Ich klingelte an der Haustür. Der Meister empfing mich höchstpersönlich mit einem kräftigen Händedruck und den üblichen dämlichen Sprüchen.
„Haben Sie denn gut hergefunden?“
„Ja danke. Es hat alles wunderbar geklappt.“
Von meiner Wohnung brauchte ich zehn Minuten mit der Straßenbahn.
„Das ist nett, dass Sie die Zeit erübrigen konnten zu einem Gespräch.“
Ich lächelte und spielte den netten jungen Mann.
Der Meister war ein Durchschnittsmensch. Mittelgroß. Das blanke Schädeldach wurde von einem letzten Rest schwarzer Haare eingerahmt. Unter dem üppigen, schwarzen Oberlippenbart blitzten mich große, zitronengelbe Zähne an.
Raubtiergebiss? Eher Teppichwolf, domestiziert , dachte ich.
Er trug eine braune Cordhose. Die Hemdsärmel hatte er lässig hochgekrempelt. Ihm gegenüber stand ich, chemisch gereinigt und mit akkurat gezogenem Scheitel.
Der Meister führte mich in sein Büro. Er fläzte sich in seinen gemütlichen, ledernen Chefsessel mit hoher Rückenlehne und schlug ein Bein über das andere. Auf dem Schreibtisch warteten noch nicht sortierte Papierberge auf Bearbeitung. Das Geschäft brummte.
Ich hatte den Besuchersessel, ebenfalls aus Leder und gemütlich, aber ohne hohe Rückenlehne.
Zu reden gab es für mich nicht viel. Das Gespräch bestand vor allem aus einer Lobrede des Meisters auf die Firma. Ich stimmte nur immer mit einem Kopfnicken zu oder sagte > ah< und > oh< , wenn der Meister die Vorzüge und Besonderheiten des Unternehmens schilderte. Dieser Betrieb schien wirklich einzigartig in der Branche zu sein.
Schließlich kam es zu der einen, nur allzu verständlichen Frage: „Sie haben vorher etwas ganz anderes gemacht. Warum jetzt der Wunsch, bei uns Maler und Lackierer zu lernen?“
Etwas verschämt kam es aus mir heraus: „Nun ja, es heißt doch, Handwerk hat goldenen Boden. Das wollte ich schon immer mal versuchen. Ich hätte die Stelle wirklich sehr gerne. Aber wissen Sie, mein früherer Chef hat immer zu mir gesagt, mein lieber Rudi, du bist wirklich ein netter Kerl. Aber leider bist du auch ein fauler Sack. Dich behält bestimmt keiner lange. Wie schätzen Sie denn meine Chancen ein?“
Das Gesicht des Meisters blieb undurchdringlich, wie die Tapetenrollen, die er täglich einkleisterte. Ich stellte mir lieber nicht vor, welche Gedanken gerade in seinem Handwerkerhirn kreisten und sich zu Knoten verdichteten.
„Wir haben natürlich noch andere Bewerber“, sagte er schließlich. „Das können Sie sich ja denken. Wir melden uns wieder, wenn wir unsere Entscheidung getroffen haben.“
Das Vorstellungsgespräch war damit beendet und ich wurde freundlich aber bestimmt zur Tür hinausgeschoben.
Bevor ich endgültig ging, pfiff ich noch der vorbeieilenden Sekretärin hinterher, die dies mit einem missfallenden Blick zur Kenntnis nahm.
In bester Stimmung genehmigte ich mir in einem Café einen Cappuccino. Ich hatte meine Rolle als hoffnungsloser Fall gut gespielt.
Wie nicht anders zu erwarten war, erhielt ich kurz darauf meine Bewerbungsmappe mit dem üblichen Brief zurück:
Wir bedanken uns für Ihre Bewerbung und das nette Gespräch in unserem Hause.
Leider müssen wir Ihnen mitteilen …
Die Enttäuschung war Frau Greifer anzumerken, was mich nicht weiter bekümmerte. Ich wechselte in den nächsten Gelegenheitsjob. Und zwar als Aufsicht in der Tankstelle an einer Autobahnauffahrt.
Ich hatte die Nachtschicht. Am Tag arbeiteten dort drei Mitarbeiter und der Chef selbst. Ich war nachts allein. Es bedeutete, die Quengeleien und beleidigenden Sprüche von schlecht gelaunten Kunden zu ertragen, oder hinter Typen herzulaufen, die sich an unseren Zapfsäulen bedienten und sich dann ohne zu bezahlen aus dem Staub machen wollten.
Überfälle waren nicht selten. Manchmal beschränkte sich ein ganz Schlauer auf verbale Drohungen: > Gib mir das Geld, oder ich polier dir die Fresse .< Oder so ähnlich. Bedrohungen mit Messer oder Schusswaffe kamen auch vor.
Kurz gesagt, es handelte sich um einen Job, den man seinem Lieblingsfeind nicht schenken wollte. Gerade richtig für Rudi, dachte ich mir. Hier hatte ich keine Konkurrenz. Die meisten Kandidaten hielten nur Wochen durch. Ich aber blieb und bekam eine feste Anstellung. Damit konnte ich wenigstens Frau Greifer Lebewohl sagen, und meine Karriere als Pinsel schwingender Azubi hatte sich erledigt. Ob sie geweint hat, weiß ich nicht.
Mein niedriger Lohn reichte mit Überstunden gerade für das tägliche Überleben. Aber mir würde schon noch etwas einfallen, womit ich meine Situation verbessern konnte. Und es sollte nicht lange dauern, bis mir dazu etwas einfiel.
Mein kleiner Neffe hatte Geburtstag. Wie man das so macht, durchsuchte ich einen Spielzeugladen nach einem Geschenk, gut genug, um mich als Onkel unentbehrlich zu machen, und dabei so preiswert, dass sich das Loch in meiner Geldbörse nicht unnötig vergrößerte.
Ich schritt verwundert vorbei an Bergen von buntem und nutzlosem Zeug, das für die kleinen Rabauken höchstens ein paar Wochen von Interesse sein konnte. Zwischen den Regalen sprang plötzlich ein kleiner Junge auf mich zu und bedrohte mich mit einer Spielzeugpistole, die aber verteufelt echt aussah. „Hände hoch, oder ich schieß dir ein Loch in den Bauch.“
Ich wollte nichts riskieren und folgte der Aufforderung. Die Mutter befreite mich aus dieser misslichen Lage und zog den kleinen Rotzlöffel mit sich fort, bevor er die Situation ausnutzen und mir ein Lösegeld abtrotzen konnte.
Ich kaufte die Pistole, um sie zu behalten. Für meinen Neffen fand ich ein rotes Feuerwehrauto mit Drehleiter und batteriebetriebener Sirene.
Jetzt war ich bei meinem Dienst in der Tankstelle bewaffnet. Die Pistole lag immer griffbereit unter dem Tresen neben der Kasse.
Es kam die Nacht, in der ein jugendlicher Flegel mit Lederjacke und zu viel Pomade in den Haaren durch die Eingangstür trat. Ich wusste sofort, dass es Ärger geben würde. Dafür hatte ich eine Nase.
Nachdem er umständlich zwei Dosen Cola aus einem Regal gefischt hatte, steuerte er mit selbstbewusster Miene auf mich und die Kasse zu. Was er an Alter nicht vorzuweisen hatte, versuchte er mit einem forschen Auftreten wieder auszugleichen. Er zog eine Pistole aus der Jackentasche und hielt sie mir vor die Brust.
„Gib mir das Geld, Alter, oder du bist tot.“
Er schaffte es gerade noch, den Satz zu beenden. Blitzschnell zog ich als Antwort meine Pistole unter dem Tresen hervor. Es war eine Reflexhandlung. In der Situation blieb mir keine Zeit mehr, nachzudenken. Erst hinterher kam mir in den Sinn, was alles hätte passieren können.
Zu meiner Überraschung wirkte es. Der Jüngling war ganz schnell zur Tür hinaus und auf nimmer Wiedersehen verschwunden.
Ich rief die Polizei. Die Überwachungskammer, die nachts immer eingeschaltet war, lieferte brauchbare Bilder, die meine drastischen Schilderungen des Tathergangs eindrucksvoll ergänzten.
Bei den Kollegen von der Tagschicht gab es kein anderes Gesprächsthema mehr. Mein Chef lobte mich für meinen tapferen Einsatz. Er drückte mir eine Großpackung mit Zigaretten in die Hand. „Das geht aufs Haus“, sagte er und klopfte mir auf die Schulter. „Für unseren besten Mitarbeiter.“
Meinen miesen Stundenlohn erhöhte er leider nicht.
Ein Held mit leeren Taschen ist eine traurige Figur. Das kann man drehen und wenden, wie man will. Ich durfte für andere den Kopf hinhalten. Der Dumme dabei war ich. Zugegeben, man kann sich nicht immer die Rosinen aus dem Kuchen herauspicken. Aber es gibt einem dann doch zu denken, wenn die Kuchenstücke regelmäßig von anderen gegessen werden, und man selber soll mit den Krümeln zufrieden sein, die übrig bleiben.
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