„Gehen wir zu mir“, sagte er und deutete auf die kilometerlangen Bauten von Prora am Strand, „ich wohne da hinten in den großen Gebäuden, ist nicht weit...“
„Und da warten nicht tres chicas cubanas , die drei Miss Kuba, von denen Gerhard gesprochen hat, auf dich? Ganz sicher?“
„Ciertamente no, nein, ganz sicher nicht. Nein, keine Miss Kuba, keine Miss Rügen, keine Miss ich-weiß-nicht-was. Höchstens bringe ich eine Bald-Misses-Russland mit...“
„Ach du“, murmelte sie und dann etwas Sinnloses. Aber das war beiden egal.
Im Weggehen rief er Mandy zu, dass sie den Laden irgendwann am Abend schließen solle, er sei jetzt erst einmal weg. Und morgen hätte sie frei.
Mandy hob zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, die rechte Hand bis in Schulterhöhe, sie drehte sich gar nicht zu ihm um. Der vielversprechend gebaute karibische Typ, den sie gerade bediente, verdiente ihre volle Aufmerksamkeit, fand sie, vor allem dieser Knackarsch... Er wollte Rum? Er sollte Rum bekommen. Rum vom Feinsten. Rum wurde hier selten verlangt. Und wenn, höchstens als Rum-Grog. Dann genügte ein Pott-Rum aus Flensburg. Damit würde dieser Typ aber nicht zufrieden sein. Der sah nach Rum-Kenner aus, zumindest was diese sahnekakaofarbene Samthaut anging... Boah, ihr wurde bei der Vorstellung, dass diese Haut sie ganzkörpermäßig berühren würde, ganz anders. Der Triathlet würde verschwinden müssen – wer wollte Muskeln, wenn sie diese Haut bekommen konnte?
Kalle musste doch irgendwo noch eine Flasche Rum aus Kuba herumstehen haben, weil Kalle eigentlich immer alles hatte, was gut und teuer war. Die würde jetzt als passender „Türöffner“ bei Mister Sahnekakao daran glauben müssen. Diese Freiheit würde sie sich nehmen.
Wir lassen jetzt ein paar Stunden in der Schilderung aus. Nur so viel: Erst hatte Anna Walentina die Wohnung mit dem wunderbaren Ausblick über die Ostsee und dann die geschmackvolle, sehr bunte und aufs Wichtigste reduzierte „vintage“ Einrichtung im Stil von Bauhaus und Eames bewundert.
Als nächstes duschten die beiden und frottierten sich gegenseitig ab.
Dann erst nahmen sie beide voneinander Besitz. Es ist völlig egal, wer von beiden der oder die Unersättliche war, die oder der mehr, MEHR und NOCH MEHR wollte. Ihr Sex war zuerst sehr vorsichtig, zärtlich, wurde dann fordernder, dominanter (wer wen?), sie trieben sich und ließen sich treiben, und ließen ihre Lust dann wieder sehr zärtlich ausklingen. Sie waren zurückhaltend und gierig, sie gaben sich alles. Sie testeten ihre Grenzen aus. Sie waren gleichzeitig ein junges neugieriges Paar, wild und dann wieder ein sehr erfahrenes. Wer war was? Egal, es waren beide. Aber, wie gesagt, es war egal.
Stunden später lagen sie mehr als dass sie saßen von ihrem Liebestun völlig ermattet, auf dem Balkon. Sie mussten sich immer noch ständig berühren, küssen, streicheln. Sie konnten nicht voneinander lassen, keine halbe Minute verging ohne irgendeine Liebkosung – kaum, dass sie mal einen Schluck von dem Barolo trinken oder an den kubanischen Zigarren ziehen konnten, die Anna sofort lachend als ein Geschenk von „Raúl“ erkannte, weil sie dieselbe Kiste mit der gleichen Widmung auf Spanisch besaß: „Para el amigo de la revolución. Compañero Raúl“. Die hatte Kalle für besondere Momente aufgehoben. Wann, wenn nicht jetzt, in dieser wunderbaren Vollmondnacht war so ein besonderer Moment? Da waren sie sich sehr einig.
Es musste früher Morgen geworden sein – Schlaf kam für keinen der beiden in Frage, man könnte etwas Liebevolles verpassen –, als Kalle auch wegen der aufkommenden nächtlichen Kühle vorschlug, endlich wieder hinein zu gehen, sich etwas über zu ziehen und eine Kleinigkeit zu essen. Viel habe er nicht, weil er keinen Besuch erwartet hätte – nur Schinken, Speck und etwas Käse, ein paar Nüsse dazu und ein ganz brauchbares Brot, das er selbst gebacken habe. Aber als Imbiss würde es gut zu der nächsten Flasche Rotwein passen.
Anna wickelte sich nur in eine kuschelige Decke, statt sich anzuziehen – sie wusste ja nicht, wann eine(r) wieder Lust bekommen würde...
Kalle deckte schnell den kleinen Tisch am Fenster mit dem romantischen Blick auf die See und den Mond mit dem Nötigsten, sie nahmen Platz und begannen, die Kleinigkeiten zu essen.
„Gut“, sagte Anna zwischen zwei Bissen, „das schmeckt gut. Italienisch ist immer gut, oder?“.
Er nickte, ja, das fand er auch. „Und was wollt ihr nun von mir?“, fragte Kalle irgendwann später, als ihm die Situation für die Frage endlich passend erschien.
Anna lächelte ihn an: „Du hast aber lange durchgehalten mit deiner Frage, Kalle, Kompliment, wirklich ein Profi“. Dann schwieg sie für eine Weile, ehe sie begann.
„Wir haben sehr ernst zu nehmende Hinweise vom russischen Geheimdienst erhalten, dass die USA versuchen werden, die Pipeline anzugreifen. Das Vorgehen scheint von ganz oben abgesegnet und Teil einer größeren Strategie zu sein, sich die alte Rolle als Weltpolizist wieder anzueignen – vielleicht nur noch brutaler als früher. Und in Europa statt im Mittleren Osten. Also genau hier und sehr bald. Nicht jetzt, aber bald!“
Sie nahm ein Stück Schinken und ein Stückchen Käse, um genüsslich daran zu knabbern, als hätte sie über ein Rezept für Käsekuchen gesprochen und nicht über weltpolitische Ranküne.
„Ja, und?“
„Nichts und! Das ist alles. Mehr wissen wir nicht. Noch nicht. Wir gehen aber davon aus, dass die Information valide ist, sehr valide. Sie wurde mehrfach geprüft und als verlässlich beurteilt. Die Quelle war immer sehr verlässlich. Aber wir wissen nicht, wann, wo und wie!“
„Und was soll ich dabei?“
„Alles!“
„Alles?“
„Ja, alles. Du sollst verschiedene Angriffsoptionen entwickeln, die wahrscheinlichsten herausarbeiten und geeignete Abwehrpläne erstellen. Eben alles! Du kannst auf alle Ressourcen zugreifen, deine Mittel sind – in vernünftigem Rahmen – unlimitiert. Um es mal deutlich zu sagen, eventuell entscheidest du über Krieg und Frieden...“
Kalle war baff. Er hatte schon viele Rollen im ewigen (kalten bis lauwarmen) Krieg zwischen Ost und West gespielt. Und in vielen Regionen der Welt. Er war einer der Stars des Ostens gewesen, was geheimdienstliche Aktionen anging. Eigentlich war nichts von seinen Aktionen nach draußen gedrungen, nicht einmal die kubanischen Abenteuer (und die waren mit Abstand die besten, fand Kalle). In dem Geschäft prahlt man nicht mit seinen Erfolgen. Die genießt man kalt bis eiskalt. Oder man ist tot. Die Alternativen sind klar. Survival of the … best! Er hatte es geschafft, nie gefasst zu werden oder aufzufliegen. Er war zu gut gewesen. Seine Identität war eines der größten Geheimnisse der Branche. Aber er war seit Jahren aus dem Geschäft. Naja, fast.
„Ich bin raus, Anna! Schau mich an, ich bin ein alter Mann, ein Rentner, ganz krumm!“
Sie blickte ihn an. Ihr gefiel, was sie sah: „Blödsinn, von wegen alter Mann, davon habe ich die ganze Nacht nichts gemerkt – und wenn ich´s genau betrachte“, lächelte sie, „bist du schon wieder... jung! Ganz nebenbei, in dem Geschäft ist man nie raus, Kalle...“
„Was willst du damit sagen, Anna?“
„Kalle, du wirst nie ein Rentner sein können!“
Kalle verstand diese letzte Bemerkung völlig falsch, weshalb er fragte: „Willst du mir drohen, Anna Walentina Serowa?“
„Nein, Kalle, das würde ich nie tun. Nicht nur wegen heute Nacht und morgen Nacht und den vielen Nächten, die hoffentlich noch kommen. Nein keine Drohung, in keiner Weise. Es ist nur eine Tatsache, die ich ausspreche. Und du weißt das selbst, Kalle! Ist man einmal in dem Geschäft, ist man es für ewig.“
„Hängen diese Nächte, und wie wir sie verbringen, irgendwie von meiner Antwort ab, Anna?“
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