„VAX?“, fragte Lorentz, „sind das diese „vergoldeten“ Dinger, von denen dieser Reimers immer noch eine haben will? Jetzt will der ein ganzes …, warten sie einmal, wie heißt das? Ach ja: Cluster! Der will einen sogenannten Cluster von drei miteinander verbundenen Dingern von denen auf einmal! Die sind von DEC, nicht wahr?“
„Genau“, nickte Thorben, „von denen rede ich … Übrigens, das VAX-Cluster wird der für unsere Berechnungen dringend brauchen, glaube ich. Ohne die wird nichts gehen…“
Lorentz zuckte mit den Schultern: „Von mir aus soll er sein Spielzeug halt bekommen…“
„Also“, fuhr Thorben fort, „der Reimers nimmt die einhundert Patientenbögen, die in den Prüfkliniken erhoben und ausgefüllt wurden, und kippt sie – in elektronischer Form – sozusagen oben rein in die VAX. Dann startet er ein kompliziertes Statistikprogramm und unten kommt das Ergebnis raus: Unser neues Präparat ist besser als das alte von der Konkurrenz, so mal ganz einfach gesagt.“
„Soweit war mir das in etwa klar“, sagte Lorentz und nahm einen entschiedenen Schluck Rotwein, „und ihre Idee …“
„… DIE Idee stellt das Ganze auf den Kopf. Wir sagen der VAX, oder besser dem CliSSim -Programm, so heißt das, in der VAX, also den drei in dem VAX-Cluster zusammengeschalteten Rechnern, dass wir einhundert Patientenbögen haben wollen, bei denen – wenn man sie in das eben genannte Statistikpaket einfüttert – eine Heilungs- und Besserungsrate von 90 % herauskommt bei einem p<0,05 besser als das Vergleichspräparat ist. Eigentlich ganz einfach!“
„Nun ja“, sagte Dr. Lorentz nachdenklich, „wenn das so einfach wäre, wären ja wohl schon andere darauf gekommen, oder?“
„Sicherlich“, gab Thorben zu, „da steckt schon verdammt viel Know how drin in dem Programm, das wir einsetzen wollen. Und natürlich muss man erst einmal auf die Idee kommen, dass man Statistik umdrehen kann… Und das wurde ja nicht nur für ein einziges Problem geschrieben, das ist ja ein allgemeines Programm, also eines, das alle möglichen Klinischen Studien reverse engineeren kann. Deshalb kostet das ja auch einiges…“
„Das kostet eine verdammte Stange Geld!“, warf Lorentz ein, „da muss meine alte Mutter lange für stricken: Immerhin 1,25 Millionen!“
„Nun ja“, gab Thorben zu bedenken, „ein Teil davon wird es ja auch kosten, dass wir das Programm exklusiv haben wollen, das die das nicht noch einmal verkaufen dürfen!“
„Das ist gut“ befand Dr. Lorentz, „dann haben nur wir das? Exzellent, Lüderitz!“
„Sie kennen den Programmierer doch gut…“ warf Cagliari ein.
„Gut ist etwas übertrieben“, stellte Thorben auf alle Fälle einmal richtig und unterließ es dabei absichtlich zu erwähnen, dass er und Sören alte und enge Schulfreunde waren, weil er meinte, das müsse hier niemand wissen (Geschäft ist Geschäft, fand er), „ und Programmierer ist der Schack auch nicht, der ist der Chef von dem Laden, das würde mich wundern, wenn der auch nur eine Zeile Programmcode schreiben oder lesen könnte. Dafür kommt der aber aus der Pharmaindustrie, der weiß, worüber er redet. Aber es stimmt, wir haben schon mit der Firma zusammengearbeitet. MicroMed heißen die. MicroMed wie Microsoft. Ist ´ne kleine Firma, die haben, schätze ich, so um die zehn oder zwölf Mitarbeiter, aber alles Spitzenleute: Programmierer, Mathematiker oder besser Statistiker, Mediziner. Und dann der Chef – der hat die innovativen Ideen. Außerdem haben die noch Programmierer in Rumänien, und die, die sind wirklich unglaublich gut!
So etwas findet man hier nicht. Bei denen lassen die von MicroMed die ganz heißen Sachen programmieren…“
„Was macht MicroMed denn sonst so für Programme?“, wollte Lorentz wissen.
„Medizinische…, vor allem Gesundheitsökonomie.“, sagte Thorben, „für die Industrie – für die Forschung und für das Marketing, im Moment arbeiten die – soviel ich weiß – an einem Programm für Impfungen für die NATO und an einem Kosten-Nutzen-Programm für Antibiotika-Prophylaxe mit den aktuellen Präparaten.“
„Die arbeiten auch für die NATO?“, wollte Cagliari erstaunt wissen, „das wusste ich ja gar nicht.“
„Für die NATO und die UNO. MicroMed hat ein Impfprogramm für alle Länder entwickelt, das hat es in sich, mindestens viersprachig, so viel ich weiss. Und für eine französische Firma arbeiten die noch an einem Sexreiseatlas für Frauen mit Impfempfehlungen…“ grinste Thorben, „also, das habe ich so nebenbei gehört“.
„Typisch Franzosen…“ wollte Cagliari ausführen, aber mit „Vakzine haben wir nicht im Portefeuille“, fiel ihm Lorentz barsch ins Wort, „und Sexreisen schon einmal gar nicht… Sagten sie für Frauen?“, fragte Lorentz, „oder habe ich mich da verhört?“ Als Thorben „doch“ sagte, meinte er: „Die spinnen doch, diese Franzosen. Sexreisen. für Frauen! Aber Gesundheitsökonomie? Das hört sich ja interessant an…“. Ökonomie war ihm als Finanzmann jedenfalls vertrauter als high-end Medizin-Statistik oder Impfstoffe, die GPF nicht anbot, „was haben die auf dem Gebiet zu bieten? Ich meine Ökonomie? Keine Frauenreisen – machen Frauen wirklich Sextourismus, Cagliari?“
„Weiß ich nicht“, beeilte Cagliari sich zu sagen, „das war nie mein Problem“, und fuhr dann fort: „Das Gesundheitsökonomie-Programm haben wir gerade gekauft“, erläuterte Cagliari.
„Super Sache, Kollege Lorentz, super!“, fuhr er fort, „mit dem Zeug können sie die wahren Kosten von Therapien berechnen!“
Dr. Lorentz schaute Thorbens Chef fast fassungslos an, wurde vor Schreck ziemlich streng im Gesicht: „Das ist nicht ihr Ernst, Cagliari, oder? Wollen wir das wirklich wissen?“, fragte er leise mit Verschwörermiene und fuhr fort: „Was unsere Pillen die Kassen tatsächlich kosten? Und dann vielleicht noch weitererzählen? Ich meine, will das überhaupt jemand wissen?“
„Nun ja“, goss Thorben Öl auf die aufkommende Woge, „man kann das auch so formulieren: Mit dem Programm, HEAD heißt das, kann ich ausrechnen, dass unsere auf den ersten Blick teuersten Produkte schlussendlich preiswerter sind, als die billigsten bestehenden Konkurrenzprodukte – wenn man nur richtig und vor allem weit genug rechnet, also zum Beispiel inklusive Applikationskosten. Sie wissen ja: Tablette statt Spritze beim Arzt, das macht schon ordentlich was aus, wenn man Arbeitsausfallzeiten und -kosten mit berechnet, Nebenwirkungen und deren Therapiekosten etc.“
Lorentz lauschte jetzt hoch konzentriert.
„Plötzlich sind unsere gut verträglichen Produkte dann preiswerter als das billigste Konkurrenzzeugs …“, schloss Thorben seinen kurzen Vortrag.
„Sehr gut, Lüderitz, sehen sie Herr Kollege Cagliari, so hört sich das doch schon viel besser an!“ Und zu Thorben gewandt fragte er: „Funktioniert das wirklich?“
„Ja“, bestätigte Thorben, „verblüffend gut!“
„Ja, dann“, Dr. Lorentz schaute nachdenklich aus dem Fenster, dann wieder zu Thorben und sagte: „Bei uns hat sich eine Journalistin wegen eines Interviews angemeldet. Seriöses Organ! Dieses Programm oder besser die eindruckvollsten Ergebnisse könnte ich da eventuell ganz gut gebrauchen… da habe ich jedenfalls einmal etwas Neues zu erzählen, wissen sie, können sie mit dem Programm umgehen, Herr Lüderitz?“
Thorben nickte, denn er konnte verdammt gut damit umgehen, was kein Wunder war, denn er hatte wichtige Ideen dazu beigetragen und die ersten komplizierten Berechnungen zu seinen Präparaten ausprobiert. Deshalb konnte er HEAD ja auch aus voller Überzeugung empfehlen. Da konnte nichts schief gehen, das wusste er.
„Das müsste ich schon hinkriegen, Herr Doktor Lorentz, ich denke schon. Ich bräuchte etwas Zeit, um mich einzuarbeiten, wissen sie.“
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