„Mag sein“, dachte Dr. Cagliari laut, „aber für ihren Zweck, Lüderitz, brauchen sie ja richtige Bögen, nicht wahr, also solche, die so aussehen wie richtige Patientenbögen ...“
„Nun ja“, sagte Sören nachdenklich, „das ließe sich machen, ich denke, es gäbe da Mittel und Wege ...“
„Das besprechen sie am besten unter sich meine Herren, ich muss ja nicht alles wissen, Herr Schack, wissen sie, mir reicht es, wenn ich im Großen und Ganzen Bescheid weiß, ich habe ja mehr eine koordinierende Funktion, Herr Schack. Lüderitz, was sagen sie, ist das das Richtige für uns?“
Thorben nickte. „Ja, ich glaube, das hat ihnen vorgeschwebt, Doktor Cagliari. Ich habe nur noch eine Frage …“
„Ihnen, Lüderitz, ihnen! Das war doch ihre Idee. Was kostet der ganze Spaß? Das wird nicht billig sein, ihr Spielzeug, oder, Herr Schack?“
„Entschuldigung, was war das für eine Frage?“
„Läuft das Programm auch im VAX-Cluster?“
„Natürlich.“
„Der Preis?“, drängte Cagliari.
„Nun ja“, sagte Sören langsam, „da steckt natürlich sehr viel Know how darin, unheimlich viel, Medizin, klinische Forschung, Mathematik und Statistik, das kann außer uns kaum jemand ... Und dann – der Markt ist klein und Programme auf der VAX, die kosten natürlich ...“
„Eine Zahl, Herr Schack, eine Zahl, den Rest können sie sich sparen, ich weiß, wie man versucht, ein Produkt teuer zu reden ...!“
„Dreihunderttausend!“
Cagliari blickte Sören verblüfft an, „Bitte?“, fragte er, „wie viel?“
„Dreihunderttausend.“
Dr. Cagliari schaute Thorben an. Entweder war er so überrascht oder er war ein exzellenter Schauspieler, schließlich sagte er: „Lüderitz, ist der Mann verrückt? Habe ich dreihunderttausend Mark verstanden?“
„Ich glaube schon“, sagte Thorben.
„Dann gehört das Programm aber uns!“, sagte Cagliari sofort.
„Nein“, sagte Sören, „dafür bekommen sie eine Lizenz. Eine. Wenn sie es exklusiv haben wollen, dann kostet es eins Komma zwei fünf Millionen. Dafür sind dann aber auch noch zwei Mannmonate für Anpassungsarbeiten drin!“
Dr. Cagliari musterte Sören aus etwas zusammengekniffenen Augen, lange und konzentriert, ohne ein Wort zu sagen. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und schaute sinnend an die Decke. Schließlich beugte er sich wieder vor, schenkte sich einen Kaffee ein, den guten aus Guatemala, rührte eine Weile in seiner Tasse, schaute Sören wieder an und beugte sich vor, um das Telefon zu greifen. Er wählte die Nummer des Finanzchefs. Das Gespräch war kurz:
„Cagliari hier, Herr Lorentz, ich brauche eineinviertel Millionen. Nächste Woche!“ Offenbar sagte Herr Lorentz etwas, denn Cagliari hörte einen Moment lang zu, dann legte er auf, ohne sich zu verabschieden.
Und zu Sören sagte er dann: „Gekauft! Exklusiv! Für eine Million zweihundertfünfzigtausend Mark!“
Er blickte triumphierend zu Sören, der glaubte, sein Stuhl rutsche unter ihm weg.
„Unter einer Bedingung: Wenn sie das Programm abgeliefert haben, Schack, dann vergessen sie, dass sie es je entwickelt haben und vor allem, dass wir es gekauft haben. Ist das okay für sie?“
Sören nickte stumm und reichte seine Hand über den Tisch, die Cagliari heftig schüttelte. „Gratuliere“, sagte er, „dann sind sie jetzt ein reicher Mann! Wann können sie liefern?“
4. Juli. Thorben legte seine offizielle Morgenlektüre im Büro, die Frankfurter zur Seite, nahm den Telefonhörer auf und wählte die Nummer von MicroMed. Frau Wolff meldete sich und stellte ihn zu ihrem Chef durch: „Herr Lüderitz für sie“, sagte sie, mehr nicht.
„Hallo, Thorben, um es gleich zu sagen: Wir sind noch nicht lieferfähig …“
„Na klar“, antwortete Thorben, „ihr seid ja immer solche Tritschler 15… Nee, deshalb rufe ich ja nicht an. Sag´ mal, liest du die Frankfurter?“
„Selten, warum? Heute nicht.“
„Da ist ein Artikel auf der Wirtschaftsseite, der ist mit Asta S. gezeichnet. Das ist ja noch nicht ungewöhnlich, aber da ist ein Foto von der Autorin bei, da soll mich doch ein Pferd treten, wenn das nicht unsere Asta ist, die aus dem Ruderboot!“
„Ehrlich? Ich schicke gleich mal die Wolff los, dass die mir die Frankfurter besorgt. Welche denn? Das ist doch die von heute, oder?“
„Ja, du“, meinte Thorben, „wollen wir die dann nicht einmal anrufen? Das wäre doch nett, oder?“
„Ja, klar – das machen wir. Worum geht es in dem Artikel denn?“
„Du wirst es nicht glauben: Pharma!“
„Ehrlich?“
„Ja. Titel: „Internationale Pharmariesen werden immer größer“, Untertitel „Was wird aus der deutschen Pharmaindustrie?“.“
„Und was schreibt sie?“
„Lies es selber, aber ist nicht schlecht, die muss gute Informanten haben…“
„Was würde sie erst schreiben, wenn sie uns gefragt hätte?“
„Nee, lieber nicht, ich möchte noch ein wenig bei GPF bleiben, weißt du.“
„Mindestens bis CliSSim bei euch läuft, solange mindestens“, witzelte Sören.
„Nee, nicht nur deshalb, klar, ich möchte schon sehen, wie das in der Realität läuft, aber der Job ist ganz okay, weißt du.“
„Und was ist an den Gerüchten dran, dass ihr nach Berlin gehen werdet?“
„Ich hoffe nichts“, meinte Thorben, „das wäre schöner Mist, Kuhdamm, Berlin, nichts für mich…“
„Naja, noch residiert ihr ja in der Leopoldstraße…“
GPF GmbH. Im Chefrestaurant
4. Juli. Dr. Cagliari hatte Thorben in das Vorstandsrestaurant im sechsten Stockwerk eingeladen. Das grenzte an ein Wunder, denn selbst langjährige Mitarbeiter konnten sich kaum erinnern, dass so etwas passiert war – das war höchstens ein oder zweimal pro Jahr geschehen, dass ein Vorstandsmitglied einen „Normalo“, einen normalen Mitarbeiter, dorthin eingeladen hatte. Thorben war sich der Ehre sehr wohl bewusst. Er war sich nur nicht im Klaren, wem oder was er diese Auszeichnung verdankte. Immerhin war er gottfroh, dass er heute den guten Business-Anzug trug – und sogar der war frisch aus der Reinigung, die Krawatte war neu.
„Kommen sie hierher, hier ist unser Tisch“, winkte Cagliari Thorben an den Tisch, als dieser das kleine, aber sehr feine Restaurant betreten hatte. Alle Tische waren mit schneeweißen Leinendecken eingedeckt, an den Plätzen standen Wasser-, Weiß- und Rotweingläser, das Besteck war selbstverständlich altes Silber und das Porzellan teures Rosenthal. Auf jedem Tisch stand eine kleine Vase mit einem geschmackvoll dekorierten Blumenstrauß und zwei Wasserkaraffen. In der einen perlte das Wasser, in der anderen schwammen nur ein paar Eisstückchen. „Alles vom Feinsten“, befand Thorben. Sogar die Servietten waren aus Leinen und kunstvoll zu Schwänen gefaltet.
Der Tisch, an dem sein Chef auf ihn wartete, war für drei gedeckt. Auf seinen fragenden Blick auf den dritten Platzteller erläuterte Cagliari: „Ich habe noch Doktor Lorentz gebeten…, sie verstehen, Lüderitz?“
Nein, Thorben verstand nicht, was sollte der Finanzchef dabei?
„Was trinken sie?“, fragte Cagliari, „“Rot“ oder „Weiss“? Ach was, soll der Kellner uns beraten, mal schauen, was sie heute anbieten?“
Der Kellner erschien wie aus dem Nichts, zauberte eine Schale mit reschem Baguette sowie Schälchen mit Butter und Sour-Cream auf den Tisch und war schon wieder verschwunden. Eleganter und leiser konnte man sich als Kellner nicht bewegen. Er hatte kein Wort gesprochen, nur höflich gelächelt, dabei konnte er fließend in mindestens fünf Sprachen parlieren – aber das tat er nur, wenn er angesprochen wurde.
Gleich darauf betrat der smarte, teuer gekleidete Dr. Lorentz das Restaurant, zielgerichtet kam er zu dem Tisch, an dem Cagliari und Lüderitz schon saßen, grüßte die beiden kurz und griff sich schon im Setzen die Tageskarte und fragte: „Was bietet die Küche heute Schönes?“. Nach einem kurzen Blick legte er die Speisekarte zur Seite und schaute mit großem Interesse auf Thorben, als ob er ihn heute zum ersten Mal wirklich wahrnähme.
Читать дальше