorben, „wir könnten eines von diesen neuen externen Studieninstituten beauftragen. Die können ganz fix arbeiten“, meinte Thorben, „aber zaubern können die auch nicht. Vielleicht fast so viel wie wir, sagen wir überschlagsweise eintausend. Realistisch aber eher fünfhundert. Aber die sind teuer!“
„Geld spielt keine Rolle“, erinnerte ihn Dr. Cagliari, „dann bleiben immer noch knapp neunhundert, die wir nicht schaffen können. Aber immerhin … und vielleicht fällt uns ja noch etwas ein. Unsere Idee mit diesem Institut ist gut, das sollten wir auf jeden Fall machen. Lüderitz, sie kümmern sich um den internen Kram mit ihren Leuten, ich rede mit denen vom Institut – haben sie die Adresse?“
Thorben nickte. Wenn es „unsere“ Idee war, dann fand sein Chef sie wirklich gut.
„Geben sie die Adresse der Frau Peters. Und ich rede mit der von Reventlow, dass die mit den Neuen in die Puschen kommt, so sagt man doch da, wo sie herkommen, nicht wahr?“
Thorben wunderte sich ob so viel Zuwendung. Was ein bisschen Druck doch ausmachen konnte. Als er sich erhoben hatte, sagte Cagliari noch: „Nehmen sie die beiden Plunderstücke mit für ihre Miss KliFo, wie heißt die noch?“
„Fräulein Heinz, wie der Ketchup, ganz leicht zu merken: Heinz!“
„Ich esse keinen Ketchup, Lüderitz, beim Witzigmann gibt es das nicht, Gott sei Dank, den Teller können sie in der Pantry abstellen, wenn Fräulein Ketchup mit dem Kuchen fertig ist.“
Zwei Stunden später klingelte Thorbens Telefon. Es war sein Chef. „Lüderitz“, flüsterte der, „grande Kacke. Ich habe gerade mit der Gailbraithwisthle telefonieren müssen, wissen sie was die mir gesagt hat? Es ist unglaublich …“
„Keine Ahnung“, sagte Thorben, „aber ich denke, sie werden es mir gleich erzählen…?“
„Weil wir doch so schnell sind mit unseren 110 fertigen Bögen und angeblich ja auch schon alle dreitausend Patienten in der Studie am Laufen haben…“. Cagliari hörte auf zu reden, Thorben hörte ihn am anderen Ende der Leitung tief atmen.
„Ja?“, fragte er.
„Wir dürfen, „dürfen“ hat sie gesagt, Lüderitz, wir dürfen…! Diese blöde Kuh…“
„Was denn?“, fragte Thorben noch einmal vorsichtig.
„Wir dürfen“, die Betonung lag auf „dürfen“, „also, wir müssen, das meint die nämlich mit dürfen, noch einmal eintausend Patienten mehr machen, Lüderitz, eintausend! Mindestens!“
Thorben sagte vor Schreck nichts, jetzt atmete er so schwer wie eben sein Chef.
„Und wissen sie, was das Beste ist, Lüderitz?“
Nein, wie sollte er.
„Godfather already agreed“, hat sie höhnisch gesagt, „und dass es ihm eine Ehre sei!“ Das Letzte brüllte er so laut in den Telefonhörer, dass Thorben den fast vor Schreck fallen gelassen hätte.
„Sind hier denn alle total durchgeknallt?“, hörte er den Chef immer noch brüllen, „das sind doch alles Idioten! Lüderitz, sie waren doch beim Bund. Haben sie nicht eine größere Knallerbse mitgehen lassen, die wir der rüberschicken können?“ Dann war einen Moment lang Ruhe. „Lüderitz, das Letzte habe ich nicht gesagt! Niemals, verstehen sie, niemals!“
Thorben verstand sehr wohl. Das mit dem „niemals“ und dass es jetzt um die zweitausend Patienten waren, die sie niemals schaffen würden. Das ist das Ende für den Chef dachte er, sein Kopf würde rollen, das war klar. Gottvater würde keine kläglichen Versager in seiner Firma dulden.
Читать дальше